Wien – Ein junger Psychoanalytiker, der in Wien zur Jahrhundertwende seine Fähigkeiten einsetzt, um der Kriminalpolizei bei der Mördersuche zu helfen. Das verspricht: Spannung, Gefahr, Abgründe. Zwielicht, Salonzimmer, Brokatvorhänge. Honorige Männer, finstere Gestalten, Frauenzimmer der guten und weniger guten Gesellschaft. Klimt, Schiele, Schnitzler. Nationalitätenwahn, Antisemitismus, aufkommende Kriegslust. Ein Stoff, von dem öffentlich-rechtliche Sender mit Bildungs- und Unterhaltungsauftrag nur träumen können.

Juergen Maurer und Matthew Beard (re.) in "Liebermann".
Foto: ORF

Für den ORF erfüllt sich dieser Traum gleich zweimal: Einmal in Form von Liebermann, in dem der Titelheld als Profiler der Polizei neue Möglichkeiten der Verbrecherjagd eröffnet, indem er sich in andere Psychen denkt. Zum anderen mit Freud, einer Serie, in der der junge Sigmund dasselbe verspricht – nach STANDARD-Infos sogar mit zum Teil identen Handlungselementen, etwa einer Séance, die sowohl in Liebermann als auch in Freud Platz finden soll.

Völlig verschieden

"Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun", sagt trotzdem ORF-Spielfilmchefin Katharina Schenk. Zumindest in der Herstellung trifft das zu: Liebermann folgt den Büchern von Frank Tallis. Drei Teile produzieren MR-Film und Endor Productions in Koproduktion mit ORF, ZDF und Red Arrow Studios. Robert Dornhelm (Das Sacher, Maria Theresia) führt beim ersten Film Regie, die beiden weiteren übernimmt Umut Dag (Copstories). Hauptrollen spielen Matthew Beard und Juergen Maurer. Bis Mitte November wird noch gedreht, der erste Film soll 2019 im ORF auf Sendung gehen.

Freud entwickelt Marvin Kren (4 Blocks) gemeinsam mit Stefan Brunner und Benjamin Hessler. Die Bavaria-Tochter Satel entwickelte das Serienprojekt im März 2014 und beauftragte Kren 2017. Netflix steuert finanzielle Mittel bei. Es geht um den jungen Freud, der wie Max Liebermann in dunkle Machenschaften gerät. Die Titelrolle spielt hier Robert Finster. Geplanter Start: 2020.

"Bei uns kommt Freud nur zehn Sekunden lang vor", sagt Robert Dornhelm am Set von Liebermann im Gerstner Salons Privés im Wiener Palais Todesco. Um den Stoff bemühe er sich seit zehn Jahren. Versuche zwischen ORF und BBC seien irgendwann eingeschlafen. "Jetzt ist es plötzlich wiederauferstanden", sagt Dornhelm.

Ursula Strauss ist auch im Ensemble von "Liebermann".
Foto: ORF

Die Zeit übe "eine gewisse Faszination" aus, sagt Schenk: "Im Moment scheint das wie ein Echo." Wien sei aktuell international sehr beachtet, sagt Dornhelm. Er stellt generell "großes Interesse an der Jahrhundertwende" fest: "Vielleicht ist diese Vorkriegszeit mit dem Aufkommen von Antisemitismus und Nationalismus aktuell. Da sind wir ja jetzt wieder. Man erkennt den Zeitbezug."

Schwenk beim Stoff

Tatsächlich schwenkt die Produktionslandschaft bei historischen Stoffen offenbar auf neuere Geschichte um. Mit der Antike von Tudors und Rom bis Borgias scheint man vorerst durch bzw. entsteht zumindest kaum Neues. Vor-, Zwischen- und Kriegszeit finden derzeit erhöhte Aufmerksamkeit in fiktionalen Inhalten – zu sehen etwa in Babylon Berlin – Details der dritten Staffel stellt Sky demnächst vor – oder The Alienist von Netflix. Ab 23. November geht Das Boot im Zweiten Weltkrieg auf Sky wieder auf Tauchstation. 2019 geht im Wien des Jahres 1930 der Kindermörder in David Schalkos M um.

Kommende Produktionen bilden ebenfalls jüngere historische Ereignisse ab: Jan Mojtos Beta-Film produziert etwa einen aufwändigen Sechsteiler mit dem Titel Bauhaus von Lars Kraume. Atlantic Crossing erzählt von Kronprinzessin Märtha von Norwegen, die im Zweiten Weltkrieg für ihr Land kämpfte und versuchtem Präsident Roosevelt zum Kriegseintritt der USA zu bewegen. Ebenfalls von Beta stammt Oktoberfest über zwei Bierbrauerdynastien im München des Jahres 1898, auch hier vor dem Hintergrund der Zeitenwende. (Doris Priesching, 13.11.2018)