Nach b4: Caruana versucht es am Damenflügel, löst dabei aber den doppelten schwarzen c-Bauern auf.

Nach 22…Da2: Carlsen hat ausgeglichen und wird aktiv.

Nach 36…f5: Carlsen presst (zum Beispiel Wasser aus Steinen). Der Bauer b5 könnte zum Freibauern werden.

Nach 49. exf5: Schwarz hat den falschen Läufer, um seinen h-Bauern zu unterstützen: remis

Die Kontrahenten.

Foto: APA/AP/Matt Dunham

Der eine, Caruana, grübelt ...

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... der andere, Carlsen, auch.

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London – Fabiano Caruana hat für heute etwas Giftiges vorbereitet. Seine zweite Weißpartie beginnt der Italoamerikaner wie die erste mit 1. e4, wie in Partie eins beantwortet er die Sizilianische Verteidigung des Weltmeisters mit der Rossolimo-Variante, dem spanisch anmutenden 3. Lb5.

Sweschnikow oder Kalaschnikow?

Caruana will also gar nicht herausfinden, was Magnus Carlsen im nach 3. d4 entstehenden, Offenen Sizilianer für ihn vorbereitet hat. Noch nicht. Sweschnikow und Kalaschnikow, so heißen zwei der tief analysierten Varianten, die Carlsen als Pfeile im Köcher haben könnte. Vielleicht wird Caruana sie den Weltmeister in einer späteren Partie auspacken lassen, vielleicht wird er es tun müssen, um das Risiko höher zu schrauben. Heute will der Herausforderer es noch einmal positionell versuchen: Der Doppelbauer, den er dem Weltmeister wie in Partie eins auf der c-Linie beschert, ist keine Zierde, auch wenn Schwarz dafür das Läuferpaar erhält.

Den Sonntag haben Caruanas Sekundanten garantiert nicht ruhend verbracht. Sie haben sich tief in die Strukturen der Rossolimo-Variante eingearbeitet und sich bemüht, einen Vorteil versprechenden Weg für ihren Chef aufzuspüren. Irgendwo müssen sie fündig geworden sein. Sonst würde der Herausforderer die Variante, mit der er in Partie eins um ein Haar Schiffbruch erlitten hätte, an diesem Montag nicht bereitwillig wiederholen.

Aber auch das Team Carlsen hat nicht geschlafen. Während der Herausforderer seine Zugfolge zunächst nur variiert, indem er auf 6. h3 verzichtet und stattdessen kurz rochiert, wählt der Champion gleich einen anderen Aufbau. Heute gibt es kein h6 und g5, keine heterogenen Rochaden und langen Springerrouten. Heute geht Carlsens Dame im sechsten Zug nach c7, danach wird erst einmal in Ruhe entwickelt. Auch der schwarze Monarch wird an diesem Tag kurz rochieren.

Panther im Käfig

Und dann legt Caruana die Karten auf den Tisch. Mit 8. a3 und 9. b4 sucht er die Initiative am Damenflügel. Der Anziehende verzichtet auf den Plan f2-f4, wodurch Carlsen zwar mehr Zentralkontrolle behält, weil sein Bauer e5 auf dem Brett bleibt. Gleichzeitig aber wird der schwarze Panther auf g7 auf diese Weise nicht so rasch aus dem Käfig gelassen, der Caruana am Freitag so überaus heftig erschreckt hatte, dass sein König die Beine in die Hand nahm.

Der Weltmeister wirkt nicht ganz glücklich über diesen Gang der Ereignisse. Er nimmt etwas Zeit, entwickelt dann seinen weißfeldrigen Läufer, um ihn sofort gegen Caruanas Springer zu tauschen. Damit ist der Vorteil des Läuferpaars natürlich perdu. Zugleich aber kann Carlsen seine Entwicklung recht sorglos abschließen. Als er mit 12...cxb4 seinen Doppelbauern auflöst und den weißen Druck auf der a-Linie durch 13...a5 abschüttelt, stellt sich die Frage, ob dem Anziehenden irgendein Vorteil verblieben ist.

Die Computerprogramme sagen: Ja. Tatsächlich verfügt Caruana über den agileren Läufer, und seine Schwerfiguren sollten das Rennen um die offene a- sowie die halboffene b-Linie eigentlich gewinnen. Das wäre noch nicht tragisch für Carlsen, die Stellung des Norwegers ist fest, seine Kräfte sind gut koordiniert. Aber es könnte für den Herausforderer den Ansatz für ein langsames positionelles Druckspiel bieten.

Wasser aus dem Stein

Allein, Caruana bekommt die Murmeln an diesem Tag nicht auf die Reihe. Außer dem Tausch sämtlicher Schwerfiguren gelingt dem Herausforderer am Damenflügel weniger als nichts. Und als alles angesichts der verebbten weißen Initiative schon an einen schnellen Remisschluss glaubt, beginnt die Partie dem Weltmeister erst so richtig Spaß zu machen.

Carlsens Position in diesem Endspiel ist vielleicht nicht besser, aber sie spielt sich eine Spur einfacher. Es sind genau solche Stellungen, in denen der Weltmeister am meisten gefürchtet wird. Er liebt es, Wasser aus Steinen zu pressen, wie ein englisches Sprichwort des Norwegers bevorzugte Beschäftigung am Schachbrett beschreibt.

Der österreichische Großmeister Markus Ragger analysiert die dritte Partie der Schach-WM 2018.
Österreichischer Schachbund

Für Caruana ist Carlsens Pressing genauso unangenehm wie für jeden anderen Weltklassespieler. Die Position ist ja remis, das weiß er. Soll er einfach abwarten? Oder die Lage forcieren, aktiv werden, um sich nicht noch stundenlang bedrängen lassen zu müssen?

Während Caruana versucht, die beste Aufstellung zu finden, wird ihm langsam die Zeit knapp. Darauf hat Carlsen gewartet. Der Weltmeister greift Raum, deutet erst rechts dann links einen möglichen Durchbruch mit Freibauernbildung an. Das ist wahrscheinlich alles immer noch nicht schlimm, wird aber doch zunehmend unangenehm für Weiß.

Stirb an einem anderen Tag

Und es geht dabei auch um das Match als Ganzes: Carlsen begreift die zwölf Partien der WM als zwölf Runden eines Boxkampfes. Caruana muss in Runde drei noch nicht k.o. gehen. Es reicht dem Champ, seinen Gegner zu quälen, ihn müde zu spielen und ihm zu zeigen: "Remis machen wir erst, wen du dich richtig verteidigt hast. Und wenn ich es will."

Irgendwann wird Caruana danebengreifen, die Nerven schmeißen, etwas Impulsives tun, so Carlsens Kalkül. Wenn nicht heute, dann eben an einem anderen Tag.

An diesem Montagabend ist es in London noch nicht so weit. Der Herausforderer verteidigt sich geduldig, trifft kurz vor der ersten Zeitkontrolle die korrekte Entscheidung, seinen Läufer gegen Carlsens Springer zu tauschen. Nun verbleibt er zwar mit jener Haken schlagenden Leichtfigur, die einem Läufer im Spiel auf beiden Flügeln mitunter unterlegen ist.

Falscher Läufer

Aber Caruana hat berechnet, dass ihm keine ernste Gefahr droht. Er wird seinen Springer gerade rechtzeitig auf das schöne weiße Zentralfeld d5 manövrieren können, um Carlsens Spiel zu neutralisieren. Am Ende opfert der Amerikaner sein Rössel für den vorletzten Bauern des Weltmeisters. Der verbliebene Randbauer Carlsens und sein schwarzfeldriger Läufer wirken nämlich so ungünstig zusammen, dass – wie die meisten Schachspieler wissen – ein Sieg in diesem Endspiel trotz des großen schwarzen Materialvorteils unmöglich ist. Der weiße König bräuchte sich nur in der rechten unteren Brettecke zu verkriechen, aus der er nicht mehr vertrieben werden kann.

Das lässt sich selbst ein Carlsen nicht mehr zeigen. Nach 49 Zügen endet Partie drei somit remis. Es steht 1,5:1,5.

Am Dienstag um 16 Uhr MEZ führt der Weltmeister zum zweiten Mal in diesem Match die weißen Steine. Entschließt er sich, den Kampf in der von Caruana vorbereiten 10...Td8-Variante des Damengambits aufzunehmen, dann könnte der vierte Durchgang zu einer Schlüsselpartie für den gesamten WM-Kampf werden. (Anatol Vitouch aus London, 12.11.2018)

Die Notation der 3. Partie der Schach-Weltmeisterschaft in London vom Montag:

Weiß: Fabiano Caruana (USA)
Schwarz: Magnus Carlsen (NOR)
Remis – Zwischenstand: 1,5:1,5

1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 g6 4.Lxc6 dxc6 5.d3 Lg7 6.0-0 Dc7 7.Te1 e5 8.a3 Sf6 9.b4 0-0 10.Sbd2 Lg4 11.h3 Lxf3 12.Sxf3 cxb4 13.axb4 a5 14.bxa5 Txa5 15.Ld2 Taa8 16.Db1 Sd7 17.Db4 Tfe8 18.Lc3 b5 19.Txa8 Txa8 20.Ta1 Txa1+ 21.Lxa1 Da7 22.Lc3 Da2 23.Db2 Dxb2 24.Lxb2 f6 25.Kf1 Kf7 26.Ke2 Sc5 27.Lc3 Se6 28.g3 Lf8 29.Sd2 Sg5 30.h4 Se6 31.Sb3 h5 32.Ld2 Ld6 33.c3 c5 34.Le3 Ke7 35.Kd1 Kd7 36.Kc2 f5 37.Kd1 fxe4 38.dxe4 c4 39.Sd2 Sc5 40.Lxc5 Lxc5 41.Ke2 Kc6 42.Sf1 b4 43.cxb4 Lxb4 44.Se3 Kc5 45.f4 exf4 46.gxf4 La5 47.f5 gxf5 48.Sxc4 Kxc4 49.exf5