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Mehr als 30.000 Menschen starben in den vergangen Jahrezehnten im Mittelmeerraum bei Fluchtversuchen.

Foto: REUTERS/Hani Amara

Die EU-Parlamentsabgeordneten stimmten am Mittwoch gegen einen Vorschlag, der die Europäische Kommission dazu aufgefordert hätte, Rechtsvorschriften bezüglich eines humanitären Visums vorzulegen. Personen, die internationalen Schutz suchen, könnten damit bei einer EU-Botschaft oder einem Konsulat in einem Nicht-EU-Land ein Visum beantragen, ohne dabei ihr Leben während der illegalen Einreise nach Europa zu gefährden.

In dem Initiativbericht des sozialdemokratischen spanischen Abgeordneten Juan Fernando López Aguilar wurde ob des "Stillstands" der EU-Kommission in Bezug auf humanitäre Visa eine Reihe von Empfehlungen diskutiert, um progressive Lösungen anzubieten und insbesondere eine Harmonisierung von humanitären Visa in der EU zu erwirken. Vereinfacht gesagt erlauben es humanitäre Visa einer auf der Flucht befindlichen Person, in einem Drittstaat um ein kurzfristiges humanitäres Visum anzusuchen. Im Zuge dieses zeitlich und örtlich beschränkten Visums könnte die Person auf legalem und sicherem Wege – etwa per Flugzeug – in einen EU-Staat einreisen, um dann vor Ort nach Konsultation mit den Behörden zu erfahren, ob es einen berechtigten Asylgrund und somit die Chance auf ein Asylverfahren gibt.

Keine Pflicht der Staaten

Bisher ist – nach einem wegweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs – kein EU-Staat dazu verpflichtet, Menschen ein humanitäres Visum auszustellen. Daran wird sich auch in Zukunft so schnell nichts ändern. Die Schweiz strich 2012 als letzter europäischer Staat die Möglichkeit des auch so genannten Botschaftsasyls. Sehr wohl aber steht es jedem EU-Staat frei, dies aus freien Stücken zu tun.

Weil es derzeit keine harmonisierte Gesetzeslage gibt, hatte López Aguilar versucht, die Thematik auf eine europäische Ebene zu heben, habe man doch den Auftrag, durch ein "gemeinsames europäisches Asylsystem solidarisch zu handeln und Verantwortung zu teilen", so López Aguilar. Eine Annahme des Berichts hätte die EU-Kommission dazu bringen sollen, aktiv zu werden und etwaige Rechtsvorschriften zur Behandlung dieser Angelegenheit vorzulegen.

Laut den Vorschlägen des EU-Parlaments wäre ein etwaiges europäisches humanitäres Visum in aller Regel auf 15 Arbeitstage beschränkt. Zuvor würde die reale Bedrohungslage für die flüchtenden Menschen im Drittstaat geprüft werden. Besonders würden dafür momentan beispielsweise "Familien, die einer religiösen Gemeinschaft angehören, die Verfolgung oder systemischer Gewalt ausgesetzt" sind, infrage kommen, betont López Aguilar. Dies sei etwa der Fall "für Christen in Syrien und im Irak, für Nichtmuslime in Afghanistan, für LGBT-Personen in den meisten muslimischen Ländern oder für ethnische Gemeinschaften, deren Sicherheit gefährdet ist", sagte López Aguilar noch vor der Abstimmung. Im Falle eines positiven Antrags würde es zu einem persönlichen Interview durch geschultes Personal in einem EU-Staat kommen. Auch eine etwaige Einspruchsfrist würde in die Zeitspanne von 15 Arbeitstagen fallen liegen.

Offene Fragen

Viele Fragen, wie eine etwaige faire Aufteilung auf die Staaten oder genaue Umsetzungspläne waren zum Zeitpunkt des Antrags noch offen, handelte es sich schließlich nur um eine Aufforderung an die Kommission. Der Weg bis hin zu einem konkreten EU-Gesetz wäre ohnehin noch lang gewesen und erschien ob der aktuellen politischen Großwetterlage in Europa ohnehin von sehr vielen Stolpersteinen gesäumt. Dennoch zeigte sich besonders López Aguilar schwer enttäuscht nach der Niederlage im Parlament. Er kritisierte abermals, dass es per se keine legalen Möglichkeiten für Flüchtlinge gebe, bei geschlossenen Grenzen um Asyl anzusuchen. Im zuständigen Ausschuss wurde das notwendige Quorum vorab noch erreicht, auch weil López Aguilar den Abgeordneten vermitteln konnte, dass es sich bei der Initiative um eine sinnvolle Ergänzung zu den Resettlement-Programmen handelt, wie er bei einer Pressekonferenz nach dem Votum sagte.

Abstimmungsprobleme

López Aguilar vermutete bei jener Pressekonferenz auch eine "technische Situation". Die Abstimmung über das humanitäre Visum war als letzte eines eineinhalbstündigen Marathons angesetzt. Antonio Tajani, Präsident des EU-Parlaments, forderte wie bei Abstimmungen über einen Initiativbericht üblich eine absolute Mehrheit, damit dieser angenommen werden kann – sprich nicht nur eine Mehrheit aller Anwesenden, sondern eine aller 751 ständigen Mitglieder. Drei Sekunden vor dem finalen Votum hatten noch 655 Parlamentarier über einen Abänderungsantrag abgestimmt.

Bei der finalen Abstimmung stimmten dann nur noch 595 Abgeordnete ab. Der Antrag scheiterte mit 349 Prostimmen denkbar knapp an der notwendigen 375-Stimmen-Hürde. López Aguilar vermutete deshalb, dass zu viele Abgeordnete ihre Karte zu früh rausgezogen hätten, und forderte deshalb eine Wiederholung der Abstimmung am Donnerstagmorgen, was Parlamentspräsident Antonio Tajani ablehnte – es sei schließlich die Schuld der Parlamentarier. López Aguilar hingegen sagte, dass Tajanis zweiminütige Belehrung über das Stimmverhalten einige Abgeordnete dazu bewogen hätte, ihre Stimmkarte früher rauszuziehen.

Hohe Kosten

Befürworter der humanitären Visa unterstreichen vor allem die Absurdität der aktuellen Situation, wonach rund 90 Prozent all jener Personen, die derzeit internationalen Schutz in einem EU-Staat genießen, EU-Boden nur auf illegalem Wege erreichen konnten. Die Geflüchteten mussten dabei nicht nur hohe menschliche Kosten – etwa die Gefahr, während der Reise umzukommen oder verletzt zu werden –, sondern auch soziale (psychologische Traumata), aber auch wirtschaftliche Kosten tragen. Immerhin haben die meisten ihren Schleppern mehrere Tausend Euro in die Hand gedrückt, um den Transport zu organisieren. Eine legale Einreise per humanitäres Visum dürfte den Schleppern zumindest diesen "Geschäftszweig" wirkungsvoller abdrehen als so manche Routenschließung, was lediglich zur Folge hatte, dass meist auf gefährlichere Fluchtrouten ausgewichen wird.

Für die Mitgliedsstaaten könnten zudem erhöhte Kosten, die durch den intensivierten Grenzschutz innerhalb des Schengenraums und wegen Rückführungen von Personen, deren Asylgesuch negativ ausfiel, entstünden, vermieden werden. Und was man bei all den Diskussionen um humanitäre Visa nicht vergessen dürfe, so López Aguilar, seien die mehr als 30.000 Menschen, die in den vergangenen Jahren bei Fluchtversuchen im Mittelmeerraum umgekommen sind, weil man ihnen keine Möglichkeit eines humanitären Visums bot. (Fabian Sommavilla aus Straßburg, 15.11.2018)