In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Immer wieder habe ich davon gehört: Kleidung, die ich in Container auf der Straße werfe, richtet mehr Leid an, als sie Gutes tut. Kritische Dokus, Artikel – die Kleiderspenden sollen Jobs in Afrika vernichten – ich wusste nie, was ich davon halten soll. Was dazu führte, dass ich zwei Säcke voll Kleidung zwei Jahre lang bei mir im Bad stehen ließ. Bis sie mich so nervten und ich sie doch in einen Container warf. War das ein Fehler?

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Die Caritas und viele andere sammeln Kleider in Containern.
Foto: Heribert Corn

Also, was passiert wirklich mit meinen Kleiderspenden? Fangen wir ganz von vorne an. In Österreich kommen im Jahr bis zu 100.000 Tonnen Altkleider zusammen, sie landen in Containern, Secondhand-Shops oder direkt bei karitativen Einrichtungen.

Zum Beispiel beim Roten Kreuz, der Caritas, Humana oder Kolping. Die Caritas verkauft die Kleidung in ihren Carla-Shops, gibt sie an Bedürftige weiter oder muss sie aufgrund des Zustands zum Teil auch entsorgen. Gut die Hälfte wird ins Ausland verkauft. "Die riesigen Mengen, die wir und andere bekommen, kann man unmöglich nur in Europa absetzen", sagt Elisabeth Mimra, die in Wien für die Carla-Läden zuständig ist. Wo man sie abgibt, ist dabei egal: Was nicht gebraucht wird, aber noch verwendbar ist, wird verkauft.

Das Rote Kreuz und Kolping machen es ähnlich. Ein Teil geht an Hilfsbedürftige in Österreich, der größere Teil wird recycelt, zu Putzlappen oder Dämmmaterial, oder geht als Secondhand-Kleidung ins Ausland. Humana verkauft in den eigenen Shops in Europa, in den globalen Süden geht laut Eigenauskunft derzeit nichts. Mit Humana ist das aber so eine Sache.

Nach dem Tvind-Gründer Mogens Amdi Peterson wird gefahndet.
Foto: Interpol

Das Magazin "Datum" zeigte vor einigen Jahren Verbindungen zu der Sekte Tvind auf. Deren Gründer Mogens Amdi Peterson wird nach wie vor per internationalem Haftbefehl gesucht. Der "Guardian" nennt Humana eine der komischsten ("strangest") NGOs der Welt. Ein Institut in Deutschland, das NGOs bewertet, nennt Humana "intransparent und unglaubwürdig".

Ich habe Humana mit den Vorwürfen konfrontiert. Als Antwort kam lediglich ein Verweis auf den Jahresbericht der Organisation. Ich spende meine Kleidung also sicher nicht bei Humana, aber darum soll es hier nicht gehen.

Der Punkt: Viele geben ihre Kleidung in Container und denken an Obdachlose oder Arme. Tatsächlich wird sehr viel davon aber schlicht und einfach verkauft. Das Geld bleibt dann zum Beispiel bei der Caritas oder beim Roten Kreuz, ist quasi indirekt eine Spende für die Organisation. Das ist nichts Schlechtes, die Kleidung verliert man aber aus den Augen.

Und jetzt beginnt es interessant zu werden. Was dann passiert, hat Andrew Brooks vom King's College in London am Beispiel einer Bluse, die in England gespendet wurde, erklärt. Die Geschichte stammt aus seinem Buch "Clothing Poverty". So ähnlich läuft das auch mit meinen Hosen ab.

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Mehrere Ziegen auf einem Auto in Beira, Mosambik.
Foto: AP / Tsvangirayi Mukwazhi

Die Bluse landet mit viel anderer Kleidung in einem Sortierzentrum. Dort kommt sie mit anderen Blusen in einen großen Sack, meist hat er 45 Kilo, das ist standardisiert. Ein paar hundert dieser Säcke werden auf ein Containerschiff verladen – und landen im konkreten Fall in Beira, Mosambik. Dort liegt die Bluse eine Woche beim Zoll im Hafen, bis sie auf einen Truck kommt. Über die Straße wird die Bluse nach Chipata in Sambia gebracht.

Dort wartet Khalid schon freudig auf die neue Ware, er ist ein indischer Großhändler, der im Jahr 20 solche Containerladungen aufkauft und dann an kleine Händler weiterverkauft. Unsere Bluse landet bei Mary, einer sambischen Verkäuferin, sie kauft immer einen ganzen Sack, reinschauen kann sie erst danach.

Manchmal hat sie Glück, manchmal Pech. Am Ende landet unsere Bluse am Markt in Chipata, wahrscheinlich wird sie jemand kaufen, der relativ arm ist, die gebrauchte Kleidung ist billiger als die, die man sonst bekommt.

Anstatt meine Kleidung wegzuwerfen, wird daraus über einen Container also eine Spende an eine karitative Einrichtung. Menschen mit wenig Geld kommen so günstiger an Kleidung. Wo ist also das Problem?

Arbeiterinnen in einer Fabrik in Kapstadt.
Foto: APA/AFP/RODGER BOSCH

Einiges spricht dafür, dass Kleiderspenden zumindest einen kleinen Anteil am Niedergang von Afrikas Textilindustrie haben. Südafrika hat noch den größten Textilsektor des Kontinents, auch wenn er in den vergangenen zehn Jahren um mehr als die Hälfte eingebrochen ist, sagt Gerhardus van Zyl von der Universität Johannesburg.

"Der Textilsektor ist massiv unter Druck", sagt er, "das liegt vor allem an billigen Importen aus Thailand, Indien oder China. Aber auch Kleiderspenden tragen dazu bei." Und das, obwohl viele Länder, inklusive Südafrika, den Import der alten Kleidung aus dem Westen entweder mit hohen Zöllen belegen oder ganz untersagt haben.

Oft wird die Ware dann einfach ins Land geschmuggelt. "Unsere Industrie ist nicht so produktiv wie die in Asien", sagt van Zyl, "die Maschinen sind veraltet, es wird nicht viel investiert." Auch wenn es um die Industrie nicht so gut stehe, würde sich die Politik sehr um sie bemühen. "Ein Textilsektor wirkt in Ländern oft positiv auf die allgemeine Entwicklung."

Van Zyl sagt, man müsse die restlichen Jobs beschützen, "die europäische Secondhand-Kleidung wird in afrikanischen Ländern daher nicht sehr positiv gesehen".

Auch eine von der WTO publizierte Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Importe der Industrie in Malawi geschadet haben, eine Arbeit der University of Toronto macht sie für ganz Afrika für fast die Hälfte des Rückgangs der Produktion zwischen 1981 und 2000 verantwortlich.

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Näherinnen in Dhaka, Bangladesch.
Foto: AP / A.M. Ahad

Also, dann Kleidung lieber nicht in die Container werfen?

Da sind sich nicht alle einig. Der Yale-Ökonom Mushfiq Mobarak sagt, unter dem Strich würde Afrika davon profitieren. Denn: Für die Menschen vor Ort gebe es mehr Auswahl und billigere Kleidung. In Ländern, in denen extreme Armut grassiert, sei das wichtig.

Wenn Afrika im Jahr 2018 Jobs in der Textilindustrie wolle, konkurriere der Kontinent nicht mit Kleiderspenden, sondern mit effizienten Firmen Südostasiens. "Bangladesch hatte vor 50 Jahren quasi null Textilindustrie", sagt er, heute sei es der zweitgrößte Produzent von Kleidung in der Welt.

"Die Nachfrage von Menschen in Bangladesch selbst spielte dafür keine Rolle. Alle Firmen, die es heute gibt, richten sich nach dem Weltmarkt. Von den alten, die für den lokalen Markt produziert haben, sind keine mehr übrig."

Heißt: Wenn ein afrikanisches Land nachhaltig Jobs schaffen will, reicht es nicht, wenn Firmen Kleidung an die eigene, meist sehr arme Bevölkerung verkaufen. Nur dann wäre der Import von gebrauchter Kleidung schädlich. Subsahara-Afrika zeichnet derzeit aber nur für ein halbes Prozent der weltweiten Textilexporte verantwortlich.

Gebrauchte Kleidung auf einem Markt in Nairobi, Kenia.
Foto: APA/AFP/SIMON MAINA

Sind Kleiderspenden dann also unbedenklich, die Jobs ohnehin weg und künftige nur mit Blick auf den Weltmarkt zu kreieren?

Wenn jemand meine Gedanken ordnen kann, dann Karen Tranberg Hansen. Sie ist Anthropologin an der Northwestern University und hat sich so ausführlich wie kaum eine andere mit dem Thema befasst. Ist es okay, wenn NGOs unsere alte Kleidung in arme Länder verkaufen?

Das sei die falsche Frage, sagt Tranberg Hansen. "Das wahre Problem ist unser Umgang mit Kleidung, wir kaufen billiger und billiger, mehr und mehr und werfen es oft ungenutzt wieder weg. Die Schuldigen sind wir, sicher nicht die NGOs, die sammeln."

"Dass die Kleidung am Ende nicht auf einer Mülldeponie landet, macht Sinn. Aber ich bin Ihrer Frage ausgewichen, mir geht es nur darum, zuerst einmal auf uns selbst zu blicken."

Ich bin unschuldig, sage ich, kaufe selten und wenig Kleidung. Ist es dann okay?

"Wir Expertinnen sind uns da nicht ganz einig", sagt Tranberg Hansen, "ich persönlich finde es total okay, die Kleidung in Container zu werfen. Den Verkauf von Secondhand-Kleidung in ärmere Länder zu stoppen würde der lokalen Industrie nicht viel bringen. Am Ende hilft die billige Kleidung aber Menschen und schafft durch den Handel der Waren auch Jobs."

Das klingt nachvollziehbar. Ich muss also kein schlechtes Gewissen haben, weil ich meine alte Kleidung in Spendencontainer werfe – und sie künftig nicht mehr Jahre im Bad stehen lassen. Gut zu wissen.

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