Der Recovery-Gletscher wurde von einem Forschungsflugzeug aus radarvermessen – das Ergebnis war anders als erwartet.
Foto: Alfred-Wegener-Institut / Daniel Steinhage

Bremerhaven – In der Region des Recovery-Gletschers im antarktischen Coats Land – am östlichen Rand des Weddell-Meers – sind große Eisströme zu verzeichnen. Als mögliche Erklärung dafür wurde angenommen, dass sich dort Schmelzwasserseen unter dem Ostantarktischen Eisschild befinden, die überlaufen und die Gletscher ins Rutschen bringen. Eine Expedition in die Region hat aber zu Ergebnissen geführt, die dieser Vermutung widersprechen, berichtet das Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven. Es konnten kaum größere Wasseransammlungen festgestellt werden.

Langsame Ströme aus Eis

Der Recovery-Gletscher ist laut AWI ein "schlafender Riese" – zumindest bislang. Im Schneckentempo von 10 bis 400 Meter pro Jahr transportiert er Eismassen vom Hochplateau des Ostantarktischen Eisschildes hinab Richtung Weddell-Meer. Sein Einzugsgebiet reicht dabei vom Filchner-Schelfeis an der Küste rund 1.000 Kilometer weit in das Landesinnere und erstreckt sich über eine Fläche fast dreimal so groß wie Deutschland.

Beides könnte den Gletscher zu einem gefährlichen Akteur machen, sollte er eines Tages im Zuge des Klimawandels Tempo aufnehmen. Prognosen zufolge wäre er dann jener Strom, über den die Ostantarktis das meiste Eis verlieren würde. Ein Anstieg des weltweiten Meeresspiegels wäre die unmittelbare Folge.

"Aquaplaning" vermutet

Man dachte, dass Schmelzwasserseen unter dem Eis gelegentlich überlaufen und dabei einen Gleitfilm entstehen lassen, auf dem das Eis dann rutscht wie ein Auto beim Aquaplaning. Diese Annahme galt vor allem für jene Regionen des Ostantarktischen Eisschildes, in denen Schwerkraft allein nicht ausreicht, um Eis so schnell fließen zu lassen. Dazu zählt auch das Entstehungsgebiet des Recovery-Gletschers.

"Auf Satellitenaufnahmen des Gletschers erkennen wir gerade im oberen Einzugsgebiet viele flache, gleichförmige Bereiche an der Oberfläche. Von ihnen hatte man bisher angenommen, dass sich an der Unterseite des Eispanzers riesige Seen befänden, die den Eisstrom initiieren. Ohne diese Seen, so lautete die Vorstellung, würden Eisströme wie der Recovery-Gletscher gar nicht erst entstehen", sagt Angelika Humbert, Erstautorin der neuen Studie und Leiterin der Sektion Glaziologie am AWI.

Erwartungen enttäuscht

Durch die Überprüfung vor Ort muss diese Hypothese aber nun wohl zu den Akten gelegt werden. Im antarktischen Sommer 2013/14 haben AWI-Forscher den Recovery-Gletscher von Bord des Forschungsflugzeuges Polar 6 aus großflächig mit dem Radar vermessen. Dessen Daten verraten bis zu einem gewissen Maße, ob der Untergrund unter dem Eisstrom nass oder trocken ist.

"Bis zu unserer Expedition waren die Form des Recovery-Gletschers und die Gestalt des Felsbetts darunter weitgehend unbekannt. Einige der weißen Flecken auf der Antarktiskarte können wir nun mit Daten füllen", sagt Humbert. Die postulierten Wasseransammlungen von der Größe des Bodensees und mehr haben die Wissenschafter aber nicht gefunden, obwohl sie ihre Radardaten auf jedes bekannte See-Merkmal hin untersucht haben.

Wieder am Anfang

Die Antwort auf die Frage, warum sich die Eismassen des Recovery-Gletschers überhaupt in Bewegung setzen, ist damit ungewisser als je zuvor. Humbert ergänzt: "Gleichzeitig weisen unsere Radar-Untersuchungen Schwächen auf, die uns daran zweifeln lassen, ob diese Methode wirklich geeignet ist, subglaziale Seen im vollen Ausmaß nachzuweisen. Da sich nun aber auch die Oberflächen- und Höhenanalysen als ungeeignet erwiesen haben, bleiben uns eigentlich nur seismische Untersuchungen, um wirklich zu verstehen, warum sich Eisströme in Bewegung setzen."

Daher wollen die Forscher mit einer Folgeexpedition im antarktischen Sommer 2020/21 dem Recovery-Gletscher mit einer seismischen Traverse unter das Eis schauen. Parallel dazu soll ein Forschungsflugzeug den Gletscher mit dem neuen AWI-Ultra-Breitband-Eisradar untersuchen. Beide Datensätze zusammen werden dann vielleicht Aufschluss darüber geben, warum das Eis des Recovery-Gletschers zu gleiten beginnt, hoffen die Forscher. (red, 16. 11. 2018)