Die Mikrofone sind eingeschaltet, die Kameras laufen. Die Anzüge sitzen, die Frisuren halten. Welche Nachricht sie an diesem Tag verkünden werden, wissen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Vize Heinz-Christian Strache (FPÖ): Jede Botschaft folgt einem Drehbuch, Politik wird in Szene gesetzt.

Die Regisseure der Koalition wissen, was sie tun. Die Werkzeuge, die sie verwenden, sind simpel: Bei der türkis-blauen Selbstdarstellung wird dick aufgetragen – das darf auch kosten. Unangenehme Themen werden nicht kommentiert, sondern ausgesessen – als Gegenmittel wird ein Skandal herbeigeredet. Und stellt sich heraus, dass die Fakten sich nicht in die türkis-blaue Dramaturgie einfügen, werden sie kurzerhand passend gemacht

Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz spielen erfolgreich auf dem politischen Parkett.
Foto: matthias cremer

Der Ausgabentrick

Inszenierung kostet Geld. Obwohl Türkis-Blau bei Regierungsantritt erklärte, im System sparen zu wollen, dürfte das schnell wieder in Vergessenheit geraten sein. Genauer gesagt geschah das schon vor Amtsantritt. Sowohl ÖVP als auch FPÖ überschritten die gesetzlich auf sieben Millionen Euro limitierten Wahlkampfkosten um Millionen.

Noch vor Beginn der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft flogen alle Ressortchefs für ihren wöchentlichen Jour fixe – den Ministerrat – nach Brüssel. Kosten: knapp 50.000 Euro. Im Juni reiste die Regierung nach Linz, um gemeinsam mit der bayerischen Regierung über die Bedeutung des Grenzschutzes zu sprechen – möglichst vor laufender Kamera, zwischen den Fototerminen. Das kostete mehr als 11.000 Euro.

Eine öffentlichkeitswirksam inszenierte Großübung der Exekutive Ende Juni in Spielfeld, die einen "Migrantenansturm" simulieren sollte, ließen sich die beiden blauen Minister Herbert Kickl und Mario Kunasek 536.000 Euro kosten – ganz Österreich berichtete. Zunächst wurden die Ausgaben vom Ministerium mit rund 200.000 beziffert, erst durch eine Anfrage im Parlament wurden die echten Zahlen veröffentlicht.

Wofür die Regierung Geld ausgibt, wollte auch Neos-Abgeordnete Claudia Gamon wissen und richtete parlamentarische Anfragen an alle Ministerien. Ihr Fazit: "Die unverschämte Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze, unnötige Grenzübungen oder auch diverse teure Veranstaltungen während der Ratspräsidentschaft ohne Output zeigen die Ausmaße der Eigen-PR." Sie sieht darin ein Ablenkungsmanöver zur Verschleierung dessen, dass die "Regierung bei echten Reformen auslässt" . Ihre Kritik: Anstatt die Bevölkerung zu informieren, "zelebrieren sich der Kanzler und seine Minister selbst".

Regierung auf Ausflug: Der wöchentliche Ministerrat wurde im Juni nach Brüssel verlegt. Kosten: Knapp 50.000 Euro.
Foto: apa / roland schlager

Der Ablenkungstrick

Platz in Zeitungen sowie Sendeminuten in Fernsehen und Radio sind begrenzt, das wissen auch Kurz und Strache: Machen sie ein Thema groß, muss ein anderes klein werden. Im Juni luden Kanzler, Vizekanzler, Innen- und Kultusminister zu einer Pressekonferenz – kurzfristig und frühmorgens. "Im Kampf gegen den politischen Islam" schließe man nun Moscheen und weise Imame aus. Wochen später stellt sich die Maßnahme als Rohrkrepierer heraus: Die Moscheen sind wieder offen, die Bescheide hielten nicht. Doch für ein paar Tage sprach niemand mehr über Rauchverbot oder Zwölfstundentag – zwei Themen, die für Türkis-Blau unangenehm geworden waren.

"Während die Opposition immer auf die Regierungsthemen aufspringt und versucht, sie zu entzaubern, macht die Regierung das Gegenteil: abwarten und ablenken", analysiert der Politikwissenschafter Peter Filzmaier. So erklärt er sich die Einführung der Teststrecke von 140 km/h auf Autobahnen. Es gebe keine Not, aber das Bewusstsein, dass dieses Thema emotionalisiert.

"Natürlich sind diese Sachen nicht unwillkommen", sagt Lore Hayek, die an der Universität Innsbruck zu politischer Kommunikation forscht. Aber sie zweifelt daran, dass die Ablenkungen immer auch als solche geplant seien. "Da ist um einiges mehr an Zufall dabei, als man erwarten würde."

Filzmaier sieht darin sehr wohl eine Strategie. Die günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen würden Sozialzuckerln wie den Familienbonus überlagern. Es gebe keine Themen auf ihrer Agenda, die für sie gefährlich werden könnten: "Eine Pensionsreform wird vermieden. Das würde beiden Parteien schaden." Der FPÖ, weil ihre Wähler als Niedrigverdiener auch weniger Pension erhalten würden, der ÖVP, weil ihre Wähler eher älter seien.

Kampf gegen den "politischen Islam": Von den angekündigten Moscheenschließungen blieb nicht viel übrig.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Der Schönungstrick

Der letzte Schliff der türkis-blauen Strategen: nicht einlenken, dranbleiben und schönreden. So geschehen bei der Präsentation der neuen Struktur der Sozialversicherungen. Eine Einsparung von einer Milliarde Euro versprach der Kanzler. Schnell zerlegten die Neos die Rechenkünste der Koalition, selbst der Budgetdienst des Parlaments bezweifelt die Angaben zu Einsparungen.

Dass die Regierung trotz aller Widerrede weiterhin von der "Kassenmilliarde" spricht, ist für Filzmaier nicht weiter verwunderlich. Er begründet das mit der Wahrnehmbarkeit großer Zahlen. Eine Milliarde wird von Wählern als Symbolbegriff gesehen: "Alles, was über eine Million hinausgeht, wird in der Bevölkerung bloß als urviel eingestuft." Egal wie hoch der Nutzen letztlich sei: Hängen bleibe, dass eingespart werde.

Das Papier hält nicht, was es verspricht: Die Milliarde, die im Kassensystem gespart werden soll, ist gerade einmal 300 Millionen Euro schwer.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Beste Voraussetzungen

Mit diesen Tricks hat die Regierung das Rad nicht neu erfunden – doch warum funktioniert die Inszenierung bei Türkis-Blau so viel besser als in der rot-schwarzen Vergangenheit? "Die Koalition agiert als Einheit", lautet Filzmaiers Befund. Dadurch wirke ihr Auftritt professionell. Für Hayek ist die Harmonie bereits im Wahlergebnis begründet: "Die Ausgangssituation war günstig, weil beide Parteien circa gleich groß sind." Weder ÖVP noch FPÖ mussten unverkraftbare Zugeständnisse machen. "Gleichzeitig haben die Freiheitlichen ihre Rolle als Nummer zwei akzeptiert", ergänzt Filzmaier. Wenn das so bleibt, kann sich die Regierung weiterhin in der bewährten Trickkiste bedienen. (Marie-Theres Egyed, Sebastian Fellner, 14.11.2018)