Das Fossil von Scaphognathus crassirostris aus dem Solnhofener Plattenkalk.
Foto: Palaeontologia Electronica/Universität Bonn

Bonn – Fast 200 Jahre sind vergangen, seit der deutsche Gelehrte Georg August Goldfuß das Fossil eines Flugsauriers beschrieb und konstatierte, dass das Tier eine Art Fell gehabt habe. Das war noch vor der Veröffentlichung von Charles Darwins Evolutionstheorie und noch länger vor der Entdeckung des gefiederten Archaeopteryx-Fossils – dementsprechend stieß Goldfuß mit seiner Vermutung unter Fachkollegen auf Ablehnung. Doch nun ist der Pionier der Paläontologe "rehabilitiert", berichtet die Universität Bonn: Neue Untersuchungen bestätigen nämlich Goldfuß' Annahme.

Pionier der Paläontologie

Georg August Goldfuß (1782-1848) war Professor für Zoologie und Mineralogie an der Universität Bonn und gründete das paläontologische Museum, das heute Goldfuß-Museum heißt. Er beschrieb zahlreiche Fossilien, darunter auch das von Scaphognathus crassirostris, das im Solnhofener Plattenkalk gefunden wurde. Dabei handelt es sich um einen mittelgroßen Flugsaurier mit etwa 90 Zentimeter Flügelspannweite, der zur Familie der Rhamphorhynchiden gehört – typisch für diese war ein langer Schwanz.

Das erste Exemplar dieser rund 150 Millionen Jahre alten Art erwarb Goldfuß für das Museum. Seine Beschreibung des Flugsauriers veröffentlichte er 1831 im Fachjournal "Nova Acta Leopoldina". Eine Zeichnung in Goldfuß' Publikation zeigt Scaphognathus crassirostris an einer Felsküste, wo sich der Flugsaurier aktiv in die Lüfte erhebt. Laut dem Bonner Paläontologen Kai Jäger handelt es sich dabei um die erste wissenschaftliche Lebendrekonstruktion eines ausgestorbenen Wirbeltieres in seinem Lebensraum.

Vermutung abgetan

Bei der Präparation des Fossils fielen Goldfuß unter der Lupe winzige Unebenheiten im Gestein auf, wenn das Licht in einem ganz bestimmten Winkel den Plattenkalk beleuchtete. Goldfuß war der Überzeugung, dass es sich bei den Abdrücken im Fossil um frühe Haare handelte, die als Wärmeisolation für die Flugsaurier dienten.

Wissenschafter der nachfolgenden Generation aus der Mitte des 19. Jahrhunderts taten diese Beschreibung allerdings als blühende Fantasie ab. Bei den feinen Unebenheiten handele es sich vielmehr um bereits im Gestein angelegte Strukturen, glaubten sie. Und so geriet die frühe Beobachtung von Goldfuß weitestgehend in Vergessenheit.

Alternatives Haarkleid

Heute weiß man es längst besser. Haare im wörtlichen Sinne hatten Flugsaurier zwar nicht: Sie gehörten zur selben Stammlinie von Landwirbeltieren wie Dinosaurier, Vögel und Krokodile, und die Ausbildung eines Fells blieb der anderen Linie vorbehalten, die die Säugetiere und deren ausgestorbene Verwandte umfasst. Dafür konnten Flugsaurier sogenannte Pycnofasern aufweisen: Strukturen, die in Form und Funktion Haaren entsprachen, auch wenn sie einen völlig anderen evolutionären Ursprung hatten. Zumindest manche Flugsaurier trugen ein solches Fell-Äquivalent. Einer davon wurde sogar danach benannt – Sordes pilosus bedeutet in etwa "haariger Dämon".

Neuuntersuchung bestätigt Goldfuß

Und Vergleichbares galt offenbar auch für Scaphognathus crassirostris: Der Lehrer Helmut Tischlinger aus Stammham in Bayern erforscht seit Jahrzehnten die Solnhofener Plattenkalke und fotografiert Fossilien auch im UV-Wellenlängenbereich, um Weichteile sichtbar zu machen. Er nutzte die UV-Methode nun auch für das Scaphognathus-Fossil. Dort, wo sich Knochen und Weichteile befunden haben, erscheint die UV-Fotografie des Fossils in einem Gelbton. Die haarartigen Strukturen, welche nur als schwache Abdrücke überliefert waren, waren aber erst gut zu erkennen, als Forscher zusätzlich die RTI-Methode (Reflectance Transformation Imaging) nutzten.

Noch einmal dasselbe Fossil, diesmal auf einer RTI-Aufnahme mit aktiviertem Filter, der die Farben entfernt und die Reflektionseigenschaften verändert hat, wodurch feine Reliefunterschiede sichtbar wurden. Die Pfeile weisen darauf hin, wo Spuren von (Pseudo-)Haaren entdeckt wurden.
Foto: Palaeontologia Electronica/Universität Bonn

"RTI ist in der Archäologie schon länger verbreitet, in der Paläontologie aber wenig bekannt", sagt Jäger. Mit der Methode lassen sich kleinste Reliefunterschiede sichtbar machen. Eine Fotokamera wird fest auf ein Stativ montiert und auf das Fossil gerichtet. Das Blitzlicht ist beweglich und wird im Kreis um das abzulichtende Objekt drum herum bewegt. 30 bis 40 Aufnahmen des Fossils mit unterschiedlichen Blitzpositionen werden anschließend von einer Spezialsoftware zu einer einzigen Datei verrechnet. Nun lässt sich am Bild die Lichtquelle digital verändern und der Schattenwurf betrachten.

In der RTI-Datei zeichneten sich dann deutlich "haarartige" Strukturen im Plattenkalk ab. Dort weisen die UV-Aufnahmen ganz klar auf Weichteilgewebe wie eine Haut oder ein Fell hin. Jäger: "Die RTI- und die UV-Methode zusammen erbringen den Beweis, dass Goldfuß Recht hatte: Es handelt sich dabei tatsächlich um Flaum 'haarartiger' Fasern." Fast 180 Jahre nach der Erstveröffentlichung sehen die Wissenschafter der Uni Bonn damit Goldfuß als rehabilitiert an. "Goldfuß war seiner Zeit weit voraus", sagt Jäger. "Seine Verdienste sollten spätestens mit diesem Ergebnis entsprechend gewürdigt werden." (red, 14. 11. 2018)