Pro Jahr kommen rund 3.000 neue Parfumkreationen auf den Markt – sehr zum Kummer von Andrea Schaffner Dittler. Sie würde ja so gern an allen riechen, aber das wäre ein Ganztagsjob und würde wohl auch ihre Nase überfordern. Andererseits ist Duft vergänglich, von manchen der 40.000 bis 60.000 historischen Parfums sind nur noch zwei oder drei Exemplare erhalten, andere sind unauffindbar oder ganz erloschen.

"Ausgestorben", sagt sie, als seien es Lebewesen. Also sammelt sie. Die Verpackung ist ihr dabei egal, es geht um den Inhalt: "Von mir aus kann ein Parfum auch im Joghurtbecher kommen, solange der dicht schließt."

Die Sammlung im Kellergeschoß ihres Einfamilienhauses in der Nähe von München umfasst inzwischen 1.300 bis 1.400 Vintage-Parfums. So genau weiß Andrea Schaffner Dittler das nicht, und sie verfolgt auch keine feste Strategie. "Ein Parfum passt, wenn es einem ein unwillkürliches Lächeln ins Gesicht zaubert. Das ist der Moment, um den es mir bei der Auswahl geht."

Die Kunsthistorikerin Andrea Schaffner Dittler absolviert eine Ausbildung zur Parfümeurin.
Foto: Tobias Hase

Allerdings zieht sie die Komplexität und Fülle klassischer Kompositionen der Leuchtkraft zeitgenössischer Varianten vor. "Die vielen natürlichen Bestandteile in Vintage-Parfums wie Jasmin- oder Rosenöl sind schon in sich komplex. Echtes Zitronenöl zum Beispiel besteht aus 300 verschiedenen Duftmolekülen. Das riecht dann wie die Frucht. Synthetisch hergestellt, geht das Ergebnis eher Richtung Zitrusspülmittel."

Komponieren an der Duftorgel

Vor dreieinhalb Jahren hat die Kunsthistorikerin selbst eine Ausbildung zur Parfümeurin begonnen. An ihrer Duftorgel im heimischen Obergeschoß kreiert sie Kompositionen für erste Klienten. Dabei arbeitet sie ausschließlich mit natürlichen Materialien. Viele davon werden in der kommerziellen Parfümerie nicht mehr verwendet, weil sie zu kompliziert herzustellen oder nur eingeschränkt verfügbar sind – und daher zu teuer.

Bei Andrea Schaffner Dittler stehen die kostbaren Basiszutaten in Glasgefäßen auf der Arbeitsplatte aufgereiht: Moschus, Bibergeil, Propolis. Ambra, eine graue, wachsartige Substanz aus dem Verdauungstrakt von Pottwalen, die "eine Wirkung hat wie Licht hinter Kirchenfenstern". Civette, ein Drüsensekret der Zibetkatze, das "aus der Nähe nach einem Hinterteil riecht und mit der Entfernung immer blumiger wird".

Andrea Schaffner Dittler bezeichnet ihre Sammlung als Osmothek.
Foto: Tobias Hase

Die Duftliebhaberin selbst trägt selten Parfum. Und wenn, dann darf es auch einmal ein Männeraroma sein. Mit dem Griff auf die "falsche" Seite des Parfumregals steht sie aber nicht allein in der Geschichte. Selbst "Old Spice" – die Ikone des Männerparfums schlechthin – wurde schließlich zuerst als Frauenduft auf den Markt gebracht. Ein Flop. Erst beim zweiten Anlauf, abgefüllt in die weißen Barbershop-Flaschen, wurde es ein Hit – bei der männlichen Kundschaft.

Geruchsszenen zur Verfilmung

Um das Interesse der Sammlerin zu wecken, muss eine Komposition nicht unbedingt gut riechen. Andrea Schaffner Dittler greift zu einem mit rotem Samt ausgeschlagenen Präsentierkästchen. Darauf stecken 15 gläserne Miniflakons in flachen Mulden. Zum Filmstart von "Das Parfum" dienten die Duftproben als Marketingtool. Das Parfümeur-Duo Christophe Laudamiel und Christoph Hornetz hatten die Filmszenen olfaktorisch für das Mode- und Kosmetikhaus Thierry Mugler nachempfunden.

Unerschrocken hebt Andrea Schaffner Dittler einen konischen Glasstopfen aus einem der kleinen Behälter und zieht sich eine Prise "Paris 1783" in die Nase – eine Schwade von verdorbenem Fisch und Fäkalien, Katzenurin und Teer, Essensdunst und Leder wabert durch den Raum. So also roch es in den Pariser Gassen zur Zeit des Ancien Régime.

In diesem Geruchsarchiv finden sich neben verschiedensten Essenzen auch verschollen geglaubte Parfums.
Foto: Tobias Hase

Andrea Schaffner Dittler verzieht nicht einmal das Gesicht und greift zu einer weiteren Probe. "Human Existence" stinkt – man kann es nicht anders sagen – infernalisch. "Das riecht jetzt nicht unbedingt gut, aber interessant – da sind Duftnoten von Schweiß, Haarfett, Käsefüßen und Sperma drin", bestätigt die Geruchsexpertin und nickt anerkennend. Ihre Augen strahlen.

Duftnote im Kunstbetrieb

Andrea Schaffner Dittler bezeichnet ihre Sammlung als Osmothek, als Geruchsarchiv, und sieht sich selbst als Hüterin eines Kulturguts. "Viele Vintage-Parfums gehören ja zu den Letzten ihrer Art. Manche werden vielleicht noch produziert, aber oft wurde die Formel geändert, und sie riechen nicht mehr so wie ursprünglich konzipiert. Bestimmt die Hälfte meiner Sammlung gibt es so nicht mehr."

Dabei stehe Parfum auf der Schwelle, als Kunstform wahrgenommen zu werden, nicht mehr als bloßer Dekor- und Konsumartikel. 2012 widmete das NYC Museum of Art and Design zum ersten Mal zwölf historisch bedeutenden Parfums eine Ausstellung. Ein Anfang.

Es dürften 7.000 bis 8.000 Kompositionen sein, die Andrea Schaffner Dittler bisher gerochen hat. Und immer noch hat sie Hunderte von Parfums auf ihrer Wunschliste stehen. Vielleicht ist ja der eine Duft dabei, dem sie keinen Namen zuordnen kann, mit dem sie aber eine essenzielle Kindheitserinnerung verbindet: "Es gab da eine Schublade mit allerlei Fläschchen und Pröbchen, die meiner Mutter gehörten. Und als es mir dann endlich glückte, die Stöpsel herauszuziehen, gab es bemerkenswerte olfaktorische Explosionen. Besonders einmal. Ich suche nach diesem Duft noch heute." (Gabriela Beck, RONDO exklusiv, 3.6.2019)