Ora et labora heißt es bei den Benediktinern. Wer den Leuten sagt, dass sie beten und arbeiten sollen, muss ihnen früher oder später mitteilen, wann sie das zu erledigen haben. Also prangte ab 1415 die erste öffentliche Uhr Wiens am Südturm des Stephansdoms – quasi als spätmittelalterliche Stechuhr zur Selbstkontrolle.

Vier Meter hoch und dreieinhalb Meter breit war das Ziffernblatt dieser ersten mechanischen Schlaguhr der Stadt. Ein zwei Meter langer Stundenzeiger genügte vorerst zur Zeiteinteilung, denn während der andauernden Erbstreitigkeiten unter den Habsburgern wurden im Herzogtum Österreich noch nicht die Minuten gezählt.

Als die in die Jahre gekommene Uhr 1860 demontiert wurde, waren die Wiener grantig. Sie haben das ungenaue Monstrum liebgewonnen, obwohl in der Stadt bereits viele und viel genauere Zeitmesser tickten: Die überbordende Bürokratie in der Habsburgermonarchie hatte hunderte Uhren an öffentlichen Gebäuden nötig gemacht – mit Minutenzeiger.

Ab 1864 erhielten durch einen Beschluss des Wiener Gemeinderats auch sämtliche eingemeindete Vorstädte eine öffentliche Uhr. Der Grundstein zu einer urbanen Besonderheit war gelegt: Wien gehört seit damals zu den zeitlich am stärksten durchstrukturierten Städten der Welt – weil man fast überall auf Zeiger und Zifferblätter blickt. Oder wie es der Historiker und Stadtforscher Peter Payer in seinem Buch "Die synchronisierte Stadt" ausdrückt: Wien – mehr noch als Zürich – weist mit rund 200 historischen Uhren im öffentlichen Raum bis heute eine äußerst dichte Zeitinfrastruktur auf.

Das ehemalige Militärgeographische Institut zieren ein Globus und eine Uhr.
Foto: wikicommons / Peter Haas, Manfred Werner, Gunther Z.

Licht und Zeit

200 öffentliche – und teilweise schon sehr betagte – Uhren brauchen demnach so etwas wie einen städtischen Uhrmacher. Diese Aufgabe übernimmt in Wien die Magistratsabteilung 33 (MA 33), besser bekannt unter dem Namen "Wien leuchtet". Ihr primäres Aufgabengebiet ist die Beleuchtung öffentlicher Plätze und Gebäude, dadurch ergeben sich Synergien: Die Techniker der MA 33 sind permanent unterwegs, kontrollieren die Lichter der Stadt, und dabei sehen sie oft auch, ob die Uhren noch richtig ticken.

Geht eine vor, nach oder ist gar stehengeblieben, wird in aller Regel ein "Uhrmacher" (eigentlich sind es Elektriker) der Magistratsabteilung hingeschickt. Doch wie kann es sein, dass eine Stadt im 21. Jahrhundert derartigen Aufwand für alte Zeitanzeiger betreibt? Um pünktlich zu sein, kann heute jeder aufs Handy schauen.

Auf dem Dach des Vorwärts-Gebäudes: Arbeiter und Arbeiterin mit Uhr.
Foto: wikicommons / Peter Haas, Manfred Werner, Gunther Z.

Gerhard Dully, der sich seit gut 30 Jahren bei der MA 33 um die öffentlichen Uhren Wiens kümmert, hat eine Antwort darauf: "Nicht nur wir, sondern die meisten Wiener schauen auf die öffentlichen Uhren der Stadt. Das ist seit Jahrhunderten eingelernt. Wenn eine falsch geht, rufen sie gleich bei uns an." Das war auch knapp vor der letzten Umstellung auf Winterzeit im Oktober der Fall. Sieben der 74 verbliebenen, bekannten Würfeluhren zeigten eine falsche Zeit an.

Die MA 33 hatte zunächst keine Erklärung für den Fehler, werden die alten Würfel doch regelmäßig mit den modernsten Innereien versehen. Seit 2002 sind sie sogar mit einem GPS-Empfänger ausgestattet. Doch die Krux liegt im Detail: Per GPS erhalten die Uhren zwar die richtige Zeitinformation, aber manche Werke, die früher per Funksignal eingestellt wurden, konnten die Information nicht richtig verarbeiten. Es kam quasi zu einem Übersetzungsfehler zwischen der alten und der neuen Technologie, mit der Umstellung auf die Winterzeit hatte das Malheur gar nichts zu tun.

Die Stadt würfelt nicht

Die Wiener Würfeluhr, die 1907 in ähnlicher Form zum ersten Mal im Stadtbild auftauchte, verkörpert auch am besten den großen Aufwand, den die magistratischen Uhrmacher bei der Wartung und Erneuerung der Anlagen betreiben müssen. Schon mehrmals in der Geschichte schien das Fortbestehen der Würfel gefährdet, weil die Stadt die hohen Kosten nicht alleine stemmen konnte.

Zuletzt im September 2018 sagte eine Versicherung buchstäblich in letzter Minute die Finanzierung der Instandhaltung zu: 510.000 Euro für die Generalsanierung in den kommenden zehn Jahren und zusätzlich 29.000 Euro jährlich für die Wartung. Das klingt viel, macht aber pro Uhr und Jahr nur etwas mehr als 1.000 Euro für die Umrüstung auf stromsparende LED-Beleuchtung, das Tauschen der Zifferblätter gegen neue mit dem aktuellen Sponsorenlogo und die immer wieder notwendigen Überholungen aus.

Foto: wikicommons / Peter Haas, Manfred Werner, Gunther Z.

Die Liste der aktuell 199 öffentlichen Uhren, um die sich die MA 33 kümmert, verändert sich stetig: Mal kommt eine neue Uhr per politischen Beschluss dazu, mal wird für ein besonders störrisches Exemplar glücklicherweise ein privater Investor gefunden oder sie wandert ins Museum. Große Zuwächse im Bestand wie in den 1950ern und 1960ern, als die Erzdiözese Wien die Wartung von mehr als 80 Kirchenuhren in weltliche Hände übergab, sind aber nicht mehr zu verzeichnen.

Immer wieder gibt es besondere Herausforderungen wie etwa die Uhr am Giebel des Vorwärts-Verlagsgebäudes an der Rechten Wienzeile. "Die steht unter Denkmalschutz. Da dürfen wir uns bloß um das Werk, aber keinesfalls um die Zeiger oder das Zifferblatt kümmern", erklärt Gerhard Dully. Dass ausgerechnet Wiens bekanntester Zeitmesser, die Ankeruhr am Hohen Markt, nicht von der MA 33 gewartet wird, nimmt Dully nicht persönlich: "Es würde Unsummen verschlingen, die komplizierte Mechanik zu warten."

Der Uhrturm des Wiener Rathauses ist nur äußerst schwer zugänglich.
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Eine Armbanduhr trägt der Experte für öffentliche Zeitanzeige nie: "Wie würde das denn ausschauen, wenn ich nicht auf unsere schönen Wiener Uhren, sondern aufs Handgelenk blicke", sagt er. Kleiner Nachteil dieser Praxis: Wann immer er durch die Stadt flaniert, fällt ihm eine Uhr auf, die förmlich nach Wartung schreit.

Doch schwelgt man nicht zu sehr in Nostalgie, wenn man immer nur auf alte Uhren blickt? "Gar nicht", sagt Dully. "Nur eine Sache war früher tatsächlich netter. Wir hatten einen Schlüssel für den Rathaus-Turm, sind flugs durchs Treppenhaus hinauf und haben an den Zeigern der Uhr gedreht, wenn es nötig war. Heute darf man das nicht mehr ohne Security-Begleitung. Terrorangst! Aber das sind halt die Zeichen der Zeit." (Sascha Aumüller, RONDO exklusiv, 27.1.2019)

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