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Israels Premier Benjamin Netanjahu (Bild) steht nach Avigdor Liebermans Rücktritt unter Druck.

Foto: Reuters/Zvulin

Als Reaktion auf eine Waffenruhe mit der Hamas im Gazastreifen ist Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman am Mittwoch zurückgetreten. "Was gestern passiert ist, die Feuerpause mit der Hamas, war eine Kapitulation gegenüber dem Terror", sagte er bei einer Pressekonferenz. "Wir kaufen kurzfristige Ruhe um den Preis einer langfristigen Schädigung unserer nationalen Sicherheit."

Sein Rücktritt bedeute auch, dass seine Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) die Koalition verlasse, so Lieberman. Damit gerät Benjamin Netanjahus Regierung ins Wanken: Mit nun 61 von 120 Sitzen in der Knesset hat sie nur noch eine hauchdünne Mehrheit. Lieberman rief zu "schnellstmöglichen" Neuwahlen auf. Regulär wären solche erst für November 2019 vorgesehen.

Lieberman, der das Amt des Verteidigungsministers im Mai 2016 übernahm, plädierte schon seit längerem für ein härteres Vorgehen gegen die Hamas im Gazastreifen und fand mit Netanjahu keinen gemeinsamen Nenner. Als "schwach und unzureichend" bezeichnete Lieberman die Reaktionen Israels auf den Beschuss aus dem Gazastreifen. Rund 460 Raketen wurden innerhalb eines Tages auf Israel abgefeuert, ein Mann kam dabei ums Leben, mindestens zwei Menschen wurden schwer verletzt. Israel reagierte mit dem Beschuss von rund 160 Zielen der Hamas. Palästinensischen Berichten zufolge gab es sieben Tote.

Hunderte demonstrierten

Am Dienstagabend gingen in Sderot, einer kleinen Stadt in Grenznähe, Hunderte auf die Straße, um gegen die Waffenruhe zu demonstrieren – Straßen wurden blockiert und Reifen angezündet. Viele Menschen im Süden fühlen sich vernachlässigt, weil es keinen langfristigen Frieden gibt. "Würde ich im Amt bleiben, könnte ich den Bewohnern im Süden nicht mehr in die Augen schauen", begründete Lieberman seinen Rücktritt weiter.

Zuletzt seien er und Netanjahu sich auch bei den Treibstoff- und Geldlieferungen aus Katar für den Gazastreifen uneinig gewesen. Er, Lieberman, habe beide abgelehnt. Israel gestattete vor einigen Tagen, dass 15 Millionen Dollar aus Katar in Koffern in den Küstenstreifen gebracht wurden. Damit sollten zivile Hamas-Mitarbeiter bezahlt werden. Auch wollte Lieberman die Evakuierung des Beduinendorfs Khan al-Ahmar im Westjordanland vorantreiben, die vom Obersten Gericht für legal befunden wurde – Netanjahu aber habe angeordnet, die Räumungen zu verschieben.

Pokern um Ministeramt

Netanjahu, der kommende Woche in Wien erwartet wird, soll Berichten zufolge das Amt des Verteidigungsministers zunächst selbst übernehmen. Doch die Partei Habayit Hajehudi (Jüdisches Heim) drohte bereits mit dem Austritt aus der Regierung, wenn Naftali Bennett nicht das Amt bekommt. Der derzeitige Bildungsminister hat zuletzt immer wieder die Gaza-Politik Liebermans als zu links und schwach kritisiert und Interesse an dem Job signalisiert. Würde auch Habayit Hajehudi die Regierung verlassen, wären Neuwahlen unumgänglich.

Die Opposition zeigte sich erfreut über Liebermans Rücktritt und nutzte die Gelegenheit, um Netanjahu verbal zu attackieren und sich auf den früher oder später ohnehin einsetzenden Wahlkampf einzustimmen, bei dem das Thema Sicherheit eine zentrale Rolle spielen wird. "Der Rücktritt des Verteidigungsministers bestärkt die Tatsache, dass sich der Premier auf Kosten der Bewohner des Südens dem Terror ergeben hat", twitterte Jair Lapid von der Partei Yesch Attid (Es gibt eine Zukunft). Und Oppositionsführerin Zipi Livni schrieb: "Lieberman hat recht, dass die Regierung angesichts des Terrorismus Schwäche gezeigt hat. Wer denkt, dass die Lösung bei Lieberman, Bennett oder dem Rest der Phrasendrescher liegt, irrt. Wir sind die Lösung." (Lissy Kaufmann, 15.11.2018)

DER STANDARD