Asylpolitik im Fokus: Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) musste in Vorarlberg Rede und Antwort stehen. Unter anderem: Klaus Begle (re.), Arzt und Initiator der dortigen Sonntagsdemos sowie VP-Stadtvertreter in Hohenems.

Foto: Dietmar Mathis

Bregenz – Wer Bürgerinnen und Bürger zu einem Bürgerdialog einlädt, muss auch mit ihnen reden. Diese Lektion erteilten Teilnehmende eines Bürgerdialogs am Donnerstag im Bregenzer Landhaus der Politik. Als Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nach einem kurzen Statement den Saal wieder verlassen wollte, forderten empörte Bürger und Bürgerinnen den Dialog ein, indem sie aufstanden und Kurz zum Bleiben aufforderten.

Eine streitbare Frau, sie stellte sich als Sigrid Brändle, Stadtvertreterin der FPÖ in Hohenems, vor, eroberte das Mikrofon und kritisierte die unmenschliche Vorgangsweise bei Abschiebungen. Gutintegrierte Menschen würden abgeschoben, während straffällige Asylwerber bleiben dürften.

Kritik an Bundesregierung

Kurz nahm sich eine halbe Stunde Zeit für die Rechtfertigung der Asylpolitik seiner Regierung und erklärte, warum er gegen die Mitsprache von Ländern und Gemeinden beim humanitären Bleiberecht sei: weil die unabhängige Justiz, konkret die Asylrichter, viel objektiver urteilen könnten, sagte er – auch über die Verankerung im Gastland und damit über das humanitäre Bleiberecht. Vorarlberg sei mit seiner Forderung nach Mitsprache allein, "die Masse der Landeshauptmänner will das nicht".

Kritik am Vorgehen des Bundesasylamts und der Polizei ließ Kurz nicht gelten. Landeshauptmann Markus Wallner (VP) widersprach, Entscheidungen über humanitäres Bleiberecht seien in der mittelbaren Bundesverwaltung zielgenauer möglich. Wallner forderte erneut eine menschliche Vorgangsweise bei Abschiebungen ein.

Zuvor hatte Kurz Teile des Publikums mit Aussagen zur Bevölkerungsentwicklung empört. In der EU habe man mit der extrem niedrigen Fertilitätsrate zu kämpfen, während in Afrika die Bevölkerung geradezu explodiere, sagte Kurz.

Missglückter Bürgerdialog

Der Kanzler war vom Gegenwind irritiert. Man habe ihn zu einem Statement eingeladen, nicht zu einer Diskussion.

Offenkundig hatten die Dialogveranstalter und die Dialogteilnehmenden andere Vorstellungen von Dialog. Die Regie sah in zweieinhalb Stunden Frontalreferate von sieben Sprechern und eine kurze Diskussion vor. Dazu wurde der Saal zur Hälfte mit Funktionären, die andere Hälfte mit zwei Schulklassen gefüllt.

Jenen, die glaubten, zu einem Bürgerdialog zu gehen, wurden die letzten Reihen zugewiesen. In der ersten halben Stunde des Dialogs begrüßte Landtagspräsident Harald Sonderegger (VP) die Honoratioren. Der Bundeskanzler wurde wegen Verspätung entschuldigt. Er müsse dann auch um 10.30 Uhr wieder gehen, wurde dem Publikum mitgeteilt. Um 10.20 Uhr öffneten sich die Türen für den Kanzler, er sprach über EU-Skepsis, auch seine Einstellung schwanke je nach Tagesverfassung, sagte Kurz.

EU-Bewusstsein ausbaufähig

Am Donnerstag war der Kanzler guter EU-Dinge, schließlich sei man bei den Brexit-Verhandlungen wesentlich vorangekommen. Er hoffe nun, dass Theresa May eine Mehrheit im Parlament finde.

Karl-Heinz Lambertz, belgischer Sozialdemokrat und Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen, wünscht sich mehr Europabewusstsein. "Europa ist zuallererst da, wo man lebt, wo man zu Hause ist", dieser Gedanke müsse sich verfestigen.

Der Dialog war Rahmenprogramm zu der zweitägigen Konferenz "Subsidiarität als Bauprinzip der Europäischen Union", die im Bregenzer Festspielhaus stattfindet. Solche Bürgerdialoge werden in der ganzen EU durchgeführt. Was aus den Anregungen der Teilnehmenden wird, wisse man noch nicht, räumte Lambertz ein. (Jutta Berger, 15.11.2018)