Die Urheberrechtsreform will das Copyright modernisieren – trifft aber aufgrund mehrerer umstrittener Punkte auf Widerstand durch Netzaktivisten. Besonders umstritten sind die Artikel 11 und 13. Ersterer sieht ein sogenanntes Leistungsschutzrecht vor, auch als "Linksteuer" bezeichnet. Demnach dürften Aggregatoren, etwa Google News, keine Titel und Anreißertexte von Medien anzeigen. Artikel 13 soll verhindern, dass urheberrechtlich geschützte Materialien illegal weiterverbreitet werden – noch bevor sie hochgeladen wurden.

Zwar wird ein "Uploadfilter" nicht wörtlich genannt, würde aber der Definition im Entwurf entsprechen. Ein solcher würde Inhalte, die etwa in sozialen Netzwerken geteilt werden, noch vor der Veröffentlichung prüfen und, sollte eine Verletzung möglich sein, den Upload verhindern. Trotz weitreichender Kritik stimmte das EU-Parlament in erster Lesung für die Reform, die nun im Trilog (Gemeinsame Treffen von Rat, Kommission und Parlament) verhandelt wird. Die einzige Piraten-Abgeordnete im EU-Parlament, Julia Reda, sieht dadurch deutliche Verschlechterungen für die User. Alles wofür das Parlament zunächst eingetreten sei, wurde mittlerweile gekippt oder verwässert. Bis 13. Dezember wird in drei weiteren Trilog-Runden verhandelt, danach will man abermals im Parlament abstimmen. Im STANDARD-Interview erklärt Julia Reda warum ein "Durchdrücken" seitens Österreichs Ratspräsidentschaft gefährlich ist.

STANDARD: Wie ist der aktuelle Stand bei den Verhandlungen über das Urheberrecht im EU-Parlament?

Julia Reda: Es gibt im Wesentlichen drei große Kontroversen: das Leistungsschutzrecht für Presseverleger, die Uploadfilter und das Urhebervertragsrecht. Die Unterschiede zwischen Parlament und Europäischem Rat sind beim Urhebervertragsrecht am größten, da hat nämlich das Parlament im Gegensatz zum Rat wirklich relativ starke Verbesserungen für die eigentlichen Urheber erreicht, zum Beispiel dass sie ein Recht auf faire Bezahlung in Verhandlungen mit Verlagen haben. Große Teile des Parlaments, vor allem innerhalb der Sozialdemokratie, haben nach der ersten Lesung im Parlament auch nur deshalb für die Richtlinie gestimmt, wenngleich sie eigentlich schon gegen Uploadfilter und Leistungsschutzrecht waren. Sie schluckten aber quasi lieber die bittere Pille, bevor sie gar keine Verbesserungen für die Urheber hätten erreichen können.

STANDARD: Wie sehen Sie das?

Reda: Ich persönlich halte das für einen Fehler. Ich glaube, dass am Ende Leistungsschutzrecht und Uploadfilter auch den Kreativen schaden werden. Aber das Parlament hat nun einmal so entschieden. Bei den Verhandlungen im Trilog ist es nun aber so, dass die österreichische Ratspräsidentschaft gleich im ersten Meeting eine faire Vergütung für Urheber pauschal ablehnte. Wenn das Parlament weiter darauf bestehe, könne das den gesamten Verhandlungsprozess lahmlegen, hieß es.

STANDARD: Warum intervenierte Österreichs Regierung da so stark?

Reda: Man sagte, die faire Vergütung war nicht vorgesehen im Kommissionsentwurf, das sei nicht wirtschaftlich analysiert worden. Man habe keine Zeit, sich mit neuen Themen zu beschäftigen. Man müsse das alles schnell, schnell abschließen. Ich glaube, dahinter steckt, dass der Schutz von Urhebern vor unfairen Verträgen in Österreich sehr schwach ist. Andere Länder wie Frankreich oder Deutschland haben da stärkere Regelungen parat. Ich habe das Gefühl, Österreich hat da so getan, als würden sie im Namen aller Mitgliedsstaaten sprechen, haben aber hauptsächlich für sich gesprochen.

STANDARD: Was sind die Probleme, wenn Österreich das noch schnell vor Ende der Ratspräsidentschaft durchzudrücken versucht?

Reda: Die Rechtssicherheit bleibt auf der Strecke. Ein so komplexes Gesetz, das über Jahre im Rat und im Parlament diskutiert wurde, jetzt im Schnelldurchlauf binnen weniger Monate zu einem Kompromiss zu bringen, das ist gefährlich. Auch ist der neue Kompromissvorschlag des Rats zu den Uploadfiltern kein Kompromiss zwischen Befürwortern und Kritikern, sondern einfach nur eine Wiederholung der Ratsposition. Wenn die Österreicher nun wirklich alles daransetzen, das Ganze bis Dezember abzuschließen, dann wird das bedeuten, dass alle Themen, die bislang nicht so viel Öffentlichkeit bekommen haben, auf der Strecke bleiben.

STANDARD: Wie reagierte die Kommission darauf?

Reda: Die Kommission entwickelte daraufhin einen Kompromissvorschlag, der formal den Artikel zu fairer Vergütung immer noch enthält, sie strich nur alles, was an der Vergütung bislang fair war – Total-Buy-out-Verträge etwa wären nach dem ursprünglichen Text nicht mehr erlaubt. Im eigentlichen Parlamentstext stand zudem ein Recht auf proportionale Vergütung, auch sogenannte "Royalties" waren festgeschrieben – damit der Urheber mehr bezahlt bekommt, wenn mit seinem Produkt mehr verdient wird. Auch für jede Nutzungsform – sei es Kopieren, Vertreiben auf Papier oder online – sollte ausgewiesen sein, dass sie übertragen wird und wie viel dafür bezahlt wird. All das hat die Kommission aufgeweicht oder komplett gestrichen. Das, was wir eigentlich erreichen wollten, ist komplett weg.

Julia Reda kämpft seit ihrem Amtsantritt vehement für die Rechte der User im Internet.
Foto: imago

STANDARD: Wie reagiert das Parlament darauf?

Reda: Unser Berichterstatter im Parlament, Axel Voss von der EVP-Fraktion, ist damit eigentlich recht zufrieden. Im Prinzip haben die Urheberrechtsartikel der Richtlinie zur Mehrheit im Parlament verholfen, und jetzt, wo sie die Mehrheit im Parlament zusammenbekommen haben, werden alle Verbesserungen für die Urheber wieder gestrichen.

STANDARD: Das kann sich das Parlament in der zweiten Lesung wohl kaum gefallen lassen ...

Reda: Ich glaube, Herr Voss spekuliert darauf, dass sich die Abgeordneten letzten Endes doch nicht trauen, die gesamte Richtlinie fallenzulassen. Vielleicht reicht so manchen schließlich eine Absichtserklärung, die Urheber künftig besser zu schützen. Nur glaube ich, dass es ganz gefährlich ist, jetzt zu sagen, die Urheber hätten ihre Schuldigkeit getan.

STANDARD: Was geschieht, wenn das Parlament die Richtlinie in seiner zweiten Abstimmung kippt?

Reda: Dann gibt es noch die Möglichkeit, es in einer dritten Lesung ein weiteres Mal zu versuchen. Das geht durchaus noch, aber wäre noch schwieriger und durchaus ungewöhnlich. Eigentlich müsste Berichterstatter Voss von sich aus darauf achten, dass seine Verhandlungsergebnisse von breiten Mehrheiten getragen werden. Es ist erstaunlich, dass er die Kritik am Leistungsschutzrecht und an Uploadfiltern komplett ignoriert, da eine Radikalposition einnimmt und ihm das Urhebervertragsrecht komplett egal zu sein scheint.

STANDARD: Was spricht dagegen, eine Entscheidung aufzuschieben, die Abstimmungen über die Richtlinie in die nächste Legislaturperiode mitzunehmen?

Reda: Nichts. Aber Österreichs Ratspräsidentschaft will dieses schwierige Thema offenbar durchdrücken und als Prestigeerfolg verkaufen. Auch die Kommission will, dass es schnell geht, weil man nicht weiß, wie es um die zukünftigen Mehrheiten im Parlament steht. Da aber immer mehr Kritik laut wird, wären meiner Meinung nach alle Seiten gut beraten, sich ein wenig Zeit zu nehmen und einen tragbaren Kompromiss zu finden, der ohne Uploadfilter auskommt und auch für das Urhebervertragsrecht eine vernünftige Lösung findet.

STANDARD: Wie steht es um den Uploadfilter?

Reda: Da regt sich immer deutlicherer Widerstand, nicht nur im Netz, auch Italiens neue Regierung ist nun beispielsweise dagegen. Insofern ist das alles sowieso noch keine ausgemachte Sache. Ich glaube, es war ein strategischer Fehler der Sozialdemokraten, da zuzustimmen in der Hoffnung, dass am Ende die guten Teile der Richtlinie schon übrigbleiben werden.

STANDARD: Die bewusste Verquickung positiver und negativer Aspekte innerhalb einer Richtlinie ist durchaus gängige Praxis.

Reda: Es ist relativ typisch, dass man in so einem Gesetzgebungspaket versucht, verschiedenen Interessengruppen einen Anreiz zu geben, nicht dagegen zu stimmen. Auch diesmal gibt es ein paar Verbesserungen für Bildungs- und Kultureinrichtungen, für Bibliotheken etwa, oder auch das Kapitel zu den originären Urhebern, das Leistungsschutzrecht für die großen Presseverlage, die Uploadfilter für die Musikindustrie, und für die Filmindustrie wurde das Geoblocking vorerst einmal herausgenommen. Alle werden auf diese Weise irgendwie bedient, nur die Internetuser nicht. Die ursprüngliche Idee hinter dieser Form war, alles zu vereinfachen und zu vereinheitlichen, um sicherzustellen, dass Inhalte, die ich einem EU-Staat hochlade, auch in allen anderen EU-Staaten legal sind. Auch die Panoramafreiheit für ganz Europa war anfänglich ein wichtiges Ziel, damit das Fotografieren von öffentlichem Raum keiner Urheberrechtsverletzung gleichkommt.

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Berichterstatter Axel Voss (CDU) durfte sich bereits einmal im Parlament über einen Abstimmungserfolg freuen. Ob weitere folgen, ist derzeit unklar.
Foto: REUTERS/Vincent Kessler

STANDARD: Was vor allem bei Sportveranstaltungen ein Riesenproblem zu werden droht ...

Reda: Im Prinzip gibt es so, wie es aktuell aussieht, für die Internetnutzer überhaupt keine wesentlichen Verbesserungen mehr. Lediglich die Bibliotheken dürfen ein wenig mehr verwenden. Diese neuen Elemente wie das Sportveranstalterrecht haben ganz im Gegenteil sogar eine direkt negative Auswirkung auf die Bürger. Da wird den Veranstaltern von Sportveranstaltungen das ausschließliche Recht auf Aufnahmen und dergleichen im Stadion zugesprochen.

STANDARD: Was bedeutet das konkret? Was passiert, wenn ein Fan im Fußballstadion ein Tor filmt und das Video online stellt?

Reda: Nach dem Vorschlag des EU-Parlaments, der verabschiedet wurde, könnte der Sportveranstalter auf Urheberrechtsverletzung klagen. Da sagt mittlerweile aber sogar der Rat, dass sie davon nichts wissen wollen und dass ihnen das zu weit geht. Es ist unwahrscheinlich, dass dies am Ende kommt. Die markanteste Verschlechterung für die User sind meiner Meinung nach das Leistungsschutzrecht und die Uploadfilter.

STANDARD: Warum?

Reda: Leistungsschutzrecht haben wir schon in Deutschland, allerdings in einer ziemlich abgespeckten Form im Vergleich zu dem, was da jetzt auf EU-Ebene diskutiert wird. In Deutschland ist es so, dass die Verleger unabhängig vom Urheberrecht auch noch das Leistungsrecht haben. Das können sie aber ausschließlich gegenüber Suchmaschinen und Nachrichtenaggregatoren geltend machen. Das Ganze war ein ziemlicher Misserfolg, hat keinerlei Profite gebracht, und innovative Aggregatoren haben zugemacht. Google hat die Inhalte gratis bekommen, weil natürlich jeder auf Google gefunden werden will. Obwohl es nichts brachte, hat es die User letzten Endes nicht so sehr betroffen wie das, was jetzt auf EU-Ebene droht, weil es nur für Suchmaschinen und Aggregatoren galt.

Der Parlamentsvorschlag aber gilt für alle Onlinedienste, das heißt Facebook, Wikipedia und dergleichen. Rein private Nutzung soll nicht darunterfallen, aber sobald ich auf Facebook einen Link zu einem Nachrichtenartikel poste, bin ich betroffen, weil Facebook den nicht anzeigen darf. Das ist sicherlich eine große Verschlechterung. Und zu den Uploadfiltern: Youtube macht das etwa bereits mit Content-ID. Da zeigte sich aber, dass die regelmäßig legale Inhalte löschen, nämlich immer dann, wenn es um Ausnahmen geht, zum Beispiel Zitatrecht, Parodiefreiheit und Ähnliches. So ein automatischer Filter kann das einfach nicht unterscheiden.

STANDARD: Diese Themen sind durchaus komplex. Haben Sie das Gefühl, dass es zum Teil an Fachwissen in den Institutionen, im Rat, im Parlament, in der Kommission mangelte?

Reda: Teilweise schon, ja. natürlich muss man fairerweise sagen, dass nicht alle Abgeordneten im Parlament Experten im Urheberrecht sein können, aber das ist ja auch nicht notwendig, weil wir in den Fraktionen normalerweise eine funktionierende Arbeitsteilung haben, jeder hat da seinen Experten. Aber das Urheberrecht ist da ein ganz untypisches Thema, das ist kein Links-rechts-Konflikt. Es hat vielmehr damit zu tun, ob Abgeordnete mit dem Internet aufgewachsen sind, selbst vielleicht schon einmal direkt davon betroffen waren, Erfahrungen mit Problemen machten. Auch die nicht gerade als radikale Gruppe bekannten Bibliothekare sind vehement für eine progressive und nutzerfreundliche Urheberrechtsreform, weil sie halt täglich sehen, dass Dinge, die sie offline selbstverständlich machen durften, online nicht mehr gehen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Reda: E-Books verleihen und verkaufen. Ein gekauftes E-Book gehört mir ja nicht. Ich habe nur eine Nutzungslizenz erworben, ich kann es nicht weiterverkaufen, nicht verleihen, nicht vererben. Viele Bibliotheken bekamen immer wieder eine Vielzahl an Büchern aus Nachlässen. Das geht im digitalen Zeitalter gar nicht mehr, weil mir die E-Books, die ich kaufe, nicht gehören. Solche Erfahrungen führen dazu, dass es in jeder Fraktion Gegner und Befürworter gibt.

Auch bei E-Books spielen Copyright-Fragen eine Rolle. Gut möglich, dass Bibliotheken in Zukunft weniger Bücher vererbt bekommen.
Foto: imago/Levine-Roberts

STANDARD: Ist es also auch ein Generationenkonflikt – internetaffine Junge gegen den Rest?

Reda: Zum Teil ja, aber man darf nicht pauschalisieren. Bei den Österreichern etwa erkennt der SPÖ-Politiker Josef Weidenholzer – der jetzt auch nicht mehr zu den jüngsten Abgeordneten zählt – absolut, was das Problem mit Uploadfiltern ist. Viel eher gibt es sogar nationale als generationale Unterschiede. Die Franzosen stimmten geschlossen dafür, die Schweden dagegen.

STANDARD: Steckt da nationales Lobbying dahinter?

Reda: Das Leistungsschutzrecht wurde sehr stark vom deutschen Springer-Verlag vorangetrieben, der da sehr offensiv auftritt. Wo der Verlag eine große Präsenz hat und große Boulevardmedien besitzt, ist definitiv auch die Unterstützung für das Leistungsschutzrecht größer. In einem Wahljahr will sich auch kaum ein Abgeordneter mit der Presse anlegen.

STANDARD: Wie war das in Österreich? Auch da soll es ein Treffen zwischen Bundeskanzler Kurz und Vertretern des Springer-Verlags gegeben haben, wie man aus EU-Kreisen hört.

Reda: Es gab eine Axel-Springer-Tour durch zahlreiche Mitgliedsstaaten, wo sie mehr oder weniger alle Regierungen abklapperten, wohl auch Österreich. Da gab es auch zum Teil merkwürdige zeitliche Zusammenhänge. Ungarn war im Rat beispielsweise gegen das Leistungsschutzrecht. Kurze Zeit nachdem die CSU den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zu ihrem Parteitag einlud – wo auch Springer zu Gast war und es offenbar ein Treffen gab und teils auffallend freundliche Artikel in Springer-Medien folgten –, war Orbán auf einmal für das Leistungsschutzrecht. (Fabian Sommavilla aus Straßburg, 20.11.2018)