Darstellung apokalyptischer Zustände im Mittelalter – hier auf dem Gemälde "Triumph des Todes" von Jan Brueghel aus dem Jahr 1597.
Illustration: Jan Brueghel, Museum Joanneum Graz, gemeinfrei

Für das schrecklichste Jahr unserer Zeitrechnung gibt es etliche Kandidaten: 1914 und 1939, die Jahre am Beginn des Ersten und Zweiten Weltkriegs, kommen ebenso infrage wie das Jahr 1349, als die Pest halb Europa auslöschte, oder 1918, als die Spanische Grippe weltweit bis zu 100 Millionen dahinraffte.

Für den US-amerikanischen Mittelalterhistoriker und Archäologen Michael McCormick von der Harvard-Universität ist es ein anderes Jahr, das seiner Meinung nach das schlimmste für die Menschheit in den vergangenen zwei Jahrtausenden war: nämlich 536. Als Mediävist mag McCormick eine besondere Vorliebe für das Mittelalter haben. Aber er liefert in der Online-Ausgabe von "Science" gute Gründe für seine Wahl: Dieses Jahr habe den Auftakt für das dunkelste und kälteste Jahrzehnt zumindest der vergangenen 2.300 Jahre markiert – jedenfalls in weiten Teilen der Nordhalbkugel inklusive China.

Schnee im Sommer

Die Geschichtsschreiber Prokopios, Michael der Syrer oder Flavius Cassiodor berichten für diese Zeit einhellig von niedrigen Temperaturen mit Schnee im Sommer sowie von dramatischen Missernten. In den Worten von Prokopios: "Die Sonne, ohne Strahlkraft, leuchtete das ganze Jahr hindurch nur wie der Mond und machte den Eindruck, als ob sie fast ganz verfinstert sei. Seitdem aber das Zeichen zu sehen war, hörte weder Krieg noch Seuche noch sonst ein Übel auf, das den Menschen den Tod bringt."

Damit war beispielsweise gemeint, dass sich ab dem Jahr 541 die Beulenpest vom römischen Hafen von Pelusium in Ägypten ausbreitete, vermutlich knapp die Hälfte der Bevölkerung des Oströmischen Reiches auslöschte und dessen Zusammenbruch beschleunigte.

"Wetteranomalie von 535/536"

In der Fachliteratur ist der Beginn dieser Katastrophe als die "Wetteranomalie von 535/536" bekannt. Wie Klimahistoriker in den 1990er-Jahren anhand von Baumringen rekonstruierten, fielen die Temperaturen im Sommer 536 und in den Jahren danach durchschnittlich um rund 2,5 Grad Celsius.

Was die anhaltende Verfinsterung des Himmels und die nachfolgende Kälteperiode auslöste, ist indes unklar: Einmal wurden Asteroideneinschläge in Australien dafür verantwortlich gemacht, dann wieder Vulkanausbrüche. Unklar blieb jedenfalls, wo die verheerenden Eruptionen stattgefunden haben könnten.

Suche nach dem "Verursacher"

Nun aber könnte ein Team um McCormick und dem Glaziologen Paul Mayewski (University of Maine) den "Schuldigen" gefunden haben. Bei einem Workshop in Harvard, der diese Woche stattfand, berichteten die Forscher, dass vermutlich ein katastrophaler Vulkanausbruch in Island Anfang 536 Asche großräumig über die nördliche Hemisphäre verteilt haben dürfte. Zwei weitere massive Ausbrüche folgten dann anscheinend im Jahr 540 und 547.

Erste Hinweise hatten bereits polare Eiskerne aus Grönland und der Antarktis geliefert. Wie Michael Sigl (Uni Bern) und andere seiner Kollegen zeigten, wiesen Spuren von Schwefel und anderen Substanzen im Eis in Abgleich mit den Baumringen darauf hin, dass fast jeder ungewöhnlich kalte Sommer der letzten 2.500 Jahre von einem Vulkanausbruch begleitet wurde.

72 Meter langer Eiskern vom Gletscher

Mayewski und sein interdisziplinäres Team suchten für ihre neue Untersuchung am Gletscher des 4453 Meter hohen Colle Gnifetti in den Schweizer Alpen nach diesen Eruptionsspuren. In einem 72 Meter langen Eiskern, der dort 2013 zutage gefördert wurde, finden sich wertvolle klimatologische Informationen über die letzten gut 2.000 Jahre – egal, ob es sich nun um die Spuren von Vulkaneruptionen, Staubstürmen aus der Sahara oder menschliche Aktivitäten im Zentrum Europas handelt.

Forschercamp am Gletscher des Colle Gnifetti in der Schweiz.
Foto: NICOLE SPAULDING/CCI FROM C. P. LOVELUCK ET AL., ANTIQUITY 10.15184, 4, 2018

Eine neue, extrem hochauflösende Methode ermöglichte es dem Team zum einen, zwei mikroskopische Partikel aus vulkanischem Glas zu identifizieren, die aus dem Jahr 536 stammen. Deren chemischer Fingerabdruck legte zum anderen nahe, dass die Teilchen vermutlich aus einem isländischen Vulkan nach Mitteleuropa gelangt waren, wie die Wissenschafter in Harvard berichteten.

Um das mit letzter Sicherheit sagen zu können, seien aber noch weitere Vergleichsuntersuchungen nötig.

Bestätigung der Methode

Wie gut diese Methode mittlerweile funktioniert, zeigt eine neue Studie von Forschern um Christopher Loveluck (Uni Nottingham) im Fachblatt "Antiquity": Sie fanden heraus, dass sich etwa ab dem Jahr 640 besonders viel Bleipartikel im Eis des Colle Gnifetti fanden. Das wiederum weist darauf hin, dass viel Silber aus Bleierz geschmolzen wurde.

Die Interpretationen der Spuren aus dem Ewigen Eis gehen aber noch weiter: Die Forscher vermuten erstens, dass die Spuren des Silberbergbaus aus Melle in Frankreich stammen und werten sie zweitens als Beleg dafür, dass sich in dieser Zeit die Geldwirtschaft von Gold auf Silber umstellte. Ziemlich genau ein Jahrhundert nach dem vielleicht schlimmsten Jahr der Geschichte. (Klaus Taschwer, 17.11.2018)