Bild nicht mehr verfügbar.

Chinesische Soldaten patrouillieren bei einer Übung in der Stadt Hami in der Provinz Xinjiang.

Foto: Reuters

In Hami, einer Stadt in der chinesischen Unruheprovinz Xinjiang, machte am Wochenende eine Notiz in den sozialen Medien die Runde. Die "Gruppe für die Erhaltung der Stabilität der Stadt Hami" postete: "Alle Personen, die in terroristische Verbrechen involviert und mit den 'drei bösen Mächten' vergiftet sind, werden dringend gebeten, sich innerhalb von 30 Tagen den Justizbehörden zu stellen, zu gestehen und sämtliche Fakten über die Verbrechen zu übergeben." Die "drei bösen Mächte", das sind im Jargon der kommunistischen Partei Chinas Extremismus, Terrorismus und Separatismus.

Alles Vergehen, die einem Großteil der Bevölkerung Xinjiangs vorgeworfen werden. In der Provinz im Nordwesten Chinas leben vornehmlich Uiguren. Sie sind eine islamische Minderheit und identifizieren sich selbst mehrheitlich nicht als Han-Chinesen, vielmehr wurden sie 1949 ins kommunistisches China eingegliedert.

2009, also ein Jahr nach den ersten Olympischen Spielen in Peking, kam es zu schweren Unruhen in Xinjiang, wie die Region offiziell heißt. Die chinesische Regierung reagierte mit Härte. Heute, also fast zehn Jahre später, gilt Xinjiang als "DNA-Versuchslabor", in dem die Bewohner streng überwacht sind. Bis zu eine Millionen Uiguren sollen in "Umerziehungslagern" festgehalten werden – ohne Anklage und ohne zu wissen, für wie lange.

"Dürfen nicht ignoriert werden"

Nachdem auch die Uno diesen Zustand in einem Bericht im August 2018 angeprangert hatte, begannen vor allem westliche Länder Kritik daran zu üben. Der deutsche Außenminister Heiko Maas etwa brachte die Lager bei seinem China-Besuch Anfang November zur Sprache. Man dürfe die Umerziehungslager nicht ignorieren, sagte er. Der Konter von Chinas Regierung: Die Welt solle den "Gossip" um die Lager ignorieren.

Mittlerweile gibt es aber neben zahlreichen Zeugenaussagen oder dem Uno-Bericht auch Satellitenbilder, die den rasanten Ausbau der Lager dokumentieren.

Am vergangenen Freitag forderten schließlich 15 westliche Botschafter in einem seltenen gemeinsamen Brief, den Verantwortlichen für die Zustände in Xinjiang, Gouverneur Chen Quanguo, zu treffen. Von Kanada initiiert, fanden sich auch die Unterschriften der Botschafter von Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, der EU und Australien auf dem Brief.

China reagierte ablehnend. Man solle sich nicht in interne Angelegenheiten des Landes einmischen. Es seien keine Umerziehungslager, sondern "Ausbildungs- und Trainingszentren", betonte Hua Chunying, eine Sprecherin des Außenamts. In den Lagern gehe es um "ideologische Erziehung gegen Extremismus, psychologische Behandlung und Verhaltenskorrekturen". Es seien "berufsbildende Maßnahmen", die noch dazu gratis angeboten werden, hatte China schon in den vergangenen Wochen betont.

Der Mann hinter den Maßnahmen

Chen Quanguo, der Mann, den die Diplomaten treffen wollten, ist in der Tat eine Schlüsselfigur in der Umsetzung der umstrittenen Lager. Bevor Chen 2016 Gouverneur von Xinjiang wurde, war er ab 2011 Parteisekretär im Autonomen Gebiet Tibet (TAR), der anderen Unruheprovinz Chinas. Nach Aufständen dort hat er mit harter Hand durchgegriffen; und zwar mit den gleichen Mitteln, die er – in viel größerem Ausmaß – nun in Xinjiang durchführt. Die Camps sind eine von mehreren Maßnahmen, die für Sicherheit sorgen sollen.

So baute er in Tibet und nun auch in Xinjiang ein dichtes Netz an Polizeistationen in Städten auf. Mit diesem "Rastersystem" könnte die Polizei etwa innerhalb von wenigen Minuten überall eingreifen. In Tibet soll es 2016 700 solche Polizeistationen gegeben haben, in Xinjiang 7.500.

Außerdem setzt Chen auf die Rekrutierung von Angehörigen der ethnischen Minderheiten als Polizisten – eine Maßnahme aus dem "imperialistischen Handbuch", wie Andrian Zenz und James Leipold in einer Studie formulieren. Diese Maßnahme schlägt, so die Autoren, zwei Fliegen mit einer Klappe: "Tausende von verarmte Uiguren bekommen so den Job, ihre eigenen Leute zu observieren. Gleichzeitig sind genau jene Personen die größten Gefährder."

90.000 Polizisten-Jobs in einem Jahr

In blanken Zahlen schaut die Strategie so aus: Während in Tibet zwischen 2007 und 2011 etwa 2.300 Polizisten-Stellenangebote veröffentlicht wurden, waren es zwischen 2011 und 2016, also seitdem Chen an der Macht war, über 12.000. In Xinjiang gab es zwischen 2003 und 2008 5.800 solche Stellenangebote, nach den Unruhen 2009 bis 2016 fast 40.000. Im ersten Jahr von Chens Amtsübernahme schoss die Zahl in die Höhe: 90.866 derartige Stellenangebote gab es in Xinjiang in nur einem Jahr.

Im Vergleich dazu gab es in dem Jahr von privaten Unternehmern bloß 30.000 veröffentlichte Stellen. Auf Entspannung ist momentan nicht zu hoffen. Die chinesische Regierung bleibt bei ihrem Credo des Nichteinmischens. (saw, 21.11.2018)