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Vor zwei Jahrzehnten wurde das erste ISS-Modul ins All geschickt. Mittlerweile ist die Konstruktion 420 Tonnen schwer.
Foto: Reuters/NASA/Roscosmos

Moskau – Vor genau 20 Jahren wurde gleichsam der Grundstein für den Außenposten der Menschheit im nahen All gelegt. Seit 2000 düst die Internationale Raumstation (ISS) dauerhaft bemannt in rund 400 Kilometern Höhe um die Erde. Seitdem hat sie sich zu einem Forschungslabor und zur "Weltraum-WG" mit wechselnden Bewohnern entwickelt.

Doch mittlerweile kommen vor allem aus Moskau Rufe, das Konzept zu überdenken. Dass sich gewisse Abnutzungerscheinungen bemerkbar machen, ist vor allem in den letzten Monaten in Form einer Reihe von Pannen sichtbar geworden. Das Projekt, für das mittlerweile Schätzungen zufolge über 87 Milliarden Euro ausgegeben worden sind, steht unter einem großen Fragezeichen. Immerhin bis 2024 ist der Fortbestand aber gesichert.

Kooperationen mit Hintergedanken

Am 20. November 1998 wurde das erste russische Modul Sarja (Morgenröte) ins All geschossen. Seither ist die ISS immer weiter gewachsen, inzwischen ist sie etwa so groß wie ein Fußballfeld und technisch vielfältig ausgerüstet. "Die komplexeste, wertvollste und unwahrscheinlichste Maschine, die die Menschheit jemals gebaut hat", nennt der deutsche ISS-Kommandant Alexander Gerst seinen derzeitigen Wohn- und Arbeitsort via Twitterbotschaft. Seit 18 Jahren forschen ohne Unterbrechung Raumfahrer im Weltraumlabor. Gerst ist bereits zum zweiten Mal dort.

Es war US-Präsident Ronald Reagan, der am 25. Jänner 1984 die US-Raumfahrtagentur Nasa mit der Entwicklung einer bemannten Raumstation beauftragte. Bald schon warben die Amerikaner bei den Europäern um Teilhabe – auch um zu verhindern, dass dort an einer eigenen Station getüftelt wird. Mit dem Ende der Sowjetunion 1990 entstand die ebenfalls nicht ganz selbstlose Idee, die Russen mit ins Boot zu holen. Eine Kooperation mit unzähligen Vorteilen etwa für die Völkerverständigung nach dem Kalten Krieg – aber auch Nachteilen. So wurde die Station größer als eigentlich geplant und gebraucht.

Video: Das Wachstum der ISS seit 1998.
NASA Johnson

Unangenehm lauter Arbeitsplatz im All

Die meisten Bauteile stammen aus den USA und Russland. Mit dem in Bremen und Turin gebauten Forschungslabor Columbus erhielt das Haus im Orbit 2008 auch ein europäisches Zimmer. Mit einer gemütlichen Herberge ist der Koloss nicht vergleichbar. Bei voller Besetzung gibt es kaum Privatsphäre, die speziell vorbereiteten Mahlzeiten kommen aus dem Sackerl. Waschmöglichkeiten zwischen Kabeln und Computern sind zwar spektakulär, das Prozedere ist aber mühselig, wie die Raumfahrer immer wieder dokumentieren. Viel Arbeitszeit muss für die Wartung von Geräten und zum Putzen aufgewendet werden.

Vor allem wegen der Lüftungsventilatoren ist es zudem fortwährend sehr laut, wie der US-Astronaut Scott Kelly in seinem kürzlich erschienenen Buch "Endurance" schreibt. Die ISS rieche vor allem nach den Ausgasungen der Geräte und sonstigen Einrichtungen, "die wir auf der Erde als "Neuwagengeruch" bezeichnen". Hinzu komme der Körpergeruch und der des Abfalls, der zwar möglichst hermetisch isoliert, aber eben nur alle paar Monate entsorgt werde.

Ramponiertes Weltraumlabor

Über den Zustand der ISS gibt es zurzeit viele Spekulationen, auch weil die Nasa und die russischen Kollegen von Roskosmos nur spärliche Informationen dazu geben. Die ISS dürfte trotz vieler Nachrüstungen über die Jahre ziemlich gelitten haben. Auch äußerlich: Einschläge verursachen immer wieder kleine Krater. Oftmals musste die ISS Weltraumschrott ausweichen und deswegen kurzfristig ihren Kurs ändern. Einmal durchschlug ein winziger Splitter ein Sonnensegel.

Die Internationale Raumstation, aufgenommen am 4. November 2018.
Foto: APA/AFP/NASA

Bei einem seiner Außeneinsätze sei ihm plötzlich aufgefallen, wie ramponiert die ISS schon sei, so Astronaut Kelly. Kosmische Teile und Weltraumschrott hätten kleine Vertiefungen und Kratzer verursacht, in die Handläufe seien Löcher mit scharfkantigen Rändern geschlagen worden.

Vorfälle wie dieser brachten die Crew bisher noch nie in ernsthafte Gefahr. Konsequenzen für die Zukunft der ISS könnten aber zwei Notfälle haben, die noch immer nicht im Detail geklärt sind: Seit im Sommer ein kleines Leck in der russischen Sojus-Kapsel einen Druckabfall in der ISS auslöste, kursieren wilde Spekulationen über die Ursache. War es Pfusch, Sabotage oder einfach ein Unglück? Wenige Wochen später kam es erneut zu einem ernsthaften Zwischenfall: Ein Raketenfehlstart mit zwei Raumfahrern an Bord endete zwar glimpflich, brachte aber den ganzen Zeitplan von Gersts Mission durcheinander. Wieder zweifelte man weltweit an der Sicherheit des Projekts.

Über 100 Milliarden US-Dollar

Kritiker bezeichnen die ISS gerne als das teuerste Gebäude der Welt – die Gesamtkosten seit 1998 liegen nach Schätzungen bei weit über 100 Milliarden US-Dollar (über 87 Milliarden Euro). Zu den exakten Ausgaben halten sich die ISS-Mitglieder bedeckt. Mehr als drei Milliarden Dollar zahlen allein die USA Berichten zufolge jedes Jahr für den Betrieb. Die Europäische Weltraumorganisation Esa gibt an, bisher zehn Milliarden Euro in die ISS investiert zu haben – davon vier Milliarden in die Entwicklung und sechs in ISS-Operationen zwischen 2008 und 2018. Die größten Esa-Geber-Länder für die Station sind Deutschland, Italien und Frankreich, wie die Agentur mitteilt.

Video: Der US-Astronaut gewährt eine ausgedehnte Führung durch die weit verzweigte Raumstation.
Ввысь, в космос!

Die große Errungenschaft sei die Einigung auf den gemeinsamen Bau der ISS, auf einen "Plan für all diese Länder, gemeinsam langfristig erfolgreich zu arbeiten", gewesen, sagte Lynn Cline, die damals für die Nasa die Verhandlungen geleitet hatte. "Ich hoffe, dass dieser Plan in Zukunft ein Meilenstein in der Wissenschaft, der bemannten Raumfahrt und bei der Entwicklung hin zur nächsten Stufe sein wird."

Verlängerung bis 2028 möglich

Bisher ist der Betrieb des Raumlabors bis 2024 gesichert. Die Esa hält es für möglich, dass die Mitgliedsstaaten das Projekt bis 2028 verlängern. Die Regierung von US-Präsident Donald Trump allerdings strebt bei der ISS einen Schnitt an und will eine Privatisierung vorantreiben. Esa-Chef Jan Wörner glaubt aber nicht an ein solches Engagement von Unternehmen. Der Gesamtbetrieb der Raumstation sei einfach zu teuer, sagte er einmal. Will niemand mehr den 420-Tonnen-Koloss nutzen, soll die ISS stufenweise – wie schon der russische Vorgänger Mir – kontrolliert in den Pazifik stürzen.

Video: Ein Weltraumspaziergang vermittelt Eindrücke von der Außenseite der ISS.
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Ob der politische Konflikt zwischen den beiden großen Finanzgebern USA und Russland den gemeinsamen Betrieb möglicherweise schon vor 2024 enden lässt, ist derzeit unklar. Im nächsten Frühjahr wollen die USA und Russland über die Perspektiven verhandeln.

Dabei ist die ISS einer der wenigen Bereiche, bei der abseits der großen Politik gemeinsam erfolgreich Projekte realisiert werden. Hunderte Kilometer über dem Boden könnte sie ein Beispiel für die Erde sein, meint Gerst. "Wenn wir über Kontinente hinweg so zusammenarbeiten können, dann können wir noch viel mehr zusammen erreichen", so der Astronaut. "Wir müssen es nur versuchen." (red, APA, 19.11.2018)