Dass das Sci-Fi-Universum von "Warhammer 40.000" sich nicht nur in der Rollenspiel-Community großer, seit 1987 andauernder Beliebtheit erfreut, sondern darüber hinaus auch bei diversen Religionswissenschaftern und -kritikern für Begeisterung sorgen könnte, kann spätestens seit dem Blogbeitrag "'Blut für den Blutgott!' – Die brutale Religiosität von 'Warhammer 40.000'" und auch der Resonanz festgehalten werden. Dabei wurden bislang nur die Chaosgötter betrachtet, die zwar durchaus interessante Wesen innerhalb der Welt von "Warhammer 40k" darstellen, religionswissenschaftlich aber, abgesehen vom bereits beschriebenen Bezug zur Freud’schen Religionskritik, nicht mehr viel hergeben. Darüber hinaus sind Slaanesh, Nurgle, Tzeentch und Khorne auch nicht unbedingt die erste Assoziation, die Fans mit "Warhammer 40.000" in Verbindung bringen würden.

Der Imperator: verwesender Leichnam auf goldenem Thron

Dieser "Ehrenplatz", wenn man so will, gebührt nämlich dem (Gott-)Imperator, dem glorreichen Retter und Beschützer der Menschheit, der sich im 41. Jahrtausend zwar primär durch physische Immobilität auszeichnet (dazu gleich mehr), aber dennoch Gottstatus genießt und glühend verehrt wird. Dabei teilt er sich, sicherlich nicht per Zufall, einige Charakteristika mit dem Gott des Christentums: so wird er etwa durch eine katholisch anmutende Institution vertreten, während eine unter seinem Namen geführte Inquisition dafür sorgt, dass kein Häretiker unverbrannt und kein fremder Planet unbekehrt davonkommt. Auch die Geburt und das Leben des Imperators haben durchaus göttliche Komponenten.

Eine gewisse Vorliebe für Gold kann dem Imperator nicht abgesprochen werden.
Foto: Workshop Games

Dabei gestaltet es sich zunächst äußerst schwierig, die Biographie des Imperators kurz zusammenzufassen – vor allem da vieles, das vorher als Kanon im "Warhammer 40k"-Universum galt, inzwischen überholt ist. Der Imperator wurde geboren, indem die ersten Psioniker (unter "Psioniker" versteht man Lebewesen, die den Warp beeinflussen und so Übernatürliches vollbringen können. Wir würden dies als zaubern, und dementsprechend Psioniker als Zauberer und Hexen bezeichnen), die die Bedrohung durch die Chaosgötter für ihr Weiterbestehen erkannten, kollektiven Selbstmord begingen, um so ihre Energien im Warp zu bündeln und als ein übermächtiges Wesen – der spätere Imperator – wiedergeboren zu werden. Die daraus resultierenden Kräfte machten den Imperator zu einem übermenschlichen Wesen und ließen ihn zu einer im Hintergrund agierenden Beschützerfigur werden. Er nahm im Laufe der Jahrtausende die unterschiedlichsten Rollen innerhalb der Menschheitsgeschichte an und unterstellte alles dem Ziel, die Menschheit vor dem Einfluss des Chaos zu schützen.

Zu diesem Zwecke sorgte er auch dafür, dass die Raumfahrt massiv vorangetrieben wurde, sodass der Mensch den Weltraum besiedeln konnte. Nach jahrhundertelangem Kriegstreiben gegen Chaosgötter und andere Bedrohungen wurde er durch einen seiner "Söhne" (als "Primarchen" bezeichnete, genetisch stark modifizierte Übermenschen), der vom Chaos verführt worden war, in den als "Bruderkrieg" bezeichneten Kämpfen tödlich verwundet, weswegen er seitdem an den Goldenen Thron auf Terra (der Planet, der im "Warhammer 40.000"-Universum unserer Erde entspricht) gebunden ist, der ihn künstlich am Leben erhält. In diesem sprach- und bewegungsfreien Zustand gefangen und dem Verfall Preis gegeben, rottet der Körper des Imperators langsam vor sich hin, während sein Geist nach wie vor zum Wohle der Menschheit agiert und mithilfe seiner psionischen Fähigkeiten die Chaosgötter auf Abstand hält.

Der imperiale Palast auf Terra.
Foto: Workshop Games

Die imperiale Wahrheit – Zwischen heilsgeschichtlichem Handeln und atheistischer Haltung

Aus Perspektive der Menschheit würde es also durchaus Sinn machen, den Imperator als übermächtiges Wesen, das zudem auch noch den Menschen gutgesinnt agiert, als Gottheit anzubeten. Zumindest erscheint es nicht viel unlogischer als die Anbetung eines vor tausenden von Jahren agierenden Zimmermanns, dessen heilsgeschichtliches Handeln zudem auch nicht ansatzweise so gut dokumentiert ist wie die philanthropischen Taten des Imperators. Trotzdem ist das "Warhammer 40k"-Universum, zumindest im Anfang, nicht ganz so unchristlich wie man vielleicht annehmen möchte. So florierten sowohl Christentum als auch die anderen Weltreligionen lange Zeit auf Terra, bis der Imperator sie im Zuge der Vereinigungskriege, in denen die verschiedenen Menschenvölker zu einem Imperium vereint wurden, verbot und verfolgen ließ.  Grundsatz des so entstandenen Imperiums der Menschheit war die "imperiale Wahrheit", die, frei nach humanistischem Vorbild, jegliche Religion zugunsten der Wissenschaft ablehnte.

Der Imperator, offensichtlich selbst passionierter Religionswissenschaftler, kam zu dieser Einsicht, nachdem er im Laufe seines Lebens die unterschiedlichsten Religionssysteme in ihrem Entstehen und Verlauf beobachten konnte. Anhand dieser Beobachtungen kam er zu dem Schluss, dass in einem rationalen und wissenschaftlich erfassbaren Universum kein Platz für Aberglauben und Übernatürliches sein kann. Zwar gibt es im "Warhammer 40k"-Universum die bereits erwähnten Psioniker und Chaosdämonen, diese werden jedoch nicht dem Übernatürlichem zugeordnet, sondern als real erfahrbare Existenzen eingestuft. Aus diesem Grund kann auch der Kampf gegen diese Mächte nur durch Wissen, nicht durch angstmotivierte Stoßgebete gewonnen werden.

Die These, dass Religion in einer modernen, aufgeklärten Welt nichts verloren hat, ist dabei aber keinesfalls eine eigenständige Erfindung von "Warhammer 40k". So stellte unter anderem der Soziologe Max Weber fest, dass mit fortschreitender Modernisierung zugleich eine "Entzauberung" der Welt stattfinden würde, was für das Imperium der Menschen unter der Herrschaft des Imperators ja ohne weiteres zustimmt. Daraus ergibt sich aber umso mehr die Frage, wie überhaupt ein Gotteskult um den Imperator entstehen konnte, vor allem da anzunehmen ist, dass diesem selbst die Anbetung ziemlich sicher alles andere als recht ist.

Heiligenschein und Flammenschwert verstärken die religiösen Konnotationen.
Foto: Workshop Games

Religion als vergesellschaftlichter Umgang mit Transzendenz

Auch für diese Frage kann in der Religionssoziologie eine Antwort gefunden werden. Der bereits erwähnten Säkularisierungsthese zum Trotz gibt es hier nämlich auch Ansätze, die kein Verschwinden von Religion annehmen. Diese Ansätze verstehen dabei einerseits unter Religion nicht nur institutionalisierte Ausformungen, sondern beispielsweise auch esoterische Strömungen, und basieren andererseits mehrheitlich auf der Frage nach der Funktion, die Religion in einer Gesellschaft erfüllt. Während es in der Religionssoziologie die unterschiedlichsten Antworten hierfür gibt, findet der Soziologe Thomas Luckmann dabei eine vergleichsweise einfache Lösung: "Die Funktion der Religion ist die Vergesellschaftung des Umgangs mit Transzendenz." Der Begriff "Transzendenz" kann von dem lateinischen Wort transcendere (überschreiten, übertreten) hergeleitet werden, und meint, stark vereinfacht gesagt, einen Bereich, der außerhalb des Erfahrbaren liegt.

Luckmann unterscheidet hierbei zwischen kleinen, mittleren und großen Transzendenzformen. Während kleine und mittlere Transzendenz das momentan nicht erfahrbare (unter diese Kategorie würden beispielsweise Erinnerungen fallen) und das in anderen Lebewesen liegende und daher nicht erfahrbare (beispielsweise die Gedanken und Gefühle eines anderen Menschen) beschreiben, umfasst der Begriff der großen Transzendenz alles, was komplett außerhalb der alltäglich möglichen Erfahrung liegt. Unter diese Kategorie fällt beispielsweise der Tod, der eine außeralltägliche, im Regelfall einmalige (Nekromantie, die es in "Warhammer 40k" auch gibt, logischerweise ausgenommen) Erfahrung für Menschen darstellt. Dementsprechend besteht auch die Funktion der Religion innerhalb einer Gesellschaft im Umgang speziell mit dieser großen Transzendenz. Wenn es immer Bereiche geben wird, die sich der alltäglichen Erfahrung entziehen, muss auch die entsprechende Funktion immer erfüllt werden. Dementsprechnend kann Religion beziehungsweise ihr Aufgabenbereich auch nie ganz verschwinden – sie kann höchstens in andere Gesellschaftsbereiche eingegliedert werden.

Ein Religionskritiker in religiöser Funktion

Während diese Definition von Luckmann selbstverständlich auch in der Religionssoziologie nicht ganz ohne Kritik betrachtet werden kann, ist sie dennoch im Universum von "Warhammer 40k" anwendbar. So stellt zum Beispiel der Warp einen Bereich dar, der außerhalb der alltäglichen Erfahrungsmöglichkeiten von Menschen liegt (Psioniker logischerweise ausgenommen). Der Imperator schützt die Menschen durch seine Einflussnahme auf den Warp, übernimmt so für diese den Umgang mit einer großen Transzendenz. In dieser Funktion hat der Kult um den Imperator nun auch seine Berechtigung; das Imperium der Menschen verehrt seinen Imperator nicht nur aufgrund seiner vergangenen Taten, sondern weil er seine religiöse Funktion nach wie vor wahrnimmt. So hat der Imperator zwar alle großen Religionen auf Terra ausgerottet, dabei aber dennoch (unabsichtlich) dafür gesorgt dass ihre Funktion in seiner Person weiterhin erfüllt wird. Die fanatische Anbetung seiner Gläubigen, die nicht nur eine Vorliebe für goldbasiertes Design, sondern auch die inquisitorische Verfolgung und systematische Ausrottung "Andersgläubiger" zur Folge hat, stellt dabei beinahe nur einen unerwünschten Nebeneffekt dar.

In der Logik des "Warhammer 40.000"-Universums nämlich – und hierin besteht auch der Unterschied zu realen Religionssystemen – basieren all diese Entwicklungen nicht unbedingt auf Glaubensfragen und -auslegungen. Im Gegensatz etwa zum Christentum hat der imperiale Kult sehr wohl empirische Beweise für das heilsgeschichtliche Handeln des Imperators und somit auch die Inquisition ihre Berechtigung. Chaosgötter und -dämonen sind nichts, mit dem die imperiale Kirche lediglich drohend den Finger heben kann; es sind real erfahrbare Wesen, die eine reale Bedrohung darstellen. In diesem Sinne bleibt nur auf eines zu hoffen: Möge der Imperator uns weiterhin alle schützen! (Raphaela Hemet, 21.11.2018)

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