Die EU steht vor zahlreichen Herausforderungen. Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise, Flüchtlinge und deren Verteilung stellen die Mitgliedsstaaten vor große Aufgaben.

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Saskia Stachowitsch ist Professorin für Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien sowie wissenschaftliche Leiterin des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (oiip).

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Wer macht die "Schmutzarbeit" in Europa – wer macht sie außerhalb Europas für die EU? Ist es sinnvoll in Herkunftsländern der aktuellen Migrationsbewegungen noch mehr Engagement zu zeigen oder sollte die Handhabe europäischer Staaten an unseren Grenzen enden? Diese und andere Fragen haben User im Forum zu "EU-Außengrenzen: Die schmutzige Arbeit machen die anderen" gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Saskia Stachowitsch von der Universität Wien diskutiert. Einige ausgewählte Postings beantwortet sie in diesem Artikel ausführlicher.

Saskia Stachowitsch: Europa sollte vor den schlimmen Zuständen in der Flüchtlingsunterbringung in Drittstaaten, aber auch auf EU-Territorium, vor der systematischen Gewalt gegen MigrantInnen und vor der hohen Zahl an Todesfällen an den Grenzen nicht die Augen verschließen. Dass so viele Menschen besonders an den Seegrenzen ums Leben kommen, ist zwar keine direkte Folge der Externalisierung. Die Verantwortung für die (Nicht-)Rettung dieser Menschen wird damit aber ebenfalls ausgelagert, und ihre Rechte werden dadurch systematisch ausgehöhlt. Es ist inakzeptabel, dass der Tod von so vielen Menschen in Kauf genommen oder gar als notwendiges Übel dargestellt wird, indem behauptet wird, die Seenotrettung wäre ein Anreiz für Migration. Studien haben gezeigt, dass Intensität und Örtlichkeit von Rettungsaktionen wenig bis keine Auswirkungen auf die Anzahl der Ankommenden haben, dass aber die Abwesenheit von solchen Aktivitäten klar mit einem Anstieg der Todesfälle in Zusammenhang steht.

Saskia Stachowitsch: Europa wird durch den starken Fokus auf Externalisierung nicht nur in einem entscheidenden Politikfeld abhängiger von teilweise autoritären Regimen und dadurch auch erpressbar, es befördert auch weitere Fluchtgründe bzw. Push-Faktoren von irregulärer Migration. Wenn etwa – wie im Falle Libyens – Akteure wie Paramilitärs in das Grenzregime eingebunden werden, die den libyschen Staat destabilisieren und seine Zentralregierung teilweise bewaffnet bekämpfen, ist dies sicherlich nicht im Sinne einer nachhaltigen Migrationspolitik. Es müssen sichere und legale Wege nach Europa geschaffen werden. Das ist nicht dasselbe wie ein generelles Öffnen der Grenzen für alle, aber es verhindert das massenhafte Sterben vor den Toren Europas und ist vermutlich sogar ressourcenschonend, wenn man den massiven finanziellen Aufwand bedenkt, der mit der Externalisierungsstrategie verbunden ist und von dem die europäische Sicherheitsindustrie besonders profitiert. Langfristig kann nur die Stabilisierung der Herkunftsländer etwas an der Situation ändern. Leider werden die Mittel dafür derzeit in ganz Europa gekürzt beziehungsweise in Subventionen für die Grenzapparate von Drittstaaten umgewandelt.

Saskia Stachowitsch: Die Mittelmeerregionen, in denen EU Akteure oder die europäische Grenzschutzagentur Frontex aktiv sind, sind ohnehin stark eingeschränkt. Ihre Aktivitäten finden in der Regel nicht in jenen Gebieten statt, in denen die meisten Toten zu beklagen sind. Im Moment gibt es Berichte, nach denen etwa die italienische Küstenwache bei Notfällen auf hoher See eben nicht eingeschritten ist, obwohl sie die nächstgelegenen Schiffe hatte, sondern zugewartet hat, damit die libyschen Kollegen diese Aufgabe übernehmen. Warum? Weil sie selbst die Geretteten nicht in ein unsicheres Drittland hätten bringen dürfen, Libyen aber schon. Die Externalisierung hat also die systematische Unterwanderung eines europäischen Prinzips zur Folge, bringt Menschen in Gefahr und hat wenig mit den praktischen Herausforderungen der Seenotrettung zu tun.

Saskia Stachowitsch: Neben dem Konsens über die unbestreitbaren Kosten für die Kolonisierten gibt es eine kontrovers geführte wissenschaftliche Debatte über die Kosten für die jeweiligen Kolonialmächte. Neuere Studien gehen aber davon aus, dass diese Ausgaben in der Vergangenheit eher überschätzt wurden. Der französische Staat gab etwa nur 0,29 Prozent des jährlichen Budgets für die Verwaltung der westafrikanischen Kolonien aus. Die Hauptlast lag auf den Kolonien. Erst die Unabhängigkeitsbestrebungen ab dem Zweiten Weltkrieg führten zu einem starken Anstieg des finanziellen Aufwands. Die Ausbeutung von Rohstoffen und der Sklavenhandel haben den Reallohn in Portugal, Großbritannien, Spanien und den Niederlanden wesentlich erhöht. Ein Rückführen aller gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Verhältnisse in ehemaligen Kolonialstaaten auf ihre Postkolonialität ist sicherlich nicht zielführend, da die Kontexte zu stark variieren. Im Falle Vietnams verkompliziert der Kalte Krieg und der Staatssozialismus das postkoloniale Narrativ. Obwohl auch die Vorherrschaft von UdSSR und China durchaus koloniale Züge aufwies, war damit ein Modernisierungsprojekt verbunden, das Vietnam völlig anders positioniert hat als viele afrikanische Staaten.

Saskia Stachowitsch: So problematisch diese Kooperationen oftmals sind: Lager außerhalb der EU ohne die Zustimmung und aktive Mitwirkung der lokalen Akteure sind undurchführbar und daher keine realistische Option. Schon jetzt wurden die Interessen der betroffenen Länder bei der Verkündung der neuen Externalisierungspläne durch die EU-Mitgliedsstaaten kaum berücksichtigt. Zahlreiche Länder von Ägypten bis Albanien haben diesen Plänen eine Absage erteilt. Der albanische Premierminister lehnte etwa eine Junktimierung – also eine Voraussetzung einer Regel für eine andere Regelung – zwischen den EU-Mitgliedschaftsverhandlungen und dem Asylthema ab und machte klar, dass im Zweifelsfall Albanien den schnelleren EU-Beitrittsprozess als "Gegenleistung" für die Verlagerung der Flüchtlingslast in die Staaten der Region ablehnen würde. Ein weiteres Ignorieren der Interessen von Nachbarstaaten kann daher nicht die Lösung für die Probleme der Externalisierung sein. (Saskia Stachowitsch, 22.11.2018)