Zufallsbekanntschaften gehören zu den schönsten Erfahrungen auf Reisen. Für die 1.000. Ausgabe des RONDO ist Reiseredakteur Sascha Aumüller in der Redaktionsstube geblieben und hat sich eine Europa-Karte besorgt. Er suchte zehn Orte, die exakt 1.000 Kilometer Luftlinie von Wien entfernt liegen. Dort rief er Wildfremde an und ließ sich erzählen, was es bei ihnen zu erleben gibt. Das hier ist Teil 2.

Grenaa in Dänemark

Dänemarks Küste am Kattegat wirkt ziemlich verschlafen. Hai-Begegnungen sind nicht das Erste, woran man denkt, wenn man von einer idyllischen Düne in die Ostsee springt. Und doch: 18 Arten wurden in diesen Gewässern registriert. Große Fische wie im Kattegat-Zentrum in der Kleinstadt Grenaa sind nicht darunter. Grete Fogtmann Johnsen gesteht am Telefon, dass sie selbst noch nie ins Haifischbecken des Aquariums gesprungen ist. "Keine Heldentat, wenn man bedenkt, dass ich hier arbeite und schon Acht- bis Zwölfjährige bei uns mit kleinen Haien und Rochen schwimmen gehen", sagt die Biologin, die für das Kattegat-Zentrum das Marketing macht. 250 Tierarten aus aller Welt beherbergt das dänische Haus des Meeres, und viele davon leben in offenen Aquarien, aus denen der Geruch von Salzwasser dringt. In das 1,5 Millionen Liter fassende Tiefseebecken mit tropischen Haien dürfen nur Besucher mit Tauchschein springen. Alle anderen können derweil durch eine Glaswand zuschauen und mit Seesternen Händchen halten.

Schwimmen und Tauchen mit Haien: www.kattegatcentret.dk

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Högsby in Schweden

Eintausend Kilometer nördlich von Wien landet man in einer südschwedischen Seenlandschaft – und mitten im Leben von Greta Garbo. Die Gemeinde Högsby hat der Schauspielerin ein eigenes Museum gewidmet, in dem 1100 Fotografien und unzählige persönliche Gegenstände aus einer Auktion in Beverly Hills zusammengetragen wurden. Aber was suchen all diese Devotionalien in Högsby? Greta Garbo wurde doch in Stockholm geboren. Ihre Mutter, Anna Lovisa Gustafsson, stammt aber aus diesem Ort, zu dem anscheinend noch andere Stockholmer eine Verbindung haben. Ich erreiche Ira Palme, eine Mitarbeiterin der Högsbyer Garbo-Gesellschaft, zu Hause: "Meine Beziehung zur Garbo? Ich bin in derselben Straße in Stockholm wie sie geboren. Doch ich verließ die Stadt, weil sie mir zu laut war, und zog nach Högsby, ohne zu wissen, dass ich hier wieder auf die Garbo treffen würde", erzählt sie. Gut 160 ehrenamtliche Mitarbeiter sind in der Gesellschaft für die 1990 in New York verstorbene, aber offensichtlich unvergessliche Garbo tätig.

Greta-Garbo-Museum: www.garbosallskapet.se

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Panevezys in Litauen

Reist man von Högsby gut 500 Kilometer Luftlinie südöstlich nach Litauen, verändert sich die Optik erschreckend wenig: Es dominieren Seen in der bewaldeten Landschaft, wenngleich es sich um kleinere, runde Wasserlöcher handelt, die an einen Meteoriteneinschlag denken lassen. In diesen zerlöcherten Wäldern soll um Panevezys der Wisent wieder heimisch sein. Da in Polen schon seit vielen Jahren Europäische Bisons in freier Natur leben, importierte Litauen einige der bis zu 600 Kilogramm schweren Exemplare und gründete 1969 eine Zuchtstation. 1973 wurden die ersten fünf ausgewildert, heute leben rund 30 Wisente in der Natur Litauens. Eugenijus Druzas heißt der Mann, der die Tiere in der Zuchtstation bei Panevezys betreut und bestens mit ihnen vertraut ist. Also rufe ich ihn an und begehe eine Dummheit: Nachdem wir mit einem halben Dutzend Fremdsprachen nicht weiterkommen, frage ich selbstbewusst auf Russisch: "Sprechen Sie Russisch?" Das tut der Mann – ganz im Gegensatz zu mir. Und er weiß vermutlich alles über Wisente.

Litauen-Tourismus: www.tourism.lt

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Minsk in Weissrussland

Beim Anruf in Minsk habe ich geschummelt. Das Weißrussisch von Kollege Ingo Petz ist nämlich deutlich besser als mein eigenes. Als er den Bibliothekar Anton Martysewitsch am Telefon erreicht, sprechen die beiden nicht nur dieselbe Sprache, sondern sie teilen auch dieselbe Leidenschaft: Fußball. Martysewitsch erzählt ihm: "Die meisten Vereine bei uns haben eine negative Haltung gegenüber ihren Fans. Bei uns ist ja vieles durch autoritäre Strukturen bestimmt. Das schlägt sich wohl auch auf die Fanszenen wieder, die ihrerseits von einer gewissen Aggressivität geprägt sind. Ich wollte einen Ort, an dem ich mich wohlfühle. Deswegen bin ich beim FC Krumkatschy gelandet. Das ist Belarussisch und bedeutet: die Raben. Als ich 2014 das erste Mal bei einem Spiel war, hätte ich nie geglaubt, dass dieser Verein mal in der höchsten Spielklasse spielen würde. Wir haben Lieder für viele unserer Spieler. Auch wenn wir verlieren, gibt es Applaus für unsere Mannschaft, die sich selbst immer darüber wundert." Also auf nach Minsk zum Fußballschauen!

FC Krumkatschy: www.krumka.by

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Tiraspol in Transnistrien

Was noch außer verwaisten Lenin-Statuen könnte in Tiraspol den Zuspruch von Reisenden erhalten? Ja, genau, Cognac! Weinbrand wurde in der Hauptstadt des zu Moldawien gehörenden, de facto aber unabhängigen Landes Transnistrien schon hergestellt, als es noch in der Sowjetunion lag. Was liegt demnach näher, als bei der Brennerei mit dem lustigen Akronym Kvint anzurufen – das steht auf Russisch für "Weinbrand, Wein und Getränke aus Tiraspol". Die Geschichte des Hauses begann 1897, als das erste Warenhaus in der Vokzalnaya-Straße in Tiraspol noch zu Zeiten der Zarenherrschaft der Romanows gegründet wurde. Heute setzt sie sich in der Arthur-Bretschneider-Straße in Chemnitz fort. Dort erreiche ich Ina Lukin, die den Vertrieb nun von Deutschland aus steuert: "Was, Sie wollen nach Transnistrien?", fragt sie, obwohl dieser Wunsch in dieser Form nie ausgesprochen wurde. "Überhaupt kein Problem. Wir können das alles organisieren, inklusive Verkostung. Wann geht Ihr Flug?" Na dann, zum Wohl auf die transnistrische Gastfreundschaft!

Brennerei Kvint: www.kvint.de

(Sascha Aumüller, RONDO, 23.11.2018)

Hier finden Sie Teil 1:

1.000 Kilometer von Wien: Ferngespräche mit Wildfremden

Hinweis: Dieser Artikel erscheint im Rahmen der 1.000-RONDO-Ausgabe

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