Wien – Florian ist 14 und eines jener 297.000 Kinder in Österreich, die armutsgefährdet sind. Mit seiner alleinerziehenden Mutter wohnt er in einer kleinen Wohnung, eigenes Zimmer hat er keines. In der Schule hat er große Probleme – nicht nur seine schlechten Noten stressen ihn, denn er weiß, dass er für eine Zukunft am Arbeitsmarkt den Schulabschluss braucht. Mitschüler würden ihn häufig auslachen, wenn er kein Geld für einen Ausflug hat oder mit älterer Kleidung kommt. Wenn er an der Schule vorbeifahre, bekomme er deswegen Bauchweh. "Manchmal kann ich nicht schlafen, weil ich mir so viele Sorgen mache." Auch wegen seiner Mutter, die häufig weine und mit seinem Vater streite.
Der Jugendliche heißt nicht wirklich Florian, es gibt ihn aber wirklich. Mit ihm gesprochen hat Judith Ranftler. Bei der Volkshilfe ist die Sozialarbeiterin Expertin für Kinderarmut. "Kinder wie Florian wissen extrem gut über die schwierige finanzielle Situation im Haushalt Bescheid", sagt Ranftler. Dass finanzieller Mangel Verwirklichungschancen verhindere und dafür sorge, dass sich Kinder nicht als selbstwirksam erleben, könne man an Lebensgeschichten wie jener von Florian gut sehen.
Forderung: Kinderarmut abschaffen
Die Volkshilfe will Kinderarmut nicht nur minimieren, sondern abschaffen. Dabei helfen soll ein neues Instrument: die Kindergrundsicherung, eine Art Grundeinkommen für Kinder. Zwar gebe es in Österreich viele kinder- und familienbezogene Transferleistungen, sagt Erich Fennninger, Direktor der Volkshilfe. "Doch keine der Maßnahmen verhindert Kinderarmut. Ganz im Gegenteil: Die Entwicklung in Richtung Steuererleichterungen verschärft die bereits jetzt ungleichen Startbedingungen für Kinder aus armutsbetroffenen Familien sowie eine Vererbung von Armut."
In die Kategorie "armutsgefährdet" fällt in Österreich, wer weniger als 1.238 Euro für einen Einpersonenhaushalt pro Monat zur Verfügung hat. Für jede weitere Person im Haushalt erhöht sich die Schwelle um 618 Euro, für Kinder unter 14 Jahren um 371 Euro. Von den betroffenen Kindern können es sich rund 54.000 nicht leisten, jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine vergleichbare vegetarische Speise zu essen. 69.000 können keine neue Kleidung kaufen, wenn die alte abgenutzt ist – im Vorjahr waren laut Statistik Austria deutlich weniger Kinder betroffen.
Kindbezogene Transferleistung
Die Kindergrundsicherung solle Kindern nachhaltig aus der Armut helfen, sagt Fenninger. Es gehe nicht nur um ein "Management von Mangel", also kurzfristige Hilfe. 20 armutsgefährdeten Kindern soll daher zwei Jahre lang eine Kindergrundsicherung bezahlt werden. Die Volkshilfe fordert, dass diese Zahlung die aktuellen familienpolitischen Leistungen ersetzen soll. Es handelt sich dabei um eine kindbezogene Transferleistung, die steigt, je geringer das Einkommen der Eltern ist.
Konkret sieht das so aus: Die universelle Komponente von 200 Euro sollen alle Kinder erhalten – unabhängig vom Einkommen der Eltern. Zusätzlich gibt es eine einkommensabhängige Komponente, diese beträgt maximal 425 Euro, wenn das jährliche steuerpflichtige Familieneinkommen 20.000 Euro nicht übersteigt. Danach folgt eine Einschleifung bis zur Obergrenze von 35.000 Euro Jahreseinkommen pro Familie.
625 Euro Maximalbetrag pro Kind
Warum genau 625 Euro Maximum pro Kind und Monat? Für die Zahlen habe man sich an den Referenzbudgets der Schuldnerberatung orientiert. Mit dem Geld soll nicht nur die materielle Versorgung sichergestellt werden, sondern auch Bildungschancen, soziale Teilhabe und gesundheitliche Entwicklung sollen ermöglicht bzw. garantiert werden.
Weil es aktuell ja andere Transferleistungen gibt, wird die jeweilige Differenz dazu berechnet. Die Volkshilfe will genau erforschen, wie sich dieses Grundeinkommen auf das Leben der Kinder auswirkt. Dafür gibt es jedes Quartal Gespräche mit den Familien.
Ab sofort sammelt die Volkshilfe Geld für das Projekt. Die 20 Kinder seien noch nicht alle ausgewählt, sagt Fenninger. Man arbeite dafür mit den Bundesländerbüros zusammen. Die Auswahl der Familien basiere auf Faktoren, die häufig zu Kinderarmut führen – etwa Alleinerziehende oder arbeitslose Eltern –, und auf regionalen Gesichtspunkten.
Fenninger hofft in der Folge auf eine politische Umsetzung. "Mit dem Modell könnte die Armutsgefährdungsrate der Gesamtbevölkerung um 3,5 Prozent verringert werden, jene der Minderjährigen sogar um drei Fünftel." (lhag, 22.11.2018)