"Es erschlägt einen alles: der Lärm, der Gestank", so beschreiben österreichische Filmemacher ihren dreimonatigen Aufenthalt in Ghanas Elektroschrottmüllhalde Agbogbloshie.

Foto: © Stadtkino Filmverleih

"Wir sind die besten Recycler. Für die Europäer ist es nur Müll. Aber ich kann noch ein wenig Geld herausquetschen", erzählt eine Stimme aus dem Off, während die Kamera über eine scheinbar endlose Landschaft aus Elektroschrott schwenkt. Als Mitte der 2000er-Jahre erstmals Container mit ausrangierten Computern in Ghana eintrafen, war das noch Teil eines Hilfsprogramms. Doch schnell wurde unter dem Etikett "Secondhand" tonnenweise Elektronikschrott aus der westlichen Welt entsorgt. Agbogbloshie, ein Stadtteil der Hauptstadt Accra, wurde damit zum Spiegelbild der westlichen Wegwerfkultur.

Jährlich landen dort rund 250.000 Tonnen Elektronikschrott aus Europa. Gemäß der Baseler Konvention wäre der Export von Elektromüll aus der EU zwar verboten, die Geräte werden aber als gebraucht deklariert.

Recycling durch Zertrümmern un Anzünden

Die Menschen wissen, wie sie mit einfachsten Mitteln und ohne Schutz an die verwertbaren Rohstoffe wie Eisen, Aluminium und Kupfer kommen. Dazu werden die Geräte zertrümmert oder angezündet. Die Giftstoffe sind in der Luft, im Boden, im Wasser. Die Umweltschutzorganisation Blacksmith Institute erklärte Agbogbloshie 2013 zu einem der verseuchtesten Orte der Welt.

Rund 6.000 Frauen, Männer und Kinder leben dort in Verschlägen aus Brettern und Wellblech. Sie selbst nennen diesen Ort "Sodom". Die österreichischen Regisseure Florian Weigensamer und Christian Krönes zeigen in ihrer bildgewaltigen und eindrücklichen Dokumentation Welcome to Sodom die Schicksale jener Menschen, die dort am untersten Ende der globalen Wertschöpfungskette arbeiten. Drei Monate hielt sich das Filmteam dafür in Agbogbloshie auf. "Dieser Ort ist in seiner Dimension weder in Bildern noch in Worten fassbar. Er vermittelt eine postapokalyptische Endzeitstimmung wie in einem Science-Fiction-Film, ist aber real", sagt Christian Krönes dem STANDARD.

"Wenn man den Menschen näherkommen, ihnen auf Augenhöhe begegnen möchte, kann man keine Atemschutzmaske tragen", sagt Weigensamer. Es dauerte, bis sich die Menschen öffneten, berichtet er: "Journalisten kommen meist nur für ein paar Tage, das reicht für eine spektakuläre Geschichte, und die Leute finden die Fotos dann im Internet und fühlen sich natürlich benutzt."

Den zwei Filmemachern gelingt es, ohne inszenierte Bilder und ohne erhobenen Zeigefinger durch den Kosmos der Elektromüllhalde zu führen. Die Handlungsstränge werden ausschließlich von den Protagonisten getragen. Kameramann Christian Kermer zeigt mit langen Einstellungen die Weite Agbogbloshies.

Ort der Hoffnung

Die vermeintliche Apokalypse entpuppt sich dabei als Ort der Hoffnung und Kreativität. Denn auch in Agbogbloshie beherrscht ein universelles Thema alles: der Wunsch nach einem besseren Leben, Frieden und der Kampf um die eigene Identität. Die Zuseher lernen einen ehemaligen Medizinstudenten kennen, der in Gambia wegen seiner Homosexualität verurteilt wurde und flüchtete. Ein junger Arbeiter hat in einem Holzverschlag ein Tonstudio gebaut, in dem er in der Freizeit seine Rapsongs aufnimmt. Ein junges Mädchen verkleidet sich als Bub, um mit einem Magneten nach Metallresten in der verbrannten Erde suchen zu dürfen. Diese Arbeit ist Männern vorbehalten.

"Die Menschen dort brauchen kein Mitleid von uns, sie wollen ernst genommen werden", sagen die Filmemacher. Welcome to Sodom solle vielmehr dazu anregen, das eigene Konsumverhalten zu überdenken. Der Erscheinungstag ist Zufall, passt aber: Am morgigen Black Friday locken wieder Angebote. Doch die elektronischen Produkte sind schnell wieder "out" – und damit Schrott. (Julia Schilly, 21.11.2018)