Für Michael Häupl braucht es für die Unis ein neues Beihilfensystem, das "zumindest annähernd soziale Gerechtigkeit herbeiführt". Bei den aktuellen Kriterien sei das nicht der Fall.

Foto: Matthias Cremer

Michael Häupl hat im WWTF das Büro des ehemaligen Unibeauftragten der Stadt, des heutigen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, übernommen.

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Michael Häupl hat das Amt des Bürgermeisters im Mai an Michael Ludwig übergeben. Im September zog er als ehrenamtlicher Präsident des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) in sein neues Büro. Seit Gründung des WWTF 2001 hat Häupl diese Funktion inne, der er nun mehr Zeit widmet als zuvor. Der sechsköpfige Vorstand, dem Häupl angehört, legt Strategien und Richtlinien für die Förderungen fest und entscheidet über Anträge. Der WWTF ist eine privat-gemeinnützige Organisation zur Stärkung der Forschung und zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

STANDARD: In den vergangenen Jahren ist Wien als Wissenschafts- und Forschungsstandort stetig gewachsen. Auch die Einrichtung des Wiener Wissenschaftsfonds fiel in Ihre Zeit als Bürgermeister. Macht Sie das ein bisschen stolz?

Häupl: Ich weiß nicht, ob Stolz der richtige Begriff ist. Aber es ist viel Gutes passiert. Wir haben uns vorgenommen, dass Wien nicht nur eine Weltstadt der Kunst, Kultur und Musik ist, sondern auch des Wissens. Wir sind nicht schlecht unterwegs, haben das Ziel aber bei weitem noch nicht erreicht. Dass wir die größte Universitätsstadt im deutschsprachigen Raum sind, ist gut für das Stadtleben. Das Forschungs- und Lehrpersonal ist sehr international, auch die Studierenden. Das ist großartig, auch wenn es andere stört.

STANDARD: Welche Ziele gibt es noch?

Häupl: Die medizinische Ausbildung ist in Wien sehr gut, aber solange die Karolinska in Stockholm noch vor uns liegt, können wir auch besser werden. Dafür muss die Sanierung der Wiener Spitäler abgeschlossen werden. Als Nächstes steht das Wiener AKH an. Es geht dabei nicht darum, die Haustechnik zu sanieren, sondern darum, dass die Universitätsklinik den wissenschaftlichen Aufgaben der Medizinischen Universität gut nachkommen kann.

STANDARD: In Hochschulrankings sind die österreichischen Unis zuletzt aber abgestiegen ...

Häupl: Das liegt in hohem Ausmaß an der Messmethode. Sie beruht nahezu ausschließlich auf Publikationen und Zitierungen. Das ist ein bisschen dürftig. Zur Beurteilung sollte die Innovation zählen, die Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnis in die Wirtschaft. Und natürlich ist die Umsetzung des Bologna-Prozesses zu beurteilten. Wenn man nicht den optimal ausgebildeten Nachwuchs bekommt, ist es mit dem Wissenschaftsstandort auch nicht weit her.

STANDARD: Welche Baustellen sehen Sie bei der Forschung?

Häupl: Wir haben zwei absolute Highlights: Life-Sciences und Quantenphysik. Es gibt Selbstläufer wie Rechtswissenschaften und Theologie, die sich von selbst reproduzieren. Aber die Geisteswissenschaften müssen wir forcieren. Wir haben international anerkannte Koryphäen. Aber da könnten wir noch besser sein. Natürlich kostet das viel Geld.

STANDARD: Wenn wir in den Life-Sciences so gut sind, wieso kann man internationale Forscher wie etwa den Genetiker Josef Penninger nicht halten?

Häupl: Dass Penninger nach Vancouver zurückgegangen ist, ist ehrlich gesagt für unseren Life-Science-Bereich ein Segen. Die Kooperationen, die sich mit den rund 80 Instituten, denen er vorsteht, ergeben, bieten uns enorme Möglichkeiten. Ansonsten muss man aber sagen: Die Strukturen der Universität sind auch oft noch im 19. Jahrhundert.

STANDARD: Meinen Sie die Machtkonzentration bei den Professoren, einst Ordinarien?

Häupl: Die Ordinarienuniversität war in meiner Studienzeit eigentlich schon überholt. Es hat sich vieles positiv verändert, das ist aber nicht genug. Wenn international anerkannte Wissenschafter nach Wien kommen, kann es nicht sein, dass es so mühsam für sie ist, einen Lehrauftrag zu bekommen. Eigentlich sollte man sie in Samt und Seide wiegen und auf einem Thron herumtragen.

STANDARD: Liegt es an der Politik oder an den Unis selbst, dass sie sich nicht weiterentwickeln?

Häupl: Die Universitäten sind autonom. Sie können sich nicht auf die Politik ausreden.

STANDARD: Der WWTF wirbt auch um private Mittel für die Forschung. Besteht durch Drittmittelfinanzierung die Gefahr, dass die Wirtschaft Einfluss auf die Wissenschaft und Lehre nimmt?

Häupl: Die Gefahr, dass durch Drittmittel Einfluss auf die Universität und Lehre genommen wird, halte ich für sehr klein. Dafür ist auch das Selbstbewusstsein von Universitätsprofessoren zu groß, dass sie sich von einem Bankdirektor sagen lassen, was sie forschen sollen. Als ich vor 30 Jahren Stadtrat wurde, haben wir begonnen, sehr gut mit den Universitäten zusammenzuarbeiten. Ein Beispiel: Die Akzeptanz der Müllverbrennungsanlagen kommt auch daher, dass wir mit den Universitäten Rauchgasreinigungsanlagen entwickelt haben und diese der Bevölkerung ihre Sorgen genommen haben. Auftragsorientierte Zusammenarbeit war der Anfang einer positiven Entwicklung der Beziehung der Stadt und der Universitäten.

STANDARD: Im Koalitionsabkommen der Bundesregierung finden sich Finanzierungsbeiträge für Studierende. Sind Studiengebühren ein gangbarer Weg, das Hochschulbudget auszustocken?

Häupl: Für mich nicht. Gebühren sind eine der sozialen Hürden im Bildungsbereich. Deshalb haben wir in Wien auch mit dem Gratiskindergarten – als erster Bildungseinrichtung für Kinder – die Beiträge abgeschafft. Studiengebühren würden mir nicht gefallen.

STANDARD: 61 Prozent aller Studierenden arbeiten, großteils um ihr Studium zu finanzieren. Braucht es eine Beihilfenreform?

Häupl: Es braucht ein Stipendiensystem, das zumindest annähernd soziale Gerechtigkeit herbeiführt. Bei den aktuellen Kriterien ist das nicht der Fall, Vermögen wird nicht einbezogen. Ein Bauernsohn kann ein Stipendium bekommen, aber ein Mittelstandskind, dessen Eltern Lehrer sind, bekommt keines. Aber auch eine völlige materielle Abhängigkeit von den Eltern ist nicht witzig. Mein Vater, Ehrenbandträger des MKV (Mittelschüler-Kartell-Verband, Anm.), bekam einen Tobsuchtsanfall erster Güte, als er in der Zeitung gelesen hat, dass ich zum Vorsitzenden des VSStÖ gewählt wurde.

STANDARD: Als Mittelschüler waren Sie bei einer schlagenden Schülerverbindung. An der Uni sind Sie dem VSStÖ beigetreten. Wie sehr hat die Uni Sie politisiert?

Häupl: Eine Sozialistische Jugend hat es in Krems damals nicht gegeben. In dem Moment, als wir geschnallt haben, welche Ideologie dahintersteht, haben wir die Verbindung verlassen. Meine Studienzeit war die Zeit des Aufstiegs von Bruno Kreisky. Er war für uns Junge eine Lichtfigur. Die wirkliche politische Sozialisation hat für mich aber im Studentenheim begonnen. Dort haben sie uns ärger behandelt als im Schülerheim. Wenn mich meine Mutter besucht hat, musste sie beim Portier warten, weil Frauen nicht auf die Zimmer gehen durften. Wir haben eine Heimvertretung gewählt und das Heim dann übernommen. Als wir mit unserer Revolution des Alltags fertig waren, war es ein gemischtes Studentenheim, und der Portier war abgeschafft.

STANDARD: Die Beteiligung bei den ÖH-Wahlen sinkt. Sind die Unis unpolitischer geworden?

Häupl: Der Druck ist größer geworden, die Hochschulen sind viel verschulter als früher. Wenn mehr als die Hälfte der Studierenden arbeitet, sehen viele die Uni als temporäre Zeit der Ausbildung. Es ist nicht unpolitischer geworden, aber es gibt ein anderes Politikverständnis und eine andere soziale Situation. Während meiner Studienzeit lag der Mief der ÖVP-Alleinregierung und der Mief an den Unis in der Luft. Das war ganz eine andere Stimmung.

STANDARD: Als Sie studiert haben, gab es eine Mindeststudienzeit, die das Mindestausmaß an Semestern, die man braucht, um die Wissenschaft zu erlernen, festgelegt hat. Im aktuellen Regierungsprogramm ist die Idee einer maximalen Studiendauer zu finden. Was halten Sie davon?

Häupl: Auf der einen Seite nimmt die Regierung still zur Kenntnis, dass die Hälfte aller Studierenden arbeitet, macht einen Schmarrn für ein soziales Studienförderungsgesetz und überlegt dann, eine Maximalstudienzeit einzuführen. Das ist eine intellektuellenfeindliche Herangehensweise. Es passt zu ihnen, nicht aber zu Wissenschaftsminister Heinz Faßmann, aber er macht sich mitschuldig. Wenn man ein bibelfester Katholik wäre, könnte man nur sagen: "Herr, verzeih ihm nicht, denn er weiß, was er tut."

STANDARD: Ihr Ausspruch "Man bringe den Spritzwein" nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen von Rot-Grün I hat mittlerweile fast Kultstatus. Welches Zitat soll für Ihre Zeit als WWTF-Präsident stehen?

Häupl: So etwas plant man ja nicht. Es war kurzzeitig ein bisschen deprimierend, dass man über Jahre komplizierte Zusammenhänge in möglichst einfachen Bildern darstellt, gescheite Bücher schreibt, und dann schafft man es auf die T-Shirts junger Intellektueller mit einem in einer besonderen Situation geborenen Spruch.

STANDARD: Als Helmut Zilk Sie in die Stadtregierung holte, sagte er, Ihre "depperten Frösche" können Sie später zählen. Haben Sie noch Lust auf die Herpetologie?

Häupl: Wenn ich das will, bin ich an meinem alten Arbeitsplatz im Naturhistorischen Museum jederzeit willkommen. Meine depperten Frösche zählen ... Da war ich kurz böse.

STANDARD: Alexander Van der Bellen hatte vor Ihnen sein Büro hier im WWTF. Ist das Büro auch für Sie Zwischenstopp auf dem Weg in die Hofburg?

Häupl: Ha! Natürlich nicht. Ich denke nicht einmal darüber nach.

STANDARD: Die vergangenen Wochen waren bei der SPÖ gelinde gesagt turbulent. Wie beurteilen Sie den Wechsel in der Bundespartei?

Häupl: Natürlich ist das nicht optimal gelaufen. Was Christian Kern gemacht hat, war nicht nur suboptimal, sondern geht eigentlich gar nicht. Danach ist aber alles relativ gut gelaufen. Es war sehr gut, dass man Pamela Rendi-Wagner gebeten hat, diese Funktion zu übernehmen. Dass ein paar nicht mehr ganz so junge Herren gemeint haben, sie müssen paternalistisch sein, wäre entbehrlich gewesen. Sie wird am Parteitag sicher mit einer erheblichen Stimmenanzahl gewählt werden. Ich bin aber nicht dort, ich bin nur noch einfaches Vorstandsmitglied der Bezirkspartei Ottakring.

STANDARD: Und Ehrenvorsitzender der SPÖ Wien ...

Häupl: Und Ehrenvorsitzender der Wiener SPÖ. Gut, okay. Wenn man schon auf einem Denkmal steht, soll man oben bleiben und nicht herunterkommen, um deppert zu reden. (Oona Kroisleitner, Tanja Traxler, 22.11.2018)

Michael Häupl (69) ist Präsident des Wiener Wissenschaftsfonds WWTF. Er studierte Biologie und Zoologie an der Uni Wien. Seine Dissertation behandelt die Schädelkinetik bei Gekkoniden. Von November 1994 bis Mai 2018 war der ehemalige Vorsitzende der SPÖ Wien Bürgermeister der Bundeshauptstadt.