"Es ist fünf nach zwölf", sagt Ariel Muzicant zur Lage der Juden in Europa. Er fordert eine entschlossenere Bekämpfung des Antisemitismus.

Wien – Die EU muss ihr Stimmverhalten in der Uno zu Israel betreffenden Themen überdenken. Die EU soll auf ihrem Dezember-Gipfeltreffen eine Erklärung abgeben, in der sie Antisemitismus einheitlich definiert und verurteilt. "Ein Europa, das schützt", das Motto der österreichischen Ratspräsidentschaft, bedeutet auch, "jüdisches Leben in Europa zu sichern".

Es waren starke Worte, mit denen Bundeskanzler Sebastian Kurz am Mittwoch bei der Konferenz gegen Antisemitismus und Antizionismus auftrat. Der Beifall des Publikums war ihm sicher: Spitzenvertreter jüdischer Organisationen und EU-Politiker wie Justizkommissarin Věra Jourová und der EVP-Spitzenkandidat für die Europawahl, Manfred Weber, hatten sich in den Sälen der Wiener Börse versammelt, um Möglichkeiten zu diskutieren, wie "dem Antisemitismus ein Ende bereitet" werden könnte.

Herausgekommen ist, unter anderem, eine 150 Seiten starke Broschüre mit Vorschlägen zur Bekämpfung von Antisemitismus auf mehreren Ebenen: im Bildungswesen von der Volks- bis zur Hochschule, im Business-Bereich und in der Politik und in öffentlichen Institutionen.

Erwähnt wird in der Broschüre auch, dass man auf Amazon ein Goebbels-Buch, voll mit antisemitischer Agitation, kaufen kann. Dies sollte künftig nicht mehr möglich sein, postuliert der vom Europäischen Jüdischen Kongress (EJC) herausgegebene Katalog. Regierungen wird darin, unter anderem, empfohlen: Zur Bekämpfung von Antisemitismus sollten sie pro Jahr mindestens 0,02 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bereitstellen.

Ariel Muzicant, Vizepräsident des Europäischen Jüdischen Kongresses und ehemaliger Chef der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), sagte, er sehe für die Juden in Europa eine pessimistische Zukunft, wenn es nicht bald eine Trendwende gebe. Auch der jetzige IKG-Chef Oskar Deutsch bezeichnete es angesichts sich häufender antisemitisch motivierter Überfälle auf Juden, etwa in Frankreich und Schweden, als "dringlich, dass jetzt etwas getan wird".

Lob von Netanjahu

Kurz, der in einer per Video zugespielten Botschaft von Israels Premier Benjamin Netanjahu viel Lob für seine Initiative erhielt, betonte die "besondere Verantwortung" Österreichs wegen der Mittäterschaft in der Shoah. Es sei "unglaublich", dass Antisemitismus heute noch immer existiere – und sogar (durch Migration) ein "neu importierter" hinzukomme.

EVP-Spitzenkandidat Weber will auch "die sozialen Medien reglementieren". In diesen hatte es tags zuvor, nach einem Treffen zwischen George Soros und Kurz, eine Welle des Hasses gegeben. In einschlägigen Foren wird der US-Investor mit ungarisch-jüdischen Wurzeln als einer der Verantwortlichen für die Flüchtlingswelle 2015 ausgemacht.

Bildungsminister Heinz Faßmann hatte dazu in einem ZiB 2-Interview gemeint, solche Ausbrüche müsse man "ignorieren" – und dafür viel Kritik im Netz geerntet. Auf der Konferenz sagte Faßmann, jede Form von Antisemitismus sei "absolut inakzeptabel". Die digitalen Medien sprach er nicht an. Das tat Staatssekretärin Karoline Edtstadler: Sie will künftig auch "digitalen Antisemitismus" stärker bekämpfen. (Petra Stuiber, 21.11.2018)