Nach 9. Lg5: Carlsens Abweichung von Partie vier.

Nach 17. Dd1: Die weißen Zentralbauern sind mobil und gefährlich.

Nach 38…De5: Damentausch ist unvermeidlich.

1/2-1/2 nach 56…Ke6: Die ungleichfarbigen Läufer sichern das Remis.

Spuren vom Fußballspielen bei Carlsen.

Foto: Nadia Panteleeva

Neunte Partie, neuntes Remis.

Foto: Nadia Panteleeva

London – Neun aus neun, das hat bei einer Schach-WM noch keiner geschafft. Es gibt natürlich andere Rekorde, die man Magnus Carlsen und Fabiano Caruana lieber hätte brechen sehen als jenen für die längste Remisserie zu Beginn eines WM-Matches.

Carlsens Verbesserung

Die beiden ehrgeizigen jungen Männer machen es ja auch nicht absichtlich. Alle bisherigen Partien wurden ausgekämpft, auch Runde neun bildet da keine Ausnahme. Carlsen wählt in dieser Partie zum zweiten Mal die Englische Eröffnung, und siehe da: Der Weltmeister hat im Vergleich zu Partie vier eine Verbesserung vorbereitet – oder zumindest eine Veränderung, um es vorsichtiger zu formulieren.

Der österreichische Großmeister Markus Ragger analysiert die neunte Partie der Schach-WM 2018.
Österreichischer Schachbund

Ob Carlsens Plan 9. Lg5 in der Drachenvariante mit vertauschten Farben nämlich wirklich für Vorteil reicht, das ist die Frage. Immerhin schenkt der Norweger seinem Gegner durch den Rückzug 11. Lc1 zwei ganze Tempi. Dafür hat er Fabiano Caruana mit seinem Ausfall dazu gebracht, die Springer auf c3 zu tauschen und so die weiße Struktur und Zentrumskontrolle zu verbessern.

Diesen Vorzug seiner Stellung spielt Carlsen in der Folge aus. Jetzt muss Schwarz rasch die weißen Zentralbauern blockieren, damit seine Leichtfiguren nicht entscheidend zurückgeworfen werden. Nach 17 Zügen sind sich die Experten einig, dass die Stellung des Weltmeisters zumindest angenehmer aussieht, seine Eröffnungsvorbereitung mit Weiß also zum ersten Mal in diesem Match Früchte getragen hat.

Carlsens Vorteil

Keine schlechten Voraussetzungen für eine entschiedene Partie, möchte man meinen. Als sich Caruana dann auch noch ohne Not entschließt, seinen weißfeldrigen Läufer aufzugeben, spucken die mitrechnenden Computerprogramme schon greifbaren Vorteil für den Anziehenden aus.

Die entstehende Stellung mit Schwerfiguren und ungleichfarbigen Läufern sieht außerdem ganz nach des Weltmeisters Geschmack aus: Weiß hat die etwas bessere Struktur, den etwas sichereren König. Das, so glaubt man, wird der Norweger jetzt ein paar Stunden lang kneten. Und ein paar Hunderttausend seiner Landsleute werden vor den Fernsehgeräten darauf warten, dass endlich Wasser aus dem Stein tropft.

Carlsens Hast

In Norwegen ist die Schach-WM nämlich ein Live-Fernsehereignis, das Einschaltquoten von weit über 50 Prozent erzielt. Aber als halb Norwegen es sich mit Knabberzeug und Magnus-Fanartikeln vor den Bildschirmen vermutlich gerade erst so richtig gemütlich gemacht hat, lässt der Nationalheld sich seinen heißersehnten Weißvorteil durch die Finger gleiten.

Mit 24. h4 und 28. h5 forciert Carlsen die Ereignisse zu schnell. Caruana kann die Stellung am Königsflügel öffnen, danach stehen gewissermaßen beide Könige schlecht. Dieses Faktum beschwört bald einen Tausch der Schwerfiguren herauf, dem keiner der Spieler vernünftig ausweichen kann. Das entstehende Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern und drei Bauern ist remis, auch wenn der Weltmeister noch bis zum 56. Zug erfolglos versucht, seinen Herausforderer in einen Flüchtigkeitsfehler zu treiben.

Carlsens Grant

Bei der Pressekonferenz wirkt Carlsen, der am Ruhetag beim Fußballspielen ein Cut am Auge ausgefasst hat, erstmals in diesem Match demonstrativ schlecht gelaunt.

"Hat die Verletzung Ihnen während der Partie Schmerzen bereitet?"

"Nein."

"War das Ihre bisher beste Leistung bei dieser WM?"

"Nein."

"Ab wann haben Sie gesehen, dass das Endspiel remis ist?"

"Natürlich sofort. Ich verstehe die Frage nicht."

In den verbleibenden drei klassischen Partien der WM führt Fabiano Caruana nun zweimal die weißen Steine. Ob es sich dabei um einen belastbaren Vorteil handelt, wird sich weisen. Steht es nach zwölf Partien 6:6, wird über den WM-Titel jedenfalls in einem Schnell- und Blitzschach-Tiebreak entschieden.

Am Ende steht Armageddon

Dort wäre einer weiteren Remisserie dann ein Ende durch das Reglement gesetzt: Neutralisieren sich die beiden Kontrahenten auch im Blitzschach (ein unwahrscheinliches Szenario), dann stünde am Ende dieses WM-Matches eine sogenannte Armageddon-Partie: In dieser verfügt Weiß über eine Minute mehr Bedenkzeit, ein Unentschieden wird jedoch als schwarzer Sieg gewertet. Über die Farbwahl entscheidet das Los.

Partie zehn beginnt am Donnerstag um 16 Uhr MEZ. Fabiano Caruana spielt dann mit Weiß.(Anatol Vitouch, 21.11.2018)

Schach-WM in London, 9. Partie, Mittwoch:

Weiß: Magnus Carlsen (NOR) – Schwarz: Fabiano Caruana (USA) 0,5:0,5

Zwischenstand nach neun Partien: 4,5:4,5

Eröffnung: Englische Eröffnung; Züge: 56; Spielzeit: 3 Stunden 29 Minuten

Notation: 1.c4 e5 2.Sc3 Sf6 3.Sf3 Sc6 4.g3 d5 5.cxd5 Sxd5 6.Lg2 Lc5 7.0-0 0-0 8.d3 Te8 9.Lg5 Sxc3 10.bxc3 f6 11.Lc1 Le6 12.Lb2 Lb6 13.d4 Ld5 14.Dc2 exd4 15.cxd4 Le4 16.Db3+ Ld5 17.Dd1 Lxf3 18.Db3+ Kh8 19.Lxf3 Sxd4 20.Lxd4 Dxd4 21.e3 De5 22.Lxb7 Tad8 23.Tad1 De7 24.h4 g6 25.h5 gxh5 26.Dc4 f5 27.Lf3 h4 28.Txd8 Txd8 29.gxh4 Tg8+ 30.Kh1 Df6 31.Df4 Lc5 32.Tg1 Txg1+ 33.Kxg1 Ld6 34.Da4 f4 35.Dxa7 fxe3 36.Dxe3 Dxh4 37.a4 Df6 38.Ld1 De5 39.Dxe5+ Lxe5 40.a5 Kg7 41.a6 Ld4 42.Kg2 Kf6 43.f4 Lb6 44.Kf3 h6 45.Ke4 La7 46.Lg4 Lg1 47.Kd5 Lb6 48.Kc6 Le3 49.Kb7 Lb6 50.Lh3 Le3 51.Kc6 Lb6 52.Kd5 La7 53.Ke4 Lb6 54.Lf1 Ke6 55.Lc4+ Kf6 56.Ld3 Ke6