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Krank werden, weil man die Wohnung verliert, oder die Wohnung verlieren, weil man krank ist – oft ist es ein Teufelskreis, aus dem Betroffene schwer herauskommen.

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Drei Jahre lang folgte bei Frau B. ein Notquartier auf das nächste. Die Alternative waren Nächte auf der Straße. Sie fühlte sich gesund – auch, wenn ihr mehrere Diagnosen eine psychische Erkrankung bescheinigten. Nachts irrte sie oft in den Unterkünften umher, wodurch sich andere Bewohner gestört fühlten. Es folgten Hausverbote und die Suche nach neuen Quartieren, dazwischen Nächte im Freien. Die Situation setzte sie unter enormen Stress, der gesundheitliche Zustand verschlechterte sich zusätzlich.

Fälle wie jener von Frau B. häufen sich, heißt es beim Verband der Wiener Wohnungslosenhilfe (VWWH). Im Rahmen ihres aktuellen Situationsberichts macht der Verband auf die steigende Anzahl von psychisch kranken Menschen in der Obdach- und Wohnungslosenszene aufmerksam: 49 Prozent der Betroffenen berichteten bereits 2012 in einer Erhebungsstudie des VWWH davon, biografisch Probleme mit der psychischen Gesundheit zu haben, 45 Prozent von einer Suchterkrankung.

Steigerung

In der täglichen Praxisarbeit nehmen die Mitarbeiter eine Steigerung dieser Zahlen wahr, immer häufiger betroffen seien außerdem Junge. Oft verstärken sich beide prekäre Situationen gegenseitig: Die psychische Erkrankung wird durch die Wohnungslosigkeit schlimmer oder eine psychische Erkrankung wird durch die Wohnungslosigkeit ausgelöst.

Dass es einen erhöhten Bedarf an Angeboten gibt, sei laut VWWH feststellbar. Um gezielte Maßnahmen für Betroffene entwickeln zu können, fordert der Verband eine neue Evaluationsstudie. "Es fehlen nicht nur personelle Ressourcen und Therapieangebote, sondern vor allem auch leistbarer Wohnraum und der Ausbau von spezifischen Wohnangeboten", sagt Roland Skowronek, Vorstandsmitglied des VWWH und Sprecher der Heilsarmee. Das psychiatrische Versorgungsnetz mit etwa 160 Kassenärzten, davon etwa 30 in Wien, sei jedenfalls unzureichend. Die Finanzierung einer Psychotherapie sei außerdem für Wohnungslose in den meisten Fällen in weiter Ferne.

Der VWWH wünscht sich ein neues, niederschwelliges Tagesstruktur-Angebot und eine verstärkte Verschränkung der derzeitigen Angebote mit dem stationären psychiatrischen Bereich.

Zugang zu Versorgung

Bereits jetzt gibt es verschiedene Angebote für psychisch kranke wohnungslose Menschen, auch für Nicht-Versicherte, etwa die psychiatrischen Liaisondienste der Psychosozielen Dienste Wien, die in etwa 30 Einrichtungen aktiv sind oder das Neunerhaus-Gesundheitszentrum. Letzteres bietet seit einem Jahr medizinische Primärversorgung unabhängig des Versicherungsstatus der Klienten. 4800 Menschen wurden in diesem Zeitraum dort versorgt.

Neben der akuten Wundversorgung seien auch psychische Beschwerden unter den häufigsten Krankheitsbildern, sagt Neunerhaus-Geschäftsführerin Elisabeth Hammer. Sie fordert, dass auch Nichtversicherte Zugang zu ärztlicher Versorgung haben, "damit wir sie an Krankenhäuser und Fachärzte weiterverweisen können". Hammer wünscht sich außerdem die Finanzierung eines Psychiaters im Gesundheitszentrum und eine Aufstockung von etwa einem Drittel der Sozialarbeiter.

Housing First

Es dauerte jahrelang, bis Frau B. einen Platz in einem betreuten Wohnhaus annahm. Etwa 6500 betreute Wohnplätze, die der Fonds Soziales Wien (FSW) fördert, gibt es in der Bundeshauptstadt. 1.500 Plätze sind laut FSW für physisch und psychisch chronisch kranke Menschen vorgesehen, 228 Plätze gibt es in Einrichtungen mit zielgruppenspezifischen Schwerpunkt für Menschen mit psychischen Erkrankungen, etwa die Hälfte davon für Frauen.

Elke Beerman (Caritas) weist darauf hin, dass spezifische Unterstützungsangebote für Frauen dringend notwendig seien: Ein großer Teil der wohnungslosen Frauen habe körperliche, psychische und sexuelle Gewalt erlitten, weshalb posttraumatische Belastungsstörungen häufig anzutreffen seien.

Seitens des VWWH fordert man einen Ausbau der Plätze. Die Schwelle, in derartigen Einrichtungen zu landen, sei außerdem hoch, meint Hammer. Ein wirksames Instrument, besonders bei psychisch Kranken, sei der Ansatz des Housing First – die direkte Vermittlung einer eigenen, leistbaren Wohnung mit sozialarbeiterischer Betreuung. "Eine Stabilisierung kann in einer Notschlafstelle schwer gelingen", sagt Hammer.

Mit dieser Strategie will sich die Stadt Wien künftig noch stärker auseinandersetzen. Derzeit werden 346 solcher Plätze gefördert. (Vanessa Gaigg, 22.11.2018)