Sergei Karjakin macht den symbolischen ersten Zug für Magnus Carlsen, dem er 2016 in New York unterlag.

Letztlich einigten sich Carlsen und Caruna auch in der elften Partie auf ein Remis.

Nach 9…Sf6: Caruana spielt sein geleaktes Manöver.

Nach 30. Lxc5: Der weiße Mehrbauer ist nicht viel wert.

1/2-1/2 nach 55…Lc2: Der h-Bauer kann die Schwelle h5 nicht überschreiten.

London – Magnus Carlsen ist nicht in Form. Das war schon vor der elften Matchpartie klar, bestätigt sich an diesem Samstag aber noch einmal nachdrücklich.

Da sind zum einen die Weißeröffnungen des Weltmeisters, die nicht zu überzeugen vermögen. Sechsmal hat Carlsen in London die weißen Steine geführt. Nur ein einziges Mal, in Runde neun, vermochte der Norweger dabei Druck auf seinen Herausforderer auszuüben. Das ist ziemlich wenig. Gegen die erwartbare Russische Verteidigung Fabiano Caruanas hat der Champion etwa offenbar keine einzige frische Idee im Gepäck.

Müder Meister

Zum anderen gelingt es Carlsen in diesem Match bisher überhaupt nicht, seine gefürchtete Lästigkeit in ausgeglichenen Stellungen zu entfalten. Das mag auch am hochpräzisen Spiel seines Gegners liegen. Trotzdem wird man den Eindruck nicht los, dass der Norweger das Vertrauen in seine Fähigkeiten weitgehend verloren hat. In den Pressekonferenzen wirkt er mit jeder Runde müder, fahriger, unwilliger. Und genau so lässt sich derzeit auch sein Spiel beschreiben.

Der österreichische Großmeister Markus Ragger analysiert die elfte Partie der Schach-WM 2018.
Österreichischer Schachbund

Unerklärlich etwa, wieso Carlsen sich nach dieser elften Partie ein weiteres Mal überrascht von der Variantenwahl seines Gegners zeigt. Nicht nur handelt es sich bei dem von Caruana gewählten Plan mit 8...Sd7 und 9...Sf6 um eines der aktuell meist diskutierten Abspiele in dieser Variante der Russischen Verteidigung. Nein, genau dieser Plan war auch noch auf Caruanas Laptop-Oberfläche für die ganze Schachwelt sichtbar geworden, nachdem der St. Louis Chess Club einen Imagefilm über die Vorbereitung des US-Amerikaners ins Netz gestellt hatte.

Tiebreak am Horizont

Carlsen und sein Team müssen das Abspiel also erwartet haben. Irgendetwas dürfte bei der Vorbereitung aber ein weiteres Mal gründlich schiefgegangen sein. Denn nach 26 von beiden ziemlich flott heruntergespulten Zügen steht ein Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern auf dem Brett, von dem der Weltmeister nicht ernsthaft glauben kann, dass es ihm zu seinem ersten Sieg in diesem Match verhelfen wird. Es entsteht daher der Eindruck, dass Carlsen mit dieser Abwicklung hauptsächlich dem Tiebreak einen Schritt näher kommen will, in dem der Norweger nach wie vor als hoher Favorit gilt.

Zwar ist das Endspiel nicht ganz so harmlos, wie es eingangs aussieht. Aber Fabiano Caruana ist über die richtige Verteidigungsmethode natürlich im Bilde und gibt sich keine Blöße. Dass er im 30. Zug am Damenflügel einen Bauern geben muss, wäre bei jeder anderen Leichtfigurendistribution potentiell tödlich. Die ungleichfarbigen Läufer, die einander wie Sonne und Mond niemals begegnen können, machen den kleinen materiellen Nachteil dagegen verschmerzbar.

Caruana baut sich mit leichter Hand eine unerschütterliche weißfeldrige Festung, in die der Weiße nicht eindringen kann. Mit dem Plan f4, f5 unternimmt Carlsen pflichtschuldig noch einen Gewinnversuch. Als sein Gegner darauf aber korrekt mit der Überführung seines Läufers auf die Diagonale b1-h7 antwortet, ist endgültig klar, dass es heute keinen Sieger geben wird.

Auf fxg6 würde der Schwarze nun nämlich immer mit dem Bauern zurückschlagen, nach Kxf7 schlägt hingegen der schwarze Läufer den Bauern f5. In beiden Fällen kommt der weiße h-Bauern nicht in den Genuss, sich Freibauer nennen zu dürfen und wird sich in diesem Leben definitiv nicht mehr in eine Dame verwandeln können: Remis.

Ein Sieg genügt

Beim Stand von 5,5:5,5 nach elf Partien muss die Entscheidung über den WM-Titel nun auf eine von zwei Arten fallen. Entweder gibt es in der am Montag zu spielenden, zwölften Partie einen Sieger, der sich in diesem Fall sofort Weltmeister nennen darf. Oder ein weiteres Remis führt das Match in ein am Mittwoch auszutragendes Tiebreak, in dem zunächst vier Schnellpartien, bei weiterem Gleichstand dann eine Serie von Blitzpartien gespielt werden.

Hochspannung ist für das Ende dieser WM in beiden Fällen garantiert. Es darf außerdem davon ausgegangen werden, dass Herausforderer Caruana in seiner letzten Weißpartie nichts unversucht lassen wird, um sich mit einem Sieg direkt zum Weltmeister zu krönen. Vielleicht schlummert genau für diesen Zweck ja sogar noch eine besonders giftige Eröffnungsidee in den Datenbanken des US-Amerikaners. Wenn dem so ist, dann ist die wichtigste Partie seines Lebens am Montag, 16h MEZ mit Sicherheit der Moment, sie zu zeigen. (Anatol Vitouch aus London, 24.11.2018)

Die Notation der elften Partie:

Weiß: Magnus Carlsen (Norwegen) – Schwarz: Fabiano Caruana (USA) 0:5:0:5
Stand: 5,5:5,5.

Eröffnung: Russische Verteidigung. Züge: 55. Spielzeit: 2:20 Stunden.

1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.Sxe5 d6 4.Sf3 Sxe4 5.Sc3 Sxc3 6.dxc3 Le7 7.Le3 0-0 8.Dd2 Sd7 9.0-0-0 Sf6 10.Ld3 c5 11.The1 Le6 12.Kb1 Da5 13.c4 Dxd2 14.Lxd2 h6 15.Sh4 Tfe8 16.Sg6 Sg4 17.Sxe7+ Txe7 18.Te2 Se5 19.Lf4 Sxd3 20.Txd3 Td7 21.Txd6 Txd6 22.Lxd6 Td8 23.Td2 Lxc4 24.Kc1 b6 25.Lf4 Txd2 26.Kxd2 a6 27.a3 Kf8 28.Lc7 b5 29.Ld6+ Ke8 30.Lxc5 h5 31.Ke3 Kd7 32.Kd4 g6 33.g3 Le2 34.Lf8 Kc6 35.b3 Ld1 36.Kd3 Lg4 37.c4 Le6 38.Kd4 bxc4 39.bxc4 Lg4 40.c5 Le6 41.Lh6 Ld5 42.Le3 Le6 43.Ke5 Ld5 44.Kf4 Le6 45.Kg5 Ld5 46.g4 hxg4 47.Kxg4 La2 48.Kg5 Lb3 49.Kf6 La2 50.h4 Lb3 51.f4 La2 52.Ke7 Lb3 53.Kf6 La2 54.f5 Lb1 55.Lf2 Lc2