Puppenspieler Michael Pietsch zieht die Fäden an einem, der in Burkina Faso selbst die Fäden zog: der abservierte Präsident Blaise Compaoré in Puppengestalt.

Foto: Lupi Spuma

Eine Ensembleabordnung des Schauspielhauses Graz reist mit Georg Büchners Dantons Tod im Gepäck nach Burkina Faso, um dort zu proben. Das Revolutionsstück von 1835 betrachtet man dabei als "Dialogangebot" an das Burkinabé-Publikum. Echt jetzt? Nicht ganz. Die Geschichte ist erdacht, andererseits aber doch real geschehen. Und das ist der interessante Grat einer Inszenierung, die aus einem Spannungsraum das Maximale herausholt: fiktionale Figuren auf einer echten Reise, Realität erproben.

Der deutsche Regisseur Jan-Christoph Gockel (36) hat mit Schauspielern also tatsächlich eine steile Recherchereise in den westafrikanischen Staat unternommen. Und zwar mit dem Preisgeld, so heißt es, das er im Vorjahr bei der Nestroy-Gala holen konnte (ein Scherz, der Preis ist nicht dotiert). Dies gelang ihm damals mit seiner Inszenierung von Heiner Müllers Der Auftrag: Dantons Tod, einem Text, der die Werte der Aufklärung als volatil decouvriert.

Ziemlich genial

Das Folgeprojekt heißt nun Die Revolution frisst ihre Kinder! und hatte am Freitag Uraufführung am Schauspielhaus Graz. Diese Art Fake-Doku hat vor allem ein Ziel: Sich genau jenen Fallen zu stellen, die der postkoloniale Diskurs bei so einem europäisch-afrikanischen Brückenschlag zu offerieren hat. Schauspieler gehen als Schauspieler mit den Werten der europäischen Aufklärung in Burkina Faso hausieren und scheitern damit zwangsläufig. Das ist ziemlich genial.

Man fliegt also nach Ouagadougou, der Hauptstadt des westafrikanischen Staates (wo übrigens auch Christoph Schlingensiefs Operndorf steht), und beschwört in der Folge sämtliche Dilemmata herauf, die einer solchen Mission innewohnen müssen. Gockels Inszenierung reflektiert die sich selbst gestellten Fallen auf mehreren Ebenen stets mit. Humor fehlt da nie.

Schauspieler, Puppenspiel (Bau der Klappmaulpuppen: Michael Pietsch) und Filmdokumentation erzählen ineinander ragend von Beklemmung, Nichtwissen, Vorurteilen und Barrieren. Alsbald spiegelt sich die Revolution von 1789 in der Revolution auf den Straßen des heutigen Ouagadougou, wo das Volk 2014 den machthungrigen Langzeitpräsidenten Blaise Compaoré stürzt.

Hinterfragenskultur

Nach dem Motto "Theorie ist die Totenmaske der Erfahrung" wirft sich die Regisseurin (herzhaft bossy gespielt von Julia Gräfner) mit ihrem kleinen Ensemble (Raphael Muff, Michael Pietsch und Komi Mizrajim Togbonou) in den culture clash. Der erziehungspflichtige Schauspieler (Florian Köhler) und die Intendantin (Evamaria Salcher) müssen derweil in Graz bleiben.

Neben Schauspielerkrisenbewältigung und Nachhilfe in Sachen politischer Geschichte Burkina Fasos (Revolutionsheld Thomas Sankara!) tritt in den Begegnungen vor allem eines zutage: die typisch europäische, pseudobesorgte Hinterfragenskultur. DJ Smockey aus Ouagadougou sagt: Macht doch mal! Und seid nicht immer so negativ!

Eliten halten eben zusammen

Gelegentlich kommt auf der mit einer Hütte, einem Auto und einem Probentisch bestückten Bühne (Julia Kurzweg) George Danton (ebenso Florian Köhler) vorbei, dessen Geist in sauber konservierter Livrée offensichtlich als Kellner in Westafrika jobbt. Er wird später als personifiziertes altes, starrhalsiges Europa vonnöten sein, um den abservierten Präsidenten (Blaise Compaoré in Puppengestalt) vor seinem wütenden Volk zu schützen. Die Eliten halten eben doch zusammen.

Die Inszenierung spielt mit dem eigenen Inszenierungsvorhaben und kann so ihre eigene Selbstgerechtigkeit, ihren Rassismus, ihre Blindheit von allen Seiten "herzeigen". Das macht sie in gewisser Weise unantastbar. Aber als Zuschauer hat man in die Tiefe ihrer Widersprüche geblickt. (Margarete Affenzeller, 25.11.2018)