Liliana Furió ist die Tochter eines Verbrechers: Während der argentinischen Militärdiktatur von 1976 bis 1983 war ihr Vater in der Provinz Mendoza Geheimdienstchef der Armee. Sozial engagierte und linksgerichtete Politiker, Intellektuelle, Künstler, Lehrer, auch Geistliche, wurden verfolgt, gefoltert und ermordet. Von zahlreichen Opfern wurden die Leichen nie gefunden. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass um die 30.000 Menschen getötet wurden.
Mit Ende der Diktatur wurde die Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen in den 80er-Jahren zunächst erfolgreich vorangetrieben. Es kam auch zu Prozessen. Zunehmend starker Gegenwind und die Drohung eines erneuten Putsches veranlassten die Regierung jedoch, Zugeständnisse an das Militär zu machen. Erst unter der Präsidentschaft von Néstor Kirchner (2003–2007) wurden wieder Prozesse eröffnet.
Wenn die Militärs schwangere Frauen festnahmen, erhielten diese in der Regel eine "exklusive" Behandlung, in der sie besser versorgt wurden als andere Regimegegner, die darbten. Es ging allerdings allein darum, dass die Mütter gesunde Kinder auf die Welt bringen. Kaum waren die Babys geboren, übergab man sie fremden Familien. Man geht von über 500 geraubten Babys aus. Die Großmütter dieser Neugeborenen machten sich auf die Suche nach ihren Enkelkindern. Bis heute haben sie 128 Enkel gefunden, meist durch Hinweise ehemaliger Gefangener und am Ende mittels DNA-Probe.
Furió, heute 55-jährige Mutter von drei Kindern, fühlte sich all die Jahre sehr einsam mit ihrer familiären Geschichte. Mit wem auch hätte sie darüber sprechen sollen, wer ihr Vater ist und was er getan hat? Bis sie eines Tages Analía Kelinec kennenlernte, ebenso Tochter eines Diktaturschergen. Die zwei Frauen gründeten vor einem Jahr gemeinsam die Gruppe Historias Desobedientes (Ungehorsame Geschichten, Anm.). Über das Internet fanden sie weitere Töchter und Söhne, die allein litten. Jetzt zählt die Organisation über 80 Personen. Heuer marschierten sie mit den Angehörigen der Verschwundenen erstmals offiziell durch Buenos Aires – um ihre Solidarität zu zeigen.
Die Dokumentarfilmerin Furió kann keine Beweise gegen ihren Vater vorlegen, da sich dieser immer über seine Taten ausschwieg. Andere Kinder der Schergen können aber sehr wohl über die Verbrechen ihrer Väter berichten.
Gesetzesänderung beantragt
Diesen Umstand will die Gruppe ändern. Im November beantragte sie im Parlament eine Änderung des Strafgesetzbuchs. Die Töchter und Söhne wollen mit ihren Aussagen dazu beitragen, die Menschenrechtsverbrechen aufzuklären.
Und Furió? Sieht sie ihren Vater noch?