Es steht finanziell und politisch viel auf dem Spiel bei der Frage, ob die Wodkamarke einem exilierten Milliardär oder einem russischen Staatsunternehmen gehört.

Foto: Stolichnaya, Montage: Der STANDARD

Es ist einer der längsten und kompliziertesten Streitfälle vor heimischen Gerichten – und einer mit internationaler Sprengkraft. Denn im Verfahren, ob die beliebte Wodkamarke Stolichnaya in Österreich einem exilierten Milliardär oder einem russischen Staatsunternehmen gehört, geht es um einerseits Feinheiten des russischen und des niederländischen Rechts – aber letztlich auch um die Legitimität des Vorgehens des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen ihm nicht genehme Oligarchen.

Kurz nach dessen erstem Wahlsieg im Jahr 2000 machte ein russisches Gericht die Privatisierung in den 1990er-Jahren rückgängig. In den meisten westlichen Ländern gehören die Rechte auf Stolichnaya und die kleinere Marke Moskovskaya der Unternehmensgruppe Spirits International (SPI) von Yuri Shefler, der sie Ende der 1990er-Jahre erworben hatte – auch in Österreich.

Hier wird allerdings so wie in vielen anderen Ländern seit 14 Jahren prozessiert. Die für diesen Zweck gegründete FKP Sojuzplodoimport versucht mit allen Mitteln, die wertvollen Markenrechte für Russland zurückzugewinnen. Wo FKP verkaufen darf, kommt der Wodka aus Moskau; SPI lässt das Getränk im lettischen Riga produzieren.

Revision und Gutachten

Die beiden letzten Runden gingen in Österreich an die russische Seite: Im Juli entschied der Oberste Gerichtshof, dass ein niederländisches Urteil zugunsten Moskaus auch für Österreich gelten sollte; dies hat das Oberlandesgericht Linz, das noch im Februar anders entschieden hatte, im September bestätigt.

Die heimischen Anwälte der SPI haben sich mit dem Antrag auf eine außerordentliche Revision erneut an den OGH gewandt und zahlreiche Gutachten vorgelegt, die ihre Sichtweise bestätigen. Lehnt der OGH den Antrag ab, dann hat FKP gewonnen und kann beginnen, um Schadenersatz für den entgangenen Gewinn der vergangenen Jahre zu prozessieren. Die Entscheidung könnte noch vor Jahresende fallen, heißt es.

Aus Russland geflüchtet

Im Rechtsstreit geht es vornehmlich um die Frage, was ein niederländisches Urteil zu bedeuten hat, in dem die Rücknahme der Privatisierung durch ein russisches Gericht als rechtmäßig anerkannt worden ist. Demnach seien die Marken ab 1990 rechtswidrig verschleudert worden; Shefler, der 2000 aus Russland flüchtete und heute in London lebt, habe die Marken daher 1996 gar nicht erwerben dürfen.

Christian Klausegger von der Kanzlei Binder Grösswang, der FKP vertritt, ist überzeugt, dass der zentrale Teil dieser mehrstufigen Entscheidung aus Den Haag, die für alle Beneluxstaaten gilt, rechtskräftig ist und aufgrund der sogenannten Brüssel-1a-Verordnung über die Anerkennung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in allen EU-Mitgliedsstaaten anwendbar ist. Dieser Rechtsmeinung hat sich der OGH zuletzt angeschlossen.

Beschlagnahmte Dokumente

Martin Reinisch von Brauneis Klauser Prändl (BKP), der SPI in Österreich vertritt, sieht hier allerdings mehrere Rechtsirrtümer und will die Höchstrichter davon überzeugen. Das niederländische Urteil sei kein Teil-, sondern ein Zwischenurteil, das sehr wohl noch aufgehoben werden könne. Das zeige sich auch darin, dass das Höchstgericht für Jänner 2019 ungewöhnlicherweise noch eine Anhörung in diesem Fall angesetzt hat. Dies habe der hiesige Gerichtsgutachter falsch verstanden, kritisiert Reinisch.

Weiters sei "Brüssel I" auf die vorgelagerte Frage der Privatisierung überhaupt nicht anwendbar, weil es sich dabei um ein öffentlich-rechtliches Verfahren handelte, in dem der Kreml seinerzeit wie auch nun bei der Geltendmachung direkt involviert war und ist. Dazu komme eine Verjährung, weil die FPK-Klage ein Jahr zu spät eingebracht worden sei.

Gang nach Straßburg erwogen

Reinisch sieht auch zahlreiche Verfahrensmängel und überlegt einen Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). "Der Gerichtsgutachter hat einen wesentlichen Teil unserer Fragen nicht beantwortet, es gab daher keine Waffengleichheit", kritisiert er.

SPI-Vertreter verweisen weiters auf unzählige Verstöße der russischen Seite bei ihrer internationalen Klagskampagne. So seien im Jahr 2000 entscheidende Dokumente, die die Rechtmäßigkeit der Privatisierung belegen könnten, beschlagnahmt und den westlichen Gerichten nie zur Verfügung gestellt worden. Weil dies erkannt worden sei, habe auch SPI in zahlreichen Ländern bisher die Oberhand behalten.

Und alle Versuche Moskaus, eine Auslieferung Sheflers zu erreichen, seien von britischen und Schweizer Gerichten abgelehnt worden. Die Schweiz hat ihm Asyl angeboten, die Briten die Staatsbürgerschaft – ein starkes Signal gegen die russische Justiz. Der Markenstreit ist allerdings nur in wenigen Staaten der Welt rechtskräftig entschieden.

"Vertraue den Niederlanden"

Für Klausegger ist die Frage, ob man der russischen Justiz trauen kann, nicht relevant. "Ich vertraue dem niederländischen Urteil. Das Gericht hat die Sache nach russischem Recht eigenständig geprüft, und das Oberlandesgericht Linz hat das Gleiche getan." Laut Reinisch aber hat in Linz keine eigenständige Prüfung stattgefunden, sondern es wurde einfach das niederländische Urteil übernommen.

Klausegger hofft, dass ein Erfolg in Österreich auch "eine stark überzeugende Wirkung" auf die Gerichte anderer EU-Staaten haben und SPI dadurch den Großteil des europäischen Marktes kosten wird.

Ein Sieg der FKP vor den heimischen Gerichten wäre auch ein psychologischer Erfolg für Putin, der trotz der jüngsten Spionageaffäre in Österreich immer noch besser dasteht als in anderen westlichen Staaten. Aber diese politischen Überlegungen, heißt es, sollten in diesem verzwickten Verfahren keine Rolle spielen. (Eric Frey, 28.11.2018)