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Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eskaliert.
DER STANDARD

Kiew/Lwiw – Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat als Konsequenz aus dem militärischen Zwischenfall vor der von Russland annektierten Krim-Halbinsel das Kriegsrecht ausgerufen. Der Geheimdienst habe ihn informiert, dass Russland einen Angriff auf die Ukraine plane, erklärte er in einer TV-Ansprache.

Die Verhängung des Kriegsrechts für 30 Tage ab dem 28. November gibt dem Staat erheblich mehr Befugnisse. Die die bürgerlichen Rechte sollen laut Poroschenko allerdings nicht einschränkt werden, auch die für 2019 geplanten Wahlen sollen stattfinden.

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Russische Marineboote setzten ukrainische Schiffe fest.
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Keine Kriegserklärung an Russland

Zuvor hatte Poroschenko die Reservisten der Streitkräfte in Bereitschaft versetzt. Die sogenannte Erste Welle der Reserve solle sich bereithalten, sagte er. Das bedeute jedoch nicht unmittelbar eine Mobilmachung. Poroschenko bekräftigte, dass es sich nicht um eine "Kriegserklärung" an Russland handle. Das Kriegsrecht werde lediglich zu Verteidigungszwecken verhängt.

Von Russland forderte Poroschenko die unverzügliche Freilassung festgenommener ukrainischer Matrosen. "Wir fordern, dass sie zusammen mit den Schiffen sofort der ukrainischen Seite übergeben werden", erklärte er am Montag. Die "brutale" Festnahme verstoße gegen internationales Recht.

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Der UN-Sicherheitsrat wird sich am Montag mit der Eskalation befassen. Das wichtigste UN-Gremium wird zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen, gab die US-Botschafterin bei der Uno, Nikki Haley, am Sonntag bekannt. Das Treffen soll um 17 Uhr MEZ beginnen. Diplomaten zufolge wurde die Sitzung von Russland und der Ukraine beantragt. Auch die Nato sowie die EU-Kontaktgruppe tagen noch am Montag.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko berief noch Sonntagnacht eine Krisensitzung des nationalen Sicherheitsrats ein.
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Kneissl: Kein direkter Draht zu Putin

Österreichs Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) brachte ihre "große Besorgnis" zum Ausdruc. Die Botschafter im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) der EU werden am Dienstagnachmittag darüber beraten, kündigte Kneissl am Montag an. Die EU müsse jetzt schnell handeln: Die EU "schaltet sich ein, die muss sich einschalten". Die Sondersitzung des PSK erfolge auf österreichische Initiative, "damit es zu einer geschlossenen EU-Position kommt".

Angesprochen auf ihren persönlichen Kontakt zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, der Gast bei ihrer Hochzeit im Sommer war, winkte Kneissl ab. "Ich habe keinen Draht in dieser Form, dass ich jetzt den russischen Präsidenten irgendwie kontaktiere. Das erfolgt ausschließlich über unsere Botschaften" sowie über die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. "Ich habe hier nicht den Draht, den vielleicht manche vermuten würden."

Russland sieht Wahlkampfstrategie Poroschenkos

Russland wertet Poroschenkos Ankündigung, das Kriegsrecht zu verhängen, als Wahltaktik. "Das ist definitiv ein toller Start in Poroschenkos Wahlkampf", schrieb der Vorsitzende des Außenausschusses im russischen Föderationsrat (zweite Parlamentskammer, Anm.), Konstantin Kossatschow, am Montag auf Facebook. Er sprach von "einer schändlichen Piraten-PR-Aktion". Der Sprecher von Präsident Putin, Dmitri Peskow, sprach von einer "gefährlichen Provokation". Außenminister Sergej Lawrow rief den Westen dazu auf, die Ukraine vor einer weiteren Eskalation zu beruhigen. "Die westlichen Unterstützer Kiews sollen dort jene zur Vernunft bringen, die aus Kriegshysterie politischen Profit schlagen wollen", sagte Lawrow in Moskau.

Vor dem Parlament in Kiew demonstrierten am Montag Anhänger rechtsradikaler Organisationen.
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In der Ukraine findet im März die Präsidentenwahl statt. Aufgrund der Verhängung des Kriegsrechts könnte die Wahl verschoben werden, weil unter anderem das Versammlungsrecht im Wahlkampf nicht gewährleistet wäre und Ausgangssperren bestehen könnten. Das ukrainische Parlament wollte am Montagnachmittag in einer Sondersitzung darüber entscheiden.

Drei verletzte Matrosen

Russische Grenzschutzboote hatten nach Angaben der russischen und der ukrainischen Regierung im Schwarzen Meer vor der Krim drei ukrainische Marineschiffe beschossen und drei Matrosen verletzt. Anschließend beschlagnahmten sie die Boote. Während Kiew von einer militärischen Aggression sprach, erklärte der russische Geheimdienst FSB, dass die Schiffe illegal in russische Hoheitsgewässer eingedrungen seien und auf Aufforderungen zum Stoppen nicht reagiert hätten.

Vor der russischen Botschaft in Kiew versammelten sich am Sonntagabend dutzende Demonstranten. Ein starkes Polizeiaufgebot sicherte das Gebäude. Am Ende hinterließen die aufgebrachten Ukrainer hunderte weiße Papierschiffchen vor der Botschaft und auf dem Zaun, berichtete die Zeitung "Expres". Unweit der Botschaft sei ein Auto mit russischem Diplomatenkennzeichen angezündet worden, berichtete die russische Agentur Tass. Vor dem russischen Konsulat in Lwiw zündeten Demonstranten Autoreifen an.

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Vor der russischen Botschaft in Kiew kam es zu Protesten, ein Auto mit russischem Diplomatenkennzeichen ging in Flammen auf.
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Straße mit größter strategischer Bedeutung

Die Straße von Kertsch vor der Krim ist für Moskau und Kiew von größter strategischer Bedeutung. Die Meerenge zwischen der Krim und Russland ist die einzige Verbindung zwischen dem Schwarzen Meer und dem nördlich gelegenen Asowschen Meer. Es handelt sich um eine wichtige Passage für Schiffe mit ukrainischen Metallindustrie-Exporten. Denn am Asowschen Meer liegt unter anderem die Hafenstadt Mariupol – die letzte noch von Kiew kontrollierte große Stadt im Osten der Ukraine und ein wichtiger Industriestandort.

Kiew und westliche Staaten werfen Moskau vor, den Schiffsverkehr durch die Straße von Kertsch absichtlich zu behindern. So verhindert die Fertigstellung einer 19 Kilometer langen Brücke über die Meerenge nach Angaben der Hafenleitung von Mariupol die Durchfahrt sehr großer Schiffe. Außerdem stoppt die russische Küstenwache seit diesem Jahr Frachter – offiziellen Angaben zufolge für Kontrollen.

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Über eine Brücke, die gesperrt wurde, fliegen Kampfflugzeuge.
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Auch militärisch nahmen die Spannungen zu. So verlegte die russische Marine im Mai fünf Kriegsschiffe vom Kaspischen in das Asowsche Meer. Kiew befürchtet, dass Moskau eine Offensive auf Mariupol vorbereitet. Die Ukraine und der Westen beschuldigen Russland, die Rebellen im Industriegebiet Donbass zu unterstützen, das am Asowschen Meer liegt. (red, APA, Reuters, dpa, 26.11.2018)