Die Kinder schreiben gerade ihre Wunschzettel, die Vermarktung in den Geschäften läuft auf Hochtouren: Spielzeug ist oft verlockend inszeniert, Altersangaben sind häufig zu niedrig.

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Ingetraud Palm-Walter testet seit Jahrzehnten Spielzeug und weiß Rat in der Vorweihnachtszeit.

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STANDARD: Kinder haben oft sehr starke Wünsche. Dann wird der Wunsch erfüllt, und schon bald findet das Spielzeug keine Beachtung mehr. Warum schwindet das Interesse so schnell?

Palm-Walter: Ein Grund ist, dass Kinder durch Werbung und Medien mitbekommen, dass Weihnachten und Schenken zusammengehören. Sie denken, Wünschen gehört da dazu, und überlegen, welches Spielzeug sie haben wollen. Außerdem werden die Produkte oft viel spektakulärer präsentiert, als sie tatsächlich sind. Wenn Kinder das bemerken, verlieren sie schnell das Interesse daran.

STANDARD: Was verstehen Sie unter der Inszenierung des Spielzeugs?

Palm-Walter: Im Geschäft wird ein Kind nie eine Grundpackung Lego aussuchen, sondern immer etwas zum Nachbauen. Das sieht viel toller aus. Dabei wäre es bis zu einem Alter von fünf Jahren besser, Kinder würden einfach mit dem Grundbausatz spielen. Die Ansprüche der Kinder an sich selber sind auch gestiegen. Die Baupläne haben sich erwachsene Ingenieure ausgedacht, sie sind herausfordernd. Das systematische Modellbauen hat zwar auch seine Qualität, aber man sollte Kindern sagen, dass es mehr wert ist, wenn sie selber etwas bauen, auch wenn es vielleicht nicht so perfekt ausschaut.

STANDARD: Welche Rolle spielen Fernsehserien, in denen Spielzeugfiguren als Akteure vorkommen und Spielsachen die Requisiten sind?

Palm-Walter: Das hat natürlich zusätzlich einen starken Aufforderungscharakter und ist Teil der Vermarktung. Identifikationsfiguren wird es immer geben. Eltern sollten sich allerdings fragen, ob sie mit dem Weltbild, das eine Figur vermittelt, einverstanden sind.

STANDARD: Wie wichtig ist das Erfüllen von Wünschen eigentlich?

Palm-Walter: Nicht jeder Wunsch muss erfüllt werden. Wenn Eltern wissen, dass sie einen Wunsch nicht erfüllen werden, kann es helfen, das Kind darauf vorzubereiten, damit die Enttäuschung nicht allzu groß ist. Eltern sollen Haltung zeigen und erklären, warum sie manche Sachen nicht kaufen wollen. Werte werden auch beim Schenken weitergeben, daher sollte man nichts schenken, wovon man selber nicht überzeugt ist. Das ist in jeder Familie anders.

STANDARD: Was muss gutes Spielzeug haben?

Palm-Walter: Man sollte auf geprüftes Spielzeug achten. Auf alle Fälle sollte es einen hohen Spielwert haben. Das Wichtigste ist, dass Kinder selber aktiv werden und sich mit ihrer Persönlichkeit einbringen können. Das Material muss passen, die Haltbarkeit, das Design, eine gute Anleitung muss dabei sein.

STANDARD: Worauf achten Sie bei den Spielzeugtests, die Sie durchführen?

Palm-Walter: Ein wichtiger Punkt sind stimmige Altersangaben. Die Hersteller setzen sie in letzter Zeit nach unten. Sie argumentieren, dass Kinder aufgrund des Medienkonsums mit sechs oder sieben Jahren schon viel kennen. Aber schenkt man Kindern etwas zu früh, nimmt man ihnen eine Freude weg. Sie erreichen dann die Spieltiefe nicht. Denn wenn ein Spielzeug schon ein paar Jahre im Zimmer steht, ist es auch später nicht mehr so interessant, wenn es altersgemäß wäre.

STANDARD: Welches Spielzeug brauchen Kinder überhaupt, was macht wirklich Sinn?

Palm-Walter: Es gibt Kategorien, an denen man sich orientieren kann: Dazu gehören Bewegungs- und Wahrnehmungsspiele, denn den eigenen Körper setzt ein Kind als Erstes zum Spielen ein. Die zweite Kategorie sind Materialien zum Bauen, Experimentieren und Gestalten, Bausteine. Dann gibt es die Rollenspiele wie etwa mit dem Kaufmannsladen oder dem Arztkoffer und die Kategorie der Gesellschaftsspiele.

STANDARD: Warum gibt es heute noch immer so viel geschlechtsbezogenes Spielzeug?

Palm-Walter: Das hat zugenommen und ist aus unserer Sicht kontraproduktiv für die Entwicklung der Kinder. Hier spielt die Überflussgesellschaft eine Rolle, in der wir eigentlich keine neuen Artikel mehr brauchen. Die Hersteller machen daher Spielzeug in Blau und Pink und schaffen so vermeintlich neue Produkte. Ganz offensichtlich findet eine ähnliche Entwicklung auch in der Kindermode statt. Bei den Spielwaren kommt noch dazu, dass Kindern sehr früh Markenbewusstsein vermittelt wird. Das sieht man in den Spielzeuggeschäften, die Regale sind nach Herstellern sortiert.

STANDARD: Ist Holzspielzeug bei den Kleinsten wirklich das Nonplusultra?

Palm-Walter: Es kommt auf das Spielzeug an, ob Holz für den Spielzweck am passendsten ist. Die Kleinsten sollten aber auch die Erfahrung von Stoff, Leder und Kunststoff machen. Alles hat seine Berechtigung.

STANDARD: Sie testen seit 30 Jahren Spielzeug. Was sind die Klassiker, die noch immer aktuell sind?

Palm-Walter: Die klassische Holzeisenbahn, die jetzt schon viele Kunststoffteile hat und teilweise batteriebetrieben ist. Und Puppenspiele. Die Praxis zeigt: Je mehr digitales Spielzeug am Markt ist, desto mehr kommt wieder der Wunsch nach physischem Tun, Greifen und Begreifen. (Marietta Adenberger, 28.11.2018)