Emmanuel Macron weht derzeit von allen Seiten kalter Wind entgegen.

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Die Protestierenden fordern Macrons Rücktritt.

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Am Samstag eskalierten die Straßenproteste auf der Champs-Élysées.

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Die Erwartungen waren hoch: Nach zehn Tagen harter Proteste mit hunderten von Straßenblockaden im Land sowie Krawallen in Paris hofften die "gelben Westen" am Dienstag auf einen Rückzug der umstrittenen Dieselsteuer-Erhöhung. Emmanuel Macron verweigerte dies allerdings in einer Rede zur französischen Energiepolitik. Er ist nur bereit, die Steuer semesterweise an die Spritpreise anzupassen. Wenn das Rohöl auf dem Weltmarkt teurer wird, soll die Steuer also sinken. "Wir müssen eine Methode finden, um diese Abgabe intelligenter zu gestalten", führte der Staatschef aus.

Macron äußerte Verständnis für die finanzielle Notlage der ärmeren Landbevölkerung, die auf längere Autofahrten angewiesen ist und mit ihren – in französischen Autos obligatorischen – Leuchtwesten gegen die Steuererhöhung um sieben Prozent protestiert. Die Ökosteuer auf fossile Treibstoffe, ja die ganze Energiepolitik dürfe diese Geringverdiener nicht benachteiligen, meinte er. Deshalb sollen binnen drei Monaten in allen Landesregionen Diskussionsrunden stattfinden. Sie sollen konkrete und nachhaltige Lösungen erbringen, darunter etwa der Ausbau des öffentlichen Verkehrs oder Prämien für Elektrowagen oder Gebäudeisolierungen.

Langsamer Abbau, aber kein Verzicht auf Atomenergie

Wie seit Wochen geplant, umschrieb Macron in seiner Rede vor allem Frankreichs zukünftige Energiepolitik und Stromproduktion, die zu 80 Prozent nuklearer Herkunft ist. Der Staatschef bestätigte sein Wahlversprechen, diesen Atomanteil auf 50 Prozent zurückzufahren – allerdings nicht wie von seinem Vorgänger François Hollande geplant im Jahr 2025, sondern erst 2035. Schon im Sommer 2020 soll das dienstälteste AKW Fessenheim nahe der Grenze zu Deutschland und der Schweiz stillgelegt werden. Insgesamt vierzehn der 58 französischen Atomreaktoren von je 900 Megawatt sollen "zwischen 2025 und 2035" abgeschaltet werden, erklärte Macron, ohne die betroffenen Atommeiler namentlich zu nennen.

Der französische Präsident machte zudem klar: "Ein Atomkraftwerk zu schließen bedeutet nicht, dass wir auf die Kernenergie verzichten." Vielmehr setze Frankreich weiter auf die neue AKW-Generation namens EPR. Der erste solche Reaktor ist derzeit in Flamanville am Ärmelkanal im Bau. Bis 2021 will Macron, der noch bis 2022 gewählt ist, über den Bau neuer Atomkraftwerke entscheiden.

Kritik an zu wenig erneuerbarer Energie

Zugleich will Macron die erneuerbaren Energien vorantreiben. Die Zahl der Windkraftwerke soll bis 2030 verdreifacht, die Fläche der Sonnenkollektoren verfünffacht werden. Ferner befürwortet der Präsident eine "zumindest deutsch-französische, wenn nicht europäische" Strategie zur Herstellung von Batterien in Elektroautos, um nicht von der chinesischen und koreanischen Produktion abhängig zu sein.

Die erste Reaktion auf Macrons Auftritt kam vonseiten der Grünen. Der Europa-Abgeordnete Yannick Jadot rechnete vor, dass Macron die Stilllegung neuer Reaktoren 17 Jahre aufschiebe, drei Jahre länger, als das bisher der Fall gewesen sei. Damit bleibe Frankreich "gefangen in seinen alten Energien", setze es doch mit Russland und China auf den Atomkurs, während die ganze übrige Welt heute in die Erneuerbaren investiere.

Noch geharnischter reagierten die "gelben Westen". Ihre Hauptvertreterin Jacline Mouraud meinte, es sei an sich eine gute Sache, die Bürger zu Diskussionsrunden zu laden. "Aber doch nicht erst in drei Monaten! Unser Kühlschrank ist schon in drei Tagen leer", meinte die resolute Bretonin mit Blick auf das Monatsende, um sich für die Fortsetzung der Straßensperren auszusprechen. Südlich von Paris meinte ein anderer Gelbwestenträger in die Mikrophone: "Die Energiepolitik bis 2035 festzulegen ist ja gut und recht. Aber zuerst wollen wir den Rückzug der höheren Benzinsteuer – so intelligent die auch sein mag."

Oppositionelle Kritik

Sprecher von Oppositionsparteien forderten ihrerseits ein Moratorium der Steuererhöhung. Linken-Chef Jean-Luc Mélenchon erklärte, als Ersatz für den Finanzausfall von vier Milliarden Euro sollte Macron die Vermögenssteuer wieder einführen, was ebenfalls vier Milliarden einbringe. Für die konservativen Republikaner meinte Laurence Sailliet, Macrons Bezeichnung "Ökosteuer" sei ohnehin nicht gerechtfertigt, da nur fünf Prozent der Steuererhöhung in die Energiewende flössen.

Auch die Pariser Medienkommentatoren schütteln den Kopf über den gutgemeinten, von der "gelben" Basis aber nicht verstandenen Versuch, Sozial- und Energiepolitik zu verkoppeln. Selbst die Macron-Partei La République en marche (LRM) vermag nicht anzugeben, ob die diversen Prämien für die ärmeren Autofahrer unter dem Strich nun zu einer Steuererhöhung oder -senkung führen. Und ob Frankreich in Wirklichkeit mehr oder weniger auf seinen Atomkurs setzen wird. (Stefan Brändle aus Paris, 27.11.2018)