Anita Sarkeesian ist der Meinung, dass zu wenig Druck auf die Gaming-Industrie ausgeübt wird, erwachsen zu werden.

Foto: Heribert CORN

STANDARD: Haben Sie überhaupt noch Spaß an Videospielen?

Sarkeesian: Kommt aufs Spiel an. Als ich "Tropes vs Women" gestartet habe, musste ich viele Games spielen, die mich nicht interessierten. Heute würde ich nur noch Spiele spielen, die ich wirklich mag. "Guacamelee 2" etwa konnte ich nicht weglegen – trotz aller Probleme, die es hat. Wenn man dauernd beschuldigt wird, keine richtige Gamerin zu sein, ist es schön, daran erinnert zu werden, warum man das macht und es liebt.

Der erste Teil von "Tropes vs Women". Das Projekt wurde über eine Crowdfunding-Plattform finanziert.
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STANDARD: Sie haben mit dem Videoprojekt "Tropes vs Women" Bekanntheit erlangt. Warum ist "Feminismus" eine solche Beleidigung in der Gaming-Community?

Sarkeesian: Das hat damit zu tun, dass Männer denken, sie hätten ein Recht darauf, dass die Gamingwelt ein Boy's Club ist. Frauen wagen es, sich einzumischen, zu kritisieren und dabei zu sein. Männer betrachten das als eine Attacke und reagieren sehr wütend auf das, was sie als einen Überfall auf ihren Safe Space sehen.

STANDARD: Warum ist Gaming eine Männerdomäne?

Sarkeesian: Arcades waren früher ein Ort für Familien. Nach dem großen Video-Game-Crash in den 1980ern wurden Videospiele zur Beschäftigung für zu Hause. Die Konsolen landeten in den Geschäften in der Bubenabteilung. Das hatte einen Einfluss auf die Spiele, die erscheinen – etwa auf die Hauptcharaktere, die Story und das Marketing. Die Gaming-Industrie hat selbst eine Branche kreiert, in der Männer das Gefühl haben, sie sei nur für sie gemacht.

STANDARD: Ist die Games-Branche sexistischer als andere?

Sarkeesian: Gaming ist viel jünger als etwa die Filmindustrie. Zu oft wird das als Ausrede verwendet. Diese kleine Nische von und für Männer wird nicht so ernst genommen. Es wurde kein Druck auf die Industrie ausgeübt, erwachsen und besser zu werden.

Anita Sarkeesian im Gespräch.
Foto: Heribert CORN

STANDARD: Dabei sind Videospiele ein Medium, das erst nach der zweiten Frauenbewegung entstanden ist, also zu einer Zeit, als Feminismus bereits Zuspruch fand.

Sarkeesian: In den USA fand die zweite Frauenbewegung in den 1960er-, 1970er-Jahren statt. Die Games-Industrie startete in den späten 70ern. Filme in dieser Zeit waren voll von Sexismus, Rassismus, Homo- und Transphobie. Spiele waren nicht immun, im Gegenteil. Die Handlung vieler Games basierte auf Filmen – wie "King Kong" oder "Alien". Es geht Hand in Hand, eine sexistische Industrie zieht eine andere hinterher.

STANDARD: Sehen Sie eine positive Entwicklung in der Branche?

Sarkeesian: Es gibt heute Games-Studios, die diese Probleme ernst nehmen und reagieren. In den vergangenen Jahren sind mehr Spiele erschienen, die Frauen oder People of Color als Protagonisten beinhalten. Es werden Geschichten erzählt, die früher zu kurz kamen. Leider machen wir aber oft einen Schritt vorwärts und dann wieder zwei zurück. Es herrscht immer noch viel Sexismus in der Branche, sowohl in den Spielen selbst als auch im Arbeitsumfeld und in den Communitys.

STANDARD: Wie ist das, als Expertin vor allem dafür bekannt zu sein, Hass im Netz erfahren zu haben?

Sarkeesian: Es ist oft enttäuschend und frustrierend, dass viele von uns besser dafür bekannt sind, dass sie attackiert wurden, als für unsere Arbeit. Ich werde öfter gebeten, über die Erfahrungen, die ich mit Hass im Netz gemacht habe, zu sprechen als über jedes andere Thema. Ich bin Expertin darin geworden, weil es mir aufgedrängt wurde.

STANDARD: Ihr Projekt "Freq-Show" blickt auf Diskriminierung in der Popkultur. Wie kam es dazu?

Sarkeesian: Die Freq-Show hat aus der Verzweiflung über Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten heraus begonnen. Wir wollten Politik und Popkultur stärker verbinden. Wir behandeln ganz verschiedene Themen wie etwa Fortpflanzungsrechte. Aber wir haben auch versucht, aufklärerisch zu sein, zu erklären, was weiße Vorherrschaft beispielsweise bedeutet. In einer Zeit, in der Feminismus Mainstream wird, wird er auch unpolitischer. Feminist Frequency hat einen Bildungsauftrag. Unser Ziel ist, dass es Spaß macht, sich weiterzubilden. Popkultur ist der Weg, das zu tun. Außerhalb von Klassenzimmern und zu Themen, die einen interessieren.

STANDARD: Die erste Folge der Show beschäftigt sich mit Feminismus als Marketingstrategie ...

Sarkeesian: Es ist problematisch, wenn Feminismus eher ein Fashion-Statement ist als Politik. Feminismus ist eine politische Bewegung, kein Label. Große Modeketten verkaufen T-Shirts mit dem Aufdruck "Feministin", aber es ist ihnen egal, wie viel sie Arbeitskräften zahlen oder wie das Gewand hergestellt wird. Das sind feministische Angelegenheiten. Es ist wichtig, dass wir den Feminismus zurückerobern, dass er eine politische Bewegung bleibt, die etwas bedeutet. Als ich mit Feminist Frequency begonnen habe, sagten junge Menschen: Ich glaube an Gleichberechtigung, aber ich bin keine Feministin. Ich höre das heute nicht mehr. Es ist cool, Feministin zu sein. Aber verstehen Menschen das? Ich bin skeptisch.

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STANDARD: Hilft es jungen Mädchen nicht, wenn sie Werbung mit starken Frauenbildern sehen?

Sarkeesian: Für mich sind Antikapitalismus und Feminismus verflochten. "Kaufe unser Produkt, weil wir unterschiedliche Körpergrößen in der Werbung zeigen" ist nicht gerade die Utopie des Feminismus. Ich bin froh, dass es kein schmutziges Wort mehr ist, aber es ist wichtig zu lernen, was es bedeutet.

STANDARD: Hat die Wahl Donald Trumps das Bild von Sexismus geändert?

Sarkeesian: #MeToo hätte es so ohne Trump nicht gegeben. Sein Verhalten war für viele Leute ein Weckruf. Es hat gezeigt, wie prävalent Frauenhass und Sexismus noch immer sind. Die USA sind offensichtlich gespalten: Es gibt Menschen, denen es egal ist, dass man sich so verhält. Andere haben erkannt, dass es ein Problem gibt.

STANDARD: Gibt es einen antifeministischen Backlash?

Sarkeesian: Auch. Was in den USA passiert, geht gegen jegliche Art von Fortschritt, von sozialer Gerechtigkeit – und das in einer so aggressiven, gewaltsamen Weise, dass es immer noch schwierig ist, es zu verstehen. Wir befinden uns in einer Zeit, in der wir Babys festnehmen und vor Gericht stellen. Der Begriff, den wir verwenden, ist "Alt-Right" . Aber in Wirklichkeit ist es der Aufstieg des Faschismus, der sich gegen jeden richtet, der kein mächtiger, weißer Mann ist. Wir Amerikaner denken, dass das nur bei uns passiert. Das stimmt nicht, es ist ein globales Problem.

STANDARD: Welche Rolle spielen die sozialen Medien?

Sarkeesian: Sie haben Menschen eine Plattform gegeben, um sich auf eine Weise zu vernetzen, wie es nie zuvor möglich war. Das kann gut oder auch schlecht sein. Frauen zu belästigen ist nichts Neues, überhaupt nicht. Es ist viel einfacher geworden, mehr Menschen zu mobilisieren.

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STANDARD: Sollen soziale Medien dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie das durchgehen lassen?

Sarkeesian: Diese Firmen verstecken sich hinter der Meinungsfreiheit, sind aber privat und können ihre Nutzungsbedingungen somit selbst schreiben. Sie entscheiden, was geteilt werden kann und was nicht. Darin haben sie einen schrecklichen Job geleistet. Sie wurden von Männern gestartet, die nie über Belästigung nachgedacht haben, und versuchen nun, Bandagen um ein grundlegend gebrochenes Fundament zu wickeln. Ich hoffe, dass die Gründer der nächsten großen Plattform erkennen, dass Hass im Netz ein reales Problem ist, und dass sie das bei der Entwicklung mitbedenken.

STANDARD: In Österreich wird aktuell diskutiert, ob die Anonymisierung im Netz eingeschränkt werden soll. Wie stehen Sie zu Klarnamen?

Sarkeesian: Ich bin strikt dagegen. Es gibt viele Gründe, Pseudonyme zu nutzen. Es ist zudem keine wirkliche Verteidigung gegen Hass. Und wenn man sich anschaut, wie Facebook das umgesetzt hat – es ist ein Desaster. (Muzayen Al-Youssef, Oona Kroisleitner, 28.11.2018)