"Ob ich Sterne und Kristalle mag? Natürlich mag ich Sterne und Kristalle! Wer, bitte schön, mag denn keine Sterne und Kristalle?" Zugegeben, das ist nicht unbedingt die raffinierteste Einstiegsfrage, wenn man zum Interview in die Hallen von Swarovski eingeladen ist, um im Funkelglas-Headquarter in Wattens einen der berühmtesten Architekten der Welt zu treffen.

Aber der Herr mit der Randbrille, dem viel zu großen Yohji-Yamamoto-Anzug und den ziemlich laut klackernden Cowboy-Boots an den Füßen wirkt, als hätte er diesen Gesprächsstart geradezu herbeigesehnt. Kaum ist das Fragezeichen gesprochen, werden seine Augen leuchtend und glasig, und seine Pupillen fliegen fort zu einer kurzen Reise durch Ort und Zeit.

Anlässlich der zweiten Zusammenarbeit mit Swarovski war Architekt Daniel Libeskind zu Gast in Wattens.
Foto: © Swarovski / Thomas Steinlechner
Für den Weihnachtsbaum vor dem Rockefeller Center entwarf Daniel Libeskind heuer die krönende Spitze. Die 70 Sternenstrahlen sind mit drei Millionen Swarovski-Kristallen besetzt.
Foto: Happy Monday

"Das Glänzende, das Funkelnde ist eines der schönsten Mysterien dieser Welt", sagt Daniel Libeskind. "Und der Stern, dieses zackig kristalline Gebilde mit seinen scharfen Kanten, seinen weiten Strahlen und seiner ihm innewohnenden Idee eines perfekten Kreises ist für mich eines der stärksten Symbole, um die Widersprüchlichkeit unseres gesamten Lebens zu verkörpern."

Die Assoziation ist kein Zufall. In den frühen 1950er-Jahren, erinnert er sich, machte der damals sechsjährige Daniel einen Ausflug ins südpolnische Wieliczka. Das Salzbergwerk am Rande von Krakau zählt zu den ältesten Salinen der Welt.

"Diese von der Decke hängenden und von den Wänden hinausstechenden Salzkristalle in 130 Meter Tiefe waren das Magischste, das ich je gesehen hatte. Dieser Moment, glaube ich, hat mich bis heute geprägt. Jedes Mal, wenn ich zum Zeichnen und Entwerfen ansetze, drängen sich diese kristallinen Strukturen aufs Papier. Im Laufe der Zeit ist daraus eine Vorliebe für bestimmte Formen entstanden, gegen die ich mich kaum wehren kann."

Eckige, kantige Formensprache

Ob er das Eckige, das Zackige, das Expressionistische denn als typischen Libeskind-Stil bezeichnen würde? "Auf keinen Fall! Das ist ja keine Stilfrage, das ist ja keine freiwillige Entscheidung! Es bricht einfach aus mir heraus."

Für Ground Zero entwickelte Libeskind den Masterplan mit den beiden leeren Fußabdrücken des eingestürzten World Trade Center.
Foto & Rendering: Happy Monday

Das gleich allererste realisierte Projekt, das aus seiner Seele kompromisslos herausbricht, ist das Jüdische Museum in Berlin. Gemeinsam mit seiner Frau Nina, der heute strengen, Minuten zählenden Managerin ihres Mannes und zugleich COO im gemeinsamen Architekturbüro, nimmt er am internationalen Wettbewerb teil und landet mit seinem Entwurf eines spitzwinkeligen, zickzack-geformten Titanzink-Baus mit seinen wie Schnitte und Verletzungen wirkenden Fensterschlitzen auf Platz 1.

Die Fertigstellung des ungewöhnlichen Gebäudes im Jänner 1999 katapultiert den bis dahin kaum bekannten Visionär auf einen Schlag in den Olymp der Weltarchitektur.

"Die kantige Formensprache hat natürlich etwas Aggressives, etwas Verletzendes, etwas Dystopisches, und das passt ja auch zur Geschichte des Holocaust, die in diesem Zubau erzählt wird", blickt Libeskind heute zurück.

Vollkommenheit des Sterns

"Zugleich aber versteckt sich in diesen Formen und Fragmenten die vage Idee eines Sterns mit in diesem Fall gestörten, unregelmäßigen Strahlen. Für mich persönlich steht der Stern, der in vielen meiner Projekte zu finden ist, für Ruhe, Frieden, Hoffnung, Zuversicht und Vollkommenheit." Kurze Pause. Da sind sie wieder, die glasigen Libeskind-Augen. "Und ja, in gewisser Weise steht er auch für die Salzkristalle in Wieliczka."

Spiegelserie "Wing" für den italienischen Hersteller Fiam.
Foto: Fiam

Schon einmal, 2016, hat sich Libeskind mit Kristallen beschäftigt, als er für Swarovski ein gläsernes Schachspiel entwarf. Das Projekt ging nie in Serie. Nun gab es eine neuerliche Anfrage des Glasschwan-Produzenten.

Libeskind sollte für den Weihnachtsbaum vor dem New Yorker Rockefeller Center einen neuen Stern designen. Vor drei Wochen wurde das knapp drei Meter große und rund 400 Kilogramm schwere Swarovski-Ding feierlich enthüllt. Die 70 Zacken, die den Baum an dessen Spitze schmücken, sind mit insgesamt drei Millionen Glassteinchen besetzt.

Segel im Wind

"Architektur hat nichts mit der physischen Größe oder Höhe zu tun, sondern immer nur mit der Höhe des eigenen Anspruchs", sagt der Architekt, der in den letzten Jahren vor allem mit dem Masterplan für Ground Zero sowie mit diversen Hochhausprojekten in Singapur, Toronto und Warschau auf sich aufmerksam machte.

Wohnkomplex "Reflections at Keppel Bay" in Singapur.
Foto: Keppel Bay Pte Ltd

In Singapur hob er einen Wohnkomplex mit mehr als 1100 Wohnungen aus der Taufe. Die sechs Türme, die auf den Namen "Reflections at Keppel Bay" hören, blähen sich wie Segel im Wind.

In Downtown Toronto hat er eine 200 Meter hohe Wohnstele neben den Bahnhof gestellt. Der L-Tower verleiht der Stadt eine weiche, runde Silhouette.

Der L-Tower in Toronto während der Bauphase.
Foto: Udo Dengler

Und in Warschau plante er den 52-stöckigen Wohnturm Zlota 44, der neben dem stalinistischen Kulturpalast 192 Meter hoch in den Himmel ragt.

"Im Zweiten Weltkrieg wurde Warschau fast komplett zerstört", erzählt Libeskind, der die polnische Hauptstadt noch aus seiner Kindheit kennt. "Ich wollte daher nicht einfach nur ein zeitgenössisches Hochhaus planen. Ich wollte ein Symbol schaffen, das an die Identität dieses Landes anknüpft und die jüngere polnische Geschichte umspannt."

Die Libeskind-Melange

Und wieder ist er da, dieser irritierende Moment, diese typische Libeskind-Melange aus Kante, Kälte und Aggressivität. So könne man das nicht sagen, beschwichtigt der Architekt. Zwar habe man an der Fassade Glas und hell lackierte Metallpaneele verwendet, um das Haus im neuen, bunten Warschau ganz bewusst als reine, entsättigte Form ins städtische Gefüge zu setzen.

"Als nach dem Krieg die Kommunisten an die Macht kamen, wurde der Adler aus der polnischen Flagge entfernt. Es war, als hätte man den Polen ihr Herz herausgerissen", sagt Daniel Libeskind. "Mit diesem Projekt wollen wir Warschau wieder einen symbolischen Adler zurückgeben." Das Wohnhochhaus Zlota 44 in Warschau, fertiggestellt 2016.
Foto: ORCO

"Doch das ist nur der Intellekt. Das Herz sagt etwas ganz anderes! Das Hochhaus glitzert im Sonnenlicht, und am Adlerflügel, der uns einst genommen wurde, sind heute himmlische Spiegelbilder zu sehen. In gewisser Weise schließt sich hier wieder der Kreis zu den Sternen in meinem Leben."

Unter den weiteren Projekten finden sich vor allem Museen, Monumente und Shoppingcenter, unter anderem das Einkaufszentrum Westside in Bern, das Crystals Center in Las Vegas (Foto), das Denver Art Museum (2006), das Royal Ontario Museum in Toronto (2007), das National Holocaust Monument in Ottawa (2017), die Leuphana Universität Lüneburg, an der er selbst unterrichtet, sowie das kürzlich fertiggestellte Modern Art Museum in Vilnius, Litauen. Hinzu kommen Entwürfe wie etwa Lampen, Sofas und Geschirr, die er im Studio in Mailand entwickelt.

In Las Vegas verpasste er dem Luxuseinkaufstempel Crystals Center die bauliche Hülle.
Foto, Rendering: Silverstein Properties, Alexander Garvin

Ist die typische Libeskind-Linie, die sich in all den Möbeln und Bauten wiederfindet, jedes Mal aufs Neue auf das kindliche Erlebnis in Wieliczka zurückzuführen? Libeskind lacht, seine Augen leuchten, das Englisch wird immer schneller, bis sich die Worte fast rhythmisch überschlagen.

"Salzkristalle? Ach, das meinen Sie! Nun, mein Leben besteht zum Glück aus mehr als nur aus Salzkristallen. Nein, da gibt es viel, viel mehr, das mich in meinen 72 Jahren geprägt hat!"

Zeit seines Lebens ist Libeskind ein virtuoser Klavier- und Akkordeonspieler. Mit sieben Jahren schon hatte er einen Auftritt im Fernsehen. "Architektur ist mehr als nur das Spiegelbild der Sterne. Architektur ist wie Musik, wie ein rhythmisches Klackern der Klänge, wie eine verzaubernde Symphonie."

Am liebsten vergleicht er seine Bauten mit einer Fuge von Johann Sebastian Bach, des, wie er ihn bezeichnet, besten akustischen Architekten aller Zeiten. "Und meine Häuser sind, wie man sich vorstellen kann, im Staccato gebaut, denn ich hasse Legato." (Wojciech Czaja, RONDO OPEN HAUS, 10.12.2018)


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