In der Welt der renommierten Harvard Business School sticht Linda Hill heraus. Sie ist weder Ökonomin noch Soziologin, wie viele der Experten, die sich über Unternehmensstrukturen und Geschäftsprozesse Gedanken machen. Hill ist Verhaltensforscherin, sie studiert Führungskräfte in ihrem natürlichen Habitat, wenn man so will. "Wir haben über vierzig erfolgreiche Unternehmer und Manager begleitet, um herauszufinden, wie sie persönlich Innovation vorantreiben", erklärt Hill im Gespräch mit dem STANDARD. Das Wichtigste: Ideen auf Augenhöhe zulassen, dann sprudeln sie.
"Viele Führungspersönlichkeiten glauben, sie müssten selbst eine große Vision haben, die von ihren Leuten nur noch umgesetzt werde – so funktionieren innovative Firmen nicht." Ein Talent oder sogar eine Gruppe von Talenten allein reichen nicht aus, um regelmäßig innovative Ideen zu verwirklichen. Stattdessen müssten erfolgreiche Chefs eine Unternehmenskultur schaffen, in der jeder Mitarbeiter sein "Scheibchen Genie" beisteuern kann.
Nur Innovatoren bei Pixar
Dabei gilt als Innovation nicht nur eine revolutionäre Technologie, sondern alles, was neu und nützlich ist, erklärt Hill. Beispiele für erfolgreiche Innovationsführer fand Hill in den unterschiedlichsten Branchen, von Autoherstellern über Pharmakonzerne oder Familienbetriebe.
Viel Zeit verbrachte die Forscherin bei der Animationsfirma Pixar. Ed Catmull hat Pixar zusammen mit dem Apple-Gründer Steve Jobs vor über dreißig Jahren ins Leben gerufen und seither die gesamte Trickfilmbranche revolutioniert. Wie hat er das geschafft?
"Catmull glaubt nicht daran, dass zu viele Köche die Suppe verderben", sagt Hill, die mit Kollegen in ihrem Buch Collective Genious viele praktische Fälle analysiert. Etwa wie ein Designer bei Pixars Kassenschlager Die Monster AG einem Charakter eine spezielle Mimik gab, worauf der Regisseur die Persönlichkeit der Figur und die Handlung verfeinerte. Bei Pixar nehme man sich Zeit, um jede Stimme zu hören.
Streiten und experimentieren
Damit ein Marktplatz für Ideen funktioniert, muss eine konstruktive Streitkultur entstehen. Dabei sei auch wichtig, dass nicht eine Gruppe dominiert, weder die Chefetage noch die Experten. Führungskräfte müssen letztlich erst entscheiden, wie die unterschiedlichen Ideen zusammenpassen.
Um wenig hilfreiche Abwehrreaktionen von Mitarbeitern, die lange an einem Projekt gesessen sind, zu vermeiden, hat eine Firma aufgehört, "Pilotprojekte" zu machen, und lässt stattdessen "Experimente" laufen. Allein dieser Sinneswandel habe dazu geführt, dass Ideen viel schneller und ohne lähmende Furcht vor dem Scheitern getestet werden.
Obwohl das Ziel, eine innovationsfreudige Atmosphäre für alle Mitarbeiter zu schaffen, von allen erfolgreichen Chefs, die Hill begleitete, erreicht wurde, kann der Weg dorthin sehr unterschiedlich sein. In einer eher kollektiven Kultur etwa, wie in Ostasien, lässt sich Kollaboration leichter umsetzen. Dafür sei es kompliziert, einzelne Mitarbeitern dazu zu bringen, eigene Ideen zu äußern.
Die südkoreanische Eigentümerin der Luxusmarke MCM, Kim Sung-joo, habe damit gekämpft, dass ihre Mitarbeiter vor lauter Respekt schwer zugänglich waren. "Wenn sie im Raum war, sind alle gestanden", berichtet Hill. "Dann hat sie begonnen, mit ihren Mitarbeitern auf Flugreisen zu sprechen, damit sie dabei sitzen müssen." Endlich konnte sie ernsthafte Gespräche führen – auf Augenhöhe. (Leopold Stefan, 29.11.2018)