Die von der Regierung geplante Neuregelung der Mindestsicherung stößt auf breite Kritik.

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Wien – Kirchennahe Vereine, SOS Mitmensch, Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer sowie Wissenschafter verschiedener Universitäten haben am Mittwoch an der "Mindestsicherung Neu" Kritik geübt. Diakonie, Katholischer Familienverband und Katholische Aktion forderten die Rücknahme von geplanten Kürzungen bei Kindern und Familien. SOS Mitmensch sieht die Bevölkerung durch die Aussagen der Regierung in die Irre geführt.

Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser mahnte in einer Aussendung, "'fleißige' Geringverdiener nicht gegen angeblich 'faule' Mindestsicherungsbezieher" auszuspielen. Sie kritisierte die gestaffelten Beiträge bei Kindern, die künftig für ein Kind rund 216 Euro monatlich, für das zweite 130 und ab dem dritten nur noch 43 Euro ausmachen sollen.

Irreführender Vergleich

Auch sei der – von der Regierung gezogene – Vergleich eines Familienvaters mit niedrigem Einkommen mit einer Familie mit drei Kindern in der Mindestsicherung irreführend, kritisiert Moser: "Verliert ein Familienvater mit drei Kindern und einem geringen Nettoeinkommen seinen Arbeitsplatz, bekommt er Arbeitslose. Die ist so niedrig, dass er Anspruch auf Aufstockung aus der Mindestsicherung hat – vorausgesetzt er hat kein Sparbuch, keine Eigentumswohnung, keine Lebensversicherung. Wird die Mindestsicherung für kinderreiche Familien gesenkt, schadet das genau dem viel zitierten fleißige Geringverdiener mit Kindern, für den die Bundesregierung mehr Fairness verlangt."

Auch der Katholische Familienverband sieht die Mindestsicherungs-Sätze für Kinder kritisch: "Es darf nicht egal sein, wie viele Menschen von einem Einkommen leben müssen", so Verbands-Präsident Alfred Trendl. Ähnlich äußerte sich der Präsident der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ), Leopold Wimmer: "Ein Sparen auf Kosten von Familien und Kindern, die ohnehin wenig haben, ist der falsche Weg." Die angekündigten Einsparungen bei Kindern werde "ausnahmslos alle Familien treffen", das gelte auch für die vielen Aufstocker. Dies seien immerhin 70 Prozent der Bezieher, betonte Wimmer.

"Richtigstellungen" von SOS Mitmensch

SOS Mitmensch warf der Regierung vor, die Bevölkerung in die Irre zu führen und veröffentlichte mehrere "Richtigstellungen" zu den Aussagen der Bundesregierung. So würden nicht nur arbeitslose und nicht arbeitsfähige Personen "teilweise massiv" verlieren, sondern auch arbeitende Menschen und Pensionisten, die ihr Einkommen auf die Höhe der Mindestsicherung aufstocken.

Elternpaare mit mehreren Kindern würden spätestens ab dem dritten Kind in allen Bundesländern dramatisch verlieren – und das unabhängig von der Staatsbürgerschaft, betonte SOS Mitmensch. Aber auch Paare ohne Kinder würden erheblich weniger bekommen: In Wien etwa bis zu 1.036 Euro im Jahr, wenn sie Pflichtschulabschluss beziehungsweise Sprachnachweis haben, und bis zu 8.236 Euro im Jahr ohne Pflichtschulabschluss beziehungsweise Sprachnachweis.

Verluste auch für Alleinerziehende

Zu den von der Regierung positiv herausgestrichenen Verbesserungen für Alleinerziehende merkte die NGO an, das diese "nur eine Spur mehr" erhalten – und das auch nur dann, wenn sie Pflichtschulabschluss beziehungsweise Sprachnachweis haben. Und das auch nur, "wenn sie nicht mehr als zwei Kinder haben, andernfalls verlieren auch sie teils dramatisch".

Der ÖGB zeigte sich am Donnerstag erfreut darüber, dass die Alleinverdiener-und Kinderabsetzbeträge bei der Mindestsicherung ab Herbst 2019 entgegen den Aussagen bei der Präsentation doch nicht leistungsmindernd angerechnet werden sollen. Sozialministerin Hartinger-Klein (FPÖ) hatte diesen Schritt nach dem Ministerrat noch angekündigt, auch war dieses Vorhaben in den Presseunterlagen vermerkt. Hartinger-Kleins Sprecher nahm dies später zurück und sprach von einem "Fehler in der Unterlage". "Die ExpertInnen des ÖGB sind dann gerne beim Auffinden weiterer Fehler behilflich, um die Regierung vor einer weiteren Blamage zu bewahren – und die Menschen vor einem weiteren Huschpfusch-Gesetz", richtete Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB, via Aussendung aus.

AK-Präsidentin Renate Anderl mahnte die Regierung in diesem Zusammenhang zu "mehr Sorgfalt": "Es verunsichert die Menschen, wenn die Reform der Mindestsicherung hochoffiziell nach dem Ministerrat präsentiert wird – und dann legt die Regierung keinen Gesetzestext vor, und muss sich noch am selben Tag selbst korrigieren." Darüber hinaus kritisierte Anderl, dass die Pläne dennoch starke Kürzungen bedeuten.

"Asozial"

Als "einfach nur asozial" bezeichnete am Donnerstag SPÖ-Abgeordneter Andreas Kollross das Vorhaben der Regierung. "Diese Regierung macht sich über alle Personen lustig, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen sind", sagte der SPÖ-Kommunalsprecher.

Kritisch äußerten sich auch mehrere Professoren heimischer Universitäten. Die Regierung erwecke den Eindruck, insbesondere bei Zugewanderten und Asylberechtigten einsparen zu wollen, hieß es in einem auf der Homepage des Insituts für Soziologie veröffentlichten offenen Schreiben. "Treffen werden die geplanten (...) Kürzungen aber insbesondere kranke Menschen, Menschen mit Behinderungen, PensionistInnen, Kinder sowie Erwerbstätige, deren Einkommen oder Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht zu einem menschenwürdigen Leben ausreichen", schreiben die Unterzeichner. Auch betonen die Professoren rund um Jörg Flecker vom Institut für Soziologie der Universität Wien, dass das Anrecht auf diese Unterstützungsleistung unabhängig von bisherigen eigenen Beiträgen zur Sozialversicherung ist. "Denn die meist vorübergehend bezogene Mindestsicherung ist keine Versicherungsleistung, sondern soll als unterstes Auffangnetz notleidenden Menschen ein Leben in Würde ermöglichen."

Gudenus rechnet

FPÖ-Klubchef Johann Gudenus betonte ungeachtet der Kritik, die Neuregelung bringe die Beseitigung einer "sozialen Schieflage": So rechnete er ein Beispiel vor, in dem eine Familie mit drei Kindern inklusive Familienleistungen auf 2.696 Euro netto pro Monat kommt, während eine Mindestsicherungsfamilie mit drei Kindern ohne Deutschkenntnisse bis zu 3.353 Euro pro Monat erhalte. (APA, 29.11.2018)