Die Drogenberatungsstelle für besorgte Erziehungsberechtigte befindet sich in heller Aufregung. Eine neue Lieferung soll in die Stadt gekommen sein, ärgster Stoff, höchster Reinheitsgrad. Schwarzmarktwert? Frage nicht. Die potenzielle Kundschaft speichelt sich schon den Latz nass, die Gliedmaßen unten zucken, oben herrscht Gebrüll: "Her mit dem Stoff, oder ich halte so lange die Luft an, bis ..." Viele Eltern knicken an dieser Stelle ein. Alles für das Kind. Wenn es sein muss, sogar Zucker.

Discotaugliche Lebenshilfe für kleine und große Leute: Matthäus Bär hat ein neues Album gemacht.
Foto: Niko Ostermann

Zucker heißt das heute erscheinende Album von Matthäus Bär. Produziert ist der Stoff für Kinder, und Bär ist ihr Star, ein Kinderrockstar. Am Sonntag präsentiert er das süße Gift live im Wiener Wuk, im Frühjahr geht es dann auf eine kleine Einstiegstour quer durchs Land.

Matthäus Bär ist 29 und singt vornehmlich für Kinder. Wobei seine Lieder ein Erzählstil auszeichnet, bei dem den Eltern nicht gleich die Grausbirn' aufsteigt, im Gegenteil. Bär versagt sich den erhobenen Zeigefinger, blendet Kitsch, Märchen und Infantiles aus und nimmt die kleinen Scheißer ernst. Das ist mit ein Grund für seinen Erfolg; das wirkt, so entstehen seine Kinderhits.

Vor drei Jahren erschien Bärs Debütalbum Stromgitarre, Schlagzeug, Bass, vor zwei Jahren die zusammen mit der Wiener Band Polkov aufgenommene Mini-LP Nichts für Kinder.

Ein perfider Titel, denn natürlich ist nichts so verlockend wie das Verbotene. Dementsprechend kamen die Blagen auf allen vieren zu seinen Shows – also zumindest die Kinder, die noch nicht laufen konnten.

Video zu "Nachtaktiv" von Matthäus Bär.
Matthäus Bär

Auf Zucker vollzieht Bär eine kleine stilistische Wendung. Der Synthie trägt Songs wie 86401 oder Nachtaktiv. Das besitzt 1980er-Charme und jene poppige Zeitlosigkeit, die viele Eltern noch als Soundtrack der eigenen Vergnügungsparkbesuche gespeichert haben. Dazu gibt es pädagogisch Wertvolles: Wie man sich in muffigen Momenten im Kinderzimmer mithilfe einer spontan ins Leben gerufenen Disco wieder für die Welt erträglich tanzen kann.

An anderer Stelle gibt es Grundvernünftiges zu hören, etwa dass man Liebesbriefe nur an Leute richten soll, deren Namen man schon schreiben kann. Das verhindert selbst später im Leben noch den einen oder anderen Irrtum. Unterstützung erfährt Bär stellenweise durch einen Chor von Abgezwickten, das verströmt den Charme des Partizipativen bei der Zielgruppe. Zum Runterkommen nach dem High ist anschließend auch noch Zeit. Ein Matthäus-Bär-Konzert ist natürlich am Nachmittag anberaumt. (Karl Fluch, 30.11.2018)