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Bundespräsident Alexander Van der Bellen (rechts) besuchte auch mit Winfried Kretschmann (Mitte), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, den Roboter Apollo (links) im Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Tübingen.

Foto: dpa/Marijan Murat

Alexander Van der Bellen wollte ein Missverständnis aus der Welt schaffen: Es sei nämlich irreführend, zu glauben, man müsse sich entscheiden zwischen der Liebe zum Heimatland und der Liebe zu Europa. Die Idee der Europäischen Union sei vielmehr, so führte der Bundespräsident am Donnerstagabend anlässlich einer Visite in Baden-Württemberg aus: "Wir können unser Heimatland lieben – und die europäische Idee. Wir können unseren Landsleuten helfen – und ausländischen Mitbürgern. Wir können uns selber nützen – und zum größeren Wohle aller beitragen."

Europa sei ein Kontinent des "Und", nicht des "Entweder-oder" – das mache ihn auf dieser Erde einzigartig, sagte Van der Bellen, der sich selbst als "glücklichen Menschen" bezeichnete, denn wie alle Europäer seiner und folgender Generationen habe er "das Glück, in der Geburtsortlotterie einen Haupttreffer gelandet zu haben". Niemand dürfe sich anderen überlegen fühlen, bloß weil er auf diesem Kontinent in einer Epoche des Friedens geboren worden sei.

"Spielball mächtiger Staaten"

Jenen politischen Kräften, die die EU infrage stellen oder sie sogar als obsolet bezeichnen würden, empfahl der Bundespräsident, über die Alternative nachzudenken: Natürlich könne man die Meinung vertreten, dass man der nationalen Identität gegenüber dem europäischen Gedanken den Vorzug geben sollte. "Aber dann muss man auch dazu sagen, dass der europäische Zwergstaat sehr allein ist, wenn er allein ist." Denn im Weltmaßstab seien sogar Länder wie Deutschland keine Riesen und wären bloß "Spielball mächtigerer Staaten" wie der USA, Russlands oder Chinas.

Daher mahnte der Bundespräsident: "Es ist kein guter Deal, die europäische Solidarität aufzukündigen. Wir brauchen die Unteilbarkeit der Union, wir brauchen Einigkeit in der Union, und wir brauchen die europäische Einheit." Diese Gemeinschaft sei dringend nötig, um sich den großen Herausforderungen unserer Zeit stellen zu können – und er führte als Beispiel den folgenreichen Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU (Brexit) und die weltweite Klimakrise an: "Kein Land der Welt kann sie alleine lösen: nicht Deutschland, nicht Österreich." Die Devise also: Multilateralismus auf allen Ebenen.

"Verzwergung"

Van der Bellen räumte ein, dass die Europäische Union kein vollendetes Werk sei: Sie sei "niemals abgeschlossen", sondern "ein fortlaufendes Projekt". Wie schon zuvor in seiner Rede – und bei bereits etlichen Gelegenheiten während seiner bisherigen Amtszeit – warnte der Bundespräsident davor, "in vorgestrige Kleinstaaterei zu verfallen. Freiwillige Verzwergung nach dem Modell Boris Johnson, Ukip, (Marine) Le Pen ist das Letzte, was wir brauchen." Europa dürfe den Vorteil, ein "transnationaler Verband" zu sein, nie aufgeben. Nur so ließen sich die gemeinsamen Interessen und Prioritäten auf internationaler Ebene mit Nachdruck und Gewicht vertreten.

Der Bundespräsident mahnte in diesem Zusammenhang, schon frühzeitig auf die da und dort feststellbaren Tendenzen zu reagieren, die die europäischen Werte infrage stellen oder per "Salamitaktik" reduzieren wollen: "Der Rechtsstaat und die liberale Demokratie sind unveräußerliche Güter, die wir verteidigen müssen."

Mit "wir" meinte Van der Bellen die Europäer – also alle, die so wie er selbst einen Hauptgewinn in der "Geburtsortlotterie" gelandet haben. (Gianluca Wallisch, 29.11.2018)