Maiabalaena nesbittae dürfte vor 33 Millionen Jahren die "Urmutter" heutiger Bartenwale gewesen sein.
Illustr.: Alex Boersma

Einmal abgesehen von den Federn bei Dinosauriern zählt in der Geschichte des Lebens die Entwicklung von Barten bei Walen zu den außergewöhnlichsten evolutionären Errungenschaften überhaupt: Die vielfachen Reihen von haarähnlichen Platten ermöglichen es modernen Blauwalen, Buckelwalen und zahlreichen anderen Walarten, große Mengen an Kleinstlebewesen aus dem ozeanischen Wasser zu filtern. Mithilfe dieser Hornstrukturen gelingt es den größten tierischen Lebewesen der Erde, jeden Tag tonnenweise Nahrung aufzunehmen.

Sich solcherart von Zooplankton zu verköstigen ist eine vergleichsweise junge Methode. Wie sich diese entwickelt hat, ist allerdings noch immer weitgehend unklar. Bisher galt der Urwal Coronodon havensteini vor etwa 30 Millionen Jahren als Mittelstufe zwischen Zahnwalen und Bartenwalen. Sowohl dessen im Verhältnis zum restlichen Körper langer Schädel als auch sein Gebiss, das vorne noch spitze Fangzähne besaß, im hinteren Teil jedoch bereits eigentümlich blattförmige Zahnstrukturen aufwies, lässt auf einen Übergang in der Ernährungsweise schließen.

Die Backenzähne von Coronodon zeigen Veränderungen in der Ernährungsweise früher Walarten.
Foto: jonathan geisler

"Mutter aller Wale"

Nun aber haben Paläontologen Fossilien eines urtümlichen Wals identifiziert, die auf eine etwas andere evolutionäre Route zu den heutigen Bartenwalen schließen lassen: Der merkwürdige Meeressäuger besaß weder Zähne noch Barten zum Filtern von Plankton. Das von Carlos Mauricio Peredo und seinem Team von der George Mason University in Washington, D. C., beschriebene Wesen lebte vor etwa 33 Millionen Jahren und erhielt den Namen Maiabalaena nesbittae – auf Deutsch: Mutter aller Wale.

Die Wissenschafter analysierten die Knochen, die bereits in den 1970er-Jahren im US-Bundesstaat Oregon freigelegt worden waren und seither unbeachtet im Smithsonian's National Museum of Natural History lagerten, mithilfe moderner Methoden und schlossen daraus, dass das ursprüngliche Tier zu Lebzeiten annähernd 15 Meter lang gewesen sein dürfte. Als die Forscher die Schädelknochen genauer unter die Lupe nahmen, stellten sie zu ihrer Überraschung fest: Das Tier besaß keine Zähne.

Damit hatten die Wissenschafter die älteste bisher bekannte zahnlose Walart vor sich. Noch bedeutender war für Peredo und seine Kollegen jedoch, dass Maiabalaena keinerlei auch noch so rudimentären Bartenstrukturen aufwies. "Offensichtlich verloren die Vorfahren der Bartenwale zunächst ihre Zähne, bevor sie erst später ihre Barten hervorbrachten", meint Peredo.

Der Schädel von Maiabalaena besaß keine Zähne, aber auch Anzeichen für Barten fehlten dem Tier. Vermutlich saugte der Wal seine Nahrung ohne das spätere Filtersystem ein.
Foto: Smithsonian

Globale geologische Veränderungen

Wie die Forscher im Fachjournal "Current Biology" berichten, dürfte diese evolutionäre Transformation der Wale unmittelbar mit globalen geologischen Veränderungen zusammenhängen. Am Übergang vom Eozän zum Oligozän vor rund 33 Millionen Jahren veränderten sich die Positionen der Kontinente und damit auch die Meeresströmungen, was eine Abkühlung der Ozeane zur Folge hatte. Offenbar führte des auch zu einer Veränderung in der Zusammensetzung der marinen Mikrofauna.

Dieser ozeanische Wandel könnte wesentlich dazu beigetragen haben, dass sich die Wale damals ernährungsmäßig umorientierten. Nur: Wie hat sich Maiabalaena in dieser veränderten Umwelt ohne Zähne und Barten ernährt? Die anatomischen Schädelmerkmale der Übergangsart weisen darauf hin, dass der Wal seine Beute ähnlich wie heutige Großwale gleichsam eingesaugt hat, allerdings ohne die vorteilhafte Wirkung von Barten. Die neuen Erkenntnisse liefern letztlich auch entscheidende Hinweise darauf, dass der Verlust der Zähne und die Entwicklung von Barten bei den Walen zwei völlig unabhängige evolutionäre Entwicklungslinien darstellen. (Thomas Bergmayr, 30.11.2018)