Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) solle in der Causa um das Quartier in Drasenhofen handeln und Landesrat Gottfried Waldhäusl die Asyl-Agenden entziehen, wird am Freitag von mehreren Seiten gefordert.

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Waldhäusl ist aber überzeugt: "Es gibt keinen Freiheitsentzug."

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Zumindest der Stacheldrahtzaun könnte wegkommen. Die niederösterreichische Kinder- und Jugendanwaltschaft sieht diesen nicht vereinbar mit Kinder- und Jugendrechten.

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St. Pölten / Wien – In der Causa um ein Quartier für minderjährige Asylwerber in Drasenhofen, das mit Stacheldraht umzäunt ist, werden die dort untergebrachten jugendlichen Flüchtlinge nun verlegt – alle 14, und zwar so schnell wie möglich.

Wie am Donnerstag bekannt wurde, werden in der Unterkunft an der tschechischen Grenze unbegleitete minderjährige Flüchtlinge festgehalten. Sie sollen das Quartier nur eine Stunde pro Tag verlassen dürfen – und das nur in Begleitung eines Security-Mitarbeiters. Die Asylkoordination Österreich hatte die Einrichtung als "Straflager" kritisiert und eine Anzeige in Aussicht gestellt.

Notwendige Änderungen

Am Freitagnachmittag berichtete die niederösterreichische Kinder- und Jugendanwaltschaft von einem Lokalaugenschein. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hatte zuvor darauf verwiesen, diese Prüfung abzuwarten. Das Fazit der Experten fiel deutlich aus: Das Quartier in Drasenhofen sei "aus jugendrechtlicher Sicht im derzeitigen Zustand nicht geeignet", schreibt die Kinder- und Jugendanwaltschaft Niederösterreich in einer Aussendung. Und: "Der Stacheldraht ist jedenfalls mit Jugendrechten nicht vereinbar und unverzüglich zu entfernen."

Bis ein geeigneter Zustand hergestellt werde, sollten die Jugendlichen verlegt werden, so die Empfehlung. Mikl-Leitner setzte sich für eine sofortige Umsetzung ein. Die Bezirkshauptmannschaft leite das nun in die Wege.

Ob die Unterkunft ganz geschlossen werde oder nur Verbesserungen vorgenommen werden und die Flüchtlinge dann wieder einziehen, sei laut einem Sprecher Mikl-Leitners noch nicht fix.

Recht auf adäquate Betreuung

"Auch Jugendliche im Asylverfahren und solche mit rechtskräftig negativem Asylbescheid haben – so wie alle anderen Jugendlichen – ein Recht auf adäquate jugendgerechte Betreuung, selbst wenn ihnen Fehlverhalten vorgeworfen wird", stellte die Kinder- und Jugendanwaltschaft unter der Leitung von Gabriela Peterschofsky-Orange fest.

Die niederösterreichische Landesregierung – allen voran Mikl-Leitner – war im Laufe des Freitags zunehmend unter Zugzwang geraten: Von mehreren Seiten wurde sie aufgerufen, eine Regierungsumbildung vorzunehmen und Waldhäusl die Asyl-Agenda zu entziehen.

Konrad und Maier mit deutlicher Kritik

Einer derjenigen, die Mikl-Leitner zum Handeln aufforderten, ist Christian Konrad, ehemaliger Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung. Konrad zeigte sich von der Situation der Jugendlichen in Drasenhofen betroffen. Am Rande einer Pressekonferenz verwies der frühere Raiffeisen-General gegenüber dem ORF-Radio auf Aussagen des dortigen Bürgermeisters Reinhard Künzl (ÖVP), wonach die Unterkunft eine "Schande" sei. Zu Landesrat Waldhäusl sagte Konrad: "Ich glaube, der Mann ist überfordert." Man könnte über die Ressortverteilung sprechen, regte Konrad an.

Der ehemalige ÖVP-Politiker Ferdinand Maier, der sich gemeinsam mit Konrad für eine humane Flüchtlingspolitik engagiert, drückte seine Kritik noch deutlicher aus: "Da gibt es nur eines – da gehört eine Regierungsumbildung gemacht." Alle, die den Koalitionsvertrag ausverhandelt haben, seien gefragt.

Asyl-Agenden könnten wandern

Wie könnte das aussehen? Die Kompetenzen von Landesräten können per einfacher Mehrheit innerhalb der Landesregierung geändert werden, wie der Parlamentarismus-Experte Werner Zögernitz zum STANDARD sagt. Waldhäusl könnte also Landesrat bleiben, die Asyl-Agenden könnte man ihm aber wegnehmen.

Anna-Katharina Moser, Direktorin der Diakonie, fordert ebenfalls eine Verlagerung der Kompetenzen. Sie spricht sich dafür aus, dass die Landesrätin für Kinder- und Jugendhilfe, Ulrike Königsberger-Ludwig von der SPÖ, übernehmen soll. In Richtung Mikl-Leitner sagt Moser, diese solle "rasch, konsequent, schnell und richtig" handeln.

Mikl-Leitner: Waldhäusl hat "überzogen"

Am Freitagvormittag reagierte auch Mikl-Leitner auf die Kritik am Quartier: "Eines steht aber jetzt schon fest: Diese Unterkunft ist kein Gefängnis, und daher hat ein Stacheldraht dort sicher nichts verloren." Waldhäusl merke offensichtlich, "dass er überzogen hat", ergänzte die Landeshauptfrau laut APA am Rande einer Pressekonferenz. Die nächste Sitzung der niederösterreichischen Landesregierung findet am Dienstag statt, dort werde das Thema auf der Agenda stehen.

Der FPÖ-Landesrat selbst kann die Aufregung um das Quartier nicht nachvollziehen. Bei dem mit Stacheldrahtzaun umgebenen Betonbau handle es sich "um ein Quartier wie viele andere auch", sagt Waldhäusl im Ö1-"Morgenjournal".

Waldhäusl zufolge diene die Umzäunung dem Schutz der Bewohner, denn "es sind ja nicht alle Menschen immer der Meinung, dass das lauter liebe junge Kerle sind und dass die ungefährlich sind". Es handle sich um "auffällige Minderjährige" und "notorische Unruhestifter". Laut Waldhäusl seien darunter Personen, "die einmal eine Krankenschwester fast zu Tode geprügelt" hätten, oder jemand, der "kurz vor der Verurteilung war, und der Staatsanwalt hat gesagt: Das reicht nicht ganz aus."

Landbauer sieht Quartier als "Vorzeigeprojekt"

Es gebe "keinen Freiheitsentzug". Jeder, der hinauswolle, "meldet sich hier bei der Security und kann auch rausgehen – aber in Begleitung". Wer sich über die Einrichtung beschwere, solle selbst Bewohner aufnehmen: "Es kann jeder sich bei mir melden und kann sich zwei, drei gerne mit nach Hause nehmen, ich habe kein Problem damit", sagt der Landesrat.

Auch sein Parteikollege Udo Landbauer, Klubobmann im niederösterreichschen Landtag, sieht keinen Anlass zur Aufregung: "Drasenhofen ist ein Vorzeigeprojekt für die Unterbringung auffälliger Asylwerber", teilt er in einer Aussendung mit. "Bisher gab es eine derartige Unterkunft in Niederösterreich nicht. Wir Freiheitliche schaffen Lösungen, anstatt wegzuschauen und die Probleme schönzureden" sagt Landbauer. Die FPÖ Niederösterreich stehe hinter den gesetzten Maßnahmen.

In der Unterkunft in Drasenhofen würden vor allem jene Asylwerber untergebracht, "die bei der Vernachlässigung ihrer Pflichten den rechtlichen Rahmen mehr als ausgedehnt haben", sagt Landbauer. "Viele haben durch ihr Verhalten frühere Unterkunftgeber überfordert und sind immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten." Vorwürfe, es handle sich in Drasenhofen um ein Internierungslager seien "realitätsfremd".

Angriff auf Mikl-Leitner

Auf die Frage, ob er bei seinem Vorgehen die Unterstützung von Landeshauptfrau Mikl-Leitner habe, antwortet Waldhäusl: "Ich bin verantwortlich in diesem Bereich und brauche mit niemandem etwas absprechen." Und als Angriff auf Mikl-Leitner gemeint: "Auch nicht mit jenen Menschen, die dafür verantwortlich sind, dass damals diese Jugendlichen überhaupt nach Österreich gekommen sind."

Drasenhofens Bürgermeister Künzl bezeichnete im "Morgenjournal" die Unterkunft als "Schande für Österreich". "Es wird jeder denken, wenn ich einen Stacheldraht sehe, dann sind das Verbrecher." Das seien die Jugendlichen aber nicht, sonst wären sie verurteilt "und sitzen irgendwo in einem Gefängnis".

Hofer geht von Gesetzeskonformität aus

FPÖ-Vizeparteichef und Verkehrsminister Norbert Hofer geht davon aus, dass das Quartier in Drasenhofen gesetzeskonform ist. "Ich gehe davon aus, dass Landesrat Gottfried Waldhäusl verantwortungsvoll agiert und dass die Unterkünfte so gestaltet sind, wie es den Vorschriften entspricht", sagte Hofer am Freitag in Brüssel.

Er habe diese Unterkunft noch nicht gesehen, auch keine Aufnahmen davon, erklärte Hofer. "Gottfried Waldhäusl ist einer, der oft polarisiert, aber der auch gesetzestreu ist. Davon gehe ich aus", verteidigte er seinen Parteikollegen.

Kritischer sieht es die Staatssekretärin im Innenministerium, Karoline Edtstadler (ÖVP). Sie sieht Waldhäusl in der Pflicht. Man müsse für menschenwürdige Bedingungen in der Einrichtung sorgen, sagte sie am Freitag in einer Pressekonferenz und geht davon aus, dass dies Waldhäusl auch ermögliche.

Experten sehen Freiheitsentzug

Die Asylkoordination hat in der Causa – wie bereits berichtet – eine Anzeige angekündigt. Rechtsexperten sehen dafür gute Erfolgschancen. Für den Tatbestand der Freiheitsentziehung gebe es nämlich keine Rechtsgrundlage, sagte etwa der Linzer Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer im "Mittagsjournal": "Wenn ich ein Gebäude für zehn Minuten nicht verlassen kann, ohne dass es eine entsprechende Rechtsgrundlage gibt, dann ist der Tatbestand der Freiheitsentziehung verwirklicht." (red, APA, 30.11.2018)