Green Finance, Sustainable Finance – das sind keine neuen Themen in der Finanzwelt, sie bekommen aber zusehends Aufmerksamkeit. "Der Trend von rein renditegetriebenen zu auch nachhaltigen Geldanlagen ist gekommen, um zu bleiben", sagen zahlreiche Vertreter der Finanzbranche.

Zumal die EU-Kommission im März entscheidende Weichen für dieses Anlagesegment gestellt hat. Mit ihrem Aktionsplan "Sustainable Finance" will sie Kennzeichen für grüne Finanzprodukte schaffen und diesbezügliche Beratung regeln. Die Strategie soll die EU-Agenda für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung unterstützen. Der Kapitalmarkt als größter Geldgeber der Wirtschaft ist eine große Stellschraube, mit der sich etwas bewegen lässt.

Aber wie so oft hapert es an der Praktikabilität. "In der EU sitzen die Bürokraten und Technokraten, die von der Praxis wenig Ahnung haben, die sich nicht überlegt haben, wie man das alles im Kundenkontakt in die Tat umsetzen soll", wettert eine Finanzberaterin. Insbesondere in der jüngeren Vergangenheit sahen sich Wertpapierdienstleister mit einer Vielzahl an neuen Auflagen konfrontiert – alles im hehren Namen des Anlegerschutzes und der Transparenz.

Anfang 2018 wurde die novellierte EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (Mifid II) umgesetzt. Strengere Beratungsdokumentation und Produktregulierung, Neuerungen zu Vergütungsrecht und Aufzeichnungspflicht brachten der Branche einen beträchtlichen Mehraufwand. Hinzu kam die seit Ende Mai geltende Datenschutz-Grundverordnung.

Der Teufel steckt im Detail

Doch was genau sieht der neue Aktionsplan vor? Der Bankenverband ist auf seiner Website um Klarheit bemüht: "Es geht um konkrete Vorschläge wie Regelungen für ein einheitliches EU-Klassifikationssystem ('Taxonomie'), für Investorenpflichten, für die Einführung neuer CO2-Referenzwerte und für den Bereich der Anlageberatung."

Das klingt insgesamt erfreulich. Der Teufel steckt – wie so oft – im Detail. In ihrer aktuell angedachten Form könnte das neue Regelwerk insbesondere für Finanzberater zum Haftungshammer werden, sie werden von den Ideen stark berührt.

Zu den Vorschlägen im Einzelnen: Referenzwerte sollen künftig leicht erkennbar machen, welche Investitionen den Kriterien Umweltfreundlichkeit oder Emissionsarmut genügen. Dafür braucht es ein entsprechendes Klassifikationssystem: Anhand der harmonisierten Kriterien soll leicht bestimmbar sein, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit ökologisch nachhaltig ist.

Institutionelle Anleger sollen offenlegen, wie sie diesen Pflichten nachkommen. Im Rahmen des Regelwerks MiFID II und IDD, Letzteres ist die seit 1. Oktober EU-weit anzuwendende EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie, soll Nachhaltigkeit in der Kundenberatung sichergestellt werden. Die jüngst eingeführten "Eignungsprüfungen" werden also erweitert – um den Aspekt, wie sich ESG-Ziele am besten in die Beratung von Privatkunden durch Anlageberater integrieren lassen.

"Versicherungsunternehmen und Wertpapierfirmen sollen ihre Kunden entsprechend deren Nachhaltigkeitspräferenzen beraten. Damit trifft es Finanzberater direkt", sagt Otto Lucius vom Österreichischen Verband Financial Planners (OVFP).

"Buch mit sieben Siegeln"

Dummerweise sind aber "die Definitionen für Green Finance oder Sustainable Finance äußerst unpräzis. Kunden können nur dann halbwegs sinnvoll beraten werden, wenn es eine eindeutige und intuitiv verständliche Klassifizierung gibt." Schon bisher wurde von Finanzexperten immer bemängelt, dass allgemein gültige Definitionen für nachhaltiges Investment fehlen.

Es gibt die UNPRI-Grundsätze, die United Nations Principles of Responsible Investment. Diesen haben sich bereits mehr als 1960 Unterzeichner (Stand April 2018), darunter 1715 Finanzinvestoren mit einem verwalteten Volumen von 66 Billionen Euro, angeschlossen.

Auch das Eurosif, das European Sustainable Investment Forum, hat Kriterien für Sustainable Responsible Investment (SRI) definiert. ESG sollen in Analyse und Auswahlprozess neben einer Fundamentalanalyse berücksichtigt werden. Ein Kernpunkt ist, auf das Verhalten der Unternehmen so einzuwirken, dass sie ESG-Kriterien stärker befolgen.

Vom rein anlagetechnischen Standpunkt her hat die European Federation of Financial Analysts Societies (EFFAS), der europaweite Zusammenschluss nationaler Berufsverbände für Finanzanalysten, bereits sogenannte ESG-Sektor-Key-Performance-Indikatoren entwickelt, "diese stellen für Berater aber eher ein Buch mit sieben Siegeln dar", sagt Lucius.

Auch von anderer Seite kommt Kritik: Die Vorschläge der EU-Kommission sind sprachlich insofern wenig eindeutig, als nicht klar ist, auf welche Geschäftsaktivitäten die Regulierung angewendet werden soll, so die Teilnehmer des vom Ecologic Institut, einem unabhängigen Thinktank für umweltpolitische Forschung, veranstalteten Climate-Talk: Bezieht sich die Regelung nämlich nur auf nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen, träfe die erhöhte Berichtspflicht nur Emittenten von Anlageprodukten, die als nachhaltig oder umweltfreundlich vermarktet werden, während für konventionelle Anbieter keine zusätzliche Transparenz erreicht wird.

Von hinten aufgezäumt

Den Zeitplan der EU findet Lucius "echt geil". Bis Mai 2019 sollen Europäisches Parlament und Rat zu einer Einigung kommen, damit die Gesetzgebungsvorschläge noch in der laufenden EU-Legislaturperiode umgesetzt werden können. Schon heuer im Mai hat die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde zwölf überarbeitete Guidelines zum Thema "Suitability" vorgelegt, nach denen die Berater prüfen müssen, ob ein nachhaltiges Investment mit den ESG-Präferenzen des Kunden übereinstimmt.

Diese Eignungsanforderung wird bei der Vor-Ort-Prüfung der Wertpapierdienstleister durch die nationale Aufsicht zugrunde gelegt. Die heimische Finanzmarktaufsicht wird sich aller Voraussicht nach mit den Guidelines "compliant" erklären, erwartet Otto Lucius.

Die Crux: Laut dem zeitlichen Fahrplan wird die "Taxonomie" aber erst ein Jahr später festgelegt. "Wunsch und Wirklichkeit klaffen hier auseinander. Erst im dritten Quartal 2019 werden die Kriterien, nach denen beraten werden soll, nach denen also die Eignung festgestellt werden soll, fixiert", warnt Lucius: "Geht das Investment gut, bestens. Geht es aber schief, ist sicher sofort ein findiger Anwalt da, der behauptet, eine ESG-Präferenz seines Mandanten sei nicht (ausreichend) berücksichtigt worden. Hier schlummert ein ungeheures Prozessrisiko", warnt Lucius.

Ohnehin muss man sich als Privatanleger fragen, wie eine höchstpersönliche Entscheidung, wie ESG-Veranlagungen an einen Berater delegiert werden können und ob man das als mündiger Mensch wirklich möchte. Lucius wirft eine weitere Frage auf: "Warum setzt die Politik nicht einfach direkt Maßnahmen, um bestimmte Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, und macht stattdessen der Finanzindustrie Vorschriften, über die die Unternehmen indirekt gezwungen werden, ökologisch und nachhaltig sinnvoll zu wirtschaften?" (Linda Benkö, Portfolio, 2018)