Schönheit zusammen" bedeutet der chinesische Firmenname Meituan wörtlich. Nur wenige haben in Europa davon gehört. Diesen Herbst holte sich der Online-Universaldienst mehr als vier Milliarden Euro beim größten Börsengang eines Internetkonzerns seit vier Jahren. Auch damals war es bereits eine chinesische Firma, die Schlagzeilen machte.
Die E-Commerce-Plattform Alibaba aus Hangzhou legte 2014 den größten Börsengang der Welt hin – mit einem Aktienpaket im Wert von über 20 Milliarden Euro. Der Schritt war keineswegs übermütig. Alleine an diesem Singles' Day – ein jährlicher Tag des Kaufrausches am 11. 11. – generierten Händler über Alibaba einen Umsatz von rund 27 Milliarden Euro.
Wie die Beispiele zeigen, trifft das Bild von Chinas Aufholjagd längst nicht mehr auf alle wirtschaftlichen Bereiche zu. Beim Onlinehandel hat die zweitgrößte Volkswirtschaft westliche Industrieländer mit Froschsprüngen überholt, indem ganze Entwicklungsstufen ausgelassen wurden. Chinas Techkonzerne zeigen, wohin die Reise in Europa und Amerika geht.
Level übersprungen
Chinesen kaufen heute von Bentleys bis zu Biobananen alles im Netz. Im größten Onlinemarkt der Welt werden jährlich über 600 Milliarden Euro umgesetzt, zeigt einem Bericht der Boston Consulting Group (BCG). Binnen fünf Jahren ist der Onlineanteil im chinesischen Handel von drei auf 15 Prozent im Jahr 2015 gewachsen. Bis 2020 sollen drei Viertel des Handels in China im Netz ablaufen, so die Prognose.
Das ist insofern beachtlich, als der Anteil der Internetnutzer in der Bevölkerung immer noch deutlich hinter jenem in Europa und Nordamerika liegt. Trotzdem verbringt ein Chinese im Schnitt eine halbe Stunde auf Alibabas Shoppingplattform Taobao – dreimal länger als ein Amerikaner auf Amazon.
Das liegt auch an mangelnden Alternativen: "In China fehlt die flächendeckende Infrastruktur für den Handel wie Kaufhäuser. Darum shoppen die Leute viel öfter im Web", erklärt Basir Mustaghni, Experte für digitale Märkte bei BCG. Nicht nur Dauer, auch Gewohnheiten der Online-Shopper unterscheiden sich enorm.
"Chinas Online-Konsumenten interagieren mehr als im Westen. Sie lassen sich in sozialen Medien inspirieren, tauschen sich über Produkte aus oder verfolgen den Livestream einer Markenpräsentation", sagt Mustaghni. Wer dieser Tage durch Schanghai fährt, sieht auf Werbescreens an Wolkenkratzern QR-Codes, über die man per Handy sofort zuschlagen kann.
Die drei Lokalmatadore Aliaba, Tencent und Baidu sind Experten im Multichannel-Marketing. Sie bieten neben E-Commerce-Plattformen, Suchmaschinen und sozialen Netzwerken auch Zahldienste, Chatprogramme sowie Spiel- und Videoplattformen an. Dabei entsteht eine große Datenspur.
Für jeden der 500 Millionen monatlich aktiven Nutzer in Alibabas digitalem Ökosystem generiert der Konzern eine "Unified ID", ein Konsumentenprofil mit rund 8.000 Kennwerten. Anhand dieser steuern Händler ihre Kunden gezielt an, verfeinern ihre Werbung und passen sie individuell an – vorausgesetzt, sie verwenden Alibabas Dienste.
Ausgefeilte Algorithmen
Um den Datenschatz optimal auszuwerten, entwickeln die Tech-Konzerne immer ausgefeiltere Algorithmen. "Heute ist China bei künstlicher Intelligenz und Datenanalyse weiter als die westlichen Unternehmen", betont Mustaghni. Das liege nicht nur daran, dass Peking ausländischen Firmen den Marktzugang erschwert habe. "Die großen US-Onlineriesen verstanden einfach nicht, wie chinesische Konsumenten ticken." Das Scheitern der US-Onlinebörse Ebay nach dem Markteintritt in China 2002 ist mittlerweile eine Fallstudie in Managerkursen, wie lokale Konsumvorlieben ignoriert wurden.
Vor 15 Jahren haben westliche Onlinekonzerne ihre Chance in einem neuen Markt verpasst. Heute stehen die chinesischen Onlinekonzerne, die sie ergriffen haben, vor dem Absprung nach Europa und in die USA. "Alle hier kennen Alibaba oder vielleicht Tencent, aber wir unterschätzen die Dynamik, mit der sich in China kleinere Marken etablieren, und welche technologische Kraft dahintersteckt", sagt Mustaghni.
Wenn sich chinesische Tech-Konzerne im Westen immer mehr etablieren, wie Xiaomi mit Handys, bringen sie auch neue Marken mit – von der Gartenbewässerung bis zum Lifestyle-Label. Diese Marken gewinnen dann im Bewusstsein der Konsumenten an Wert. Damit stellen sie eine ernsthafte Konkurrenz für viele etablierte Produkte dar, die bisher stark auf Offline-Vertrieb in Kaufhäusern und Einkaufsstraßen gesetzt haben, prognostiziert BCG.
Neue Möglichkeiten
Auch wenn die E-Commerce-Landschaft von chinesischen Konzernen dominiert wird, bietet sie ausländischen Händlern neue Möglichkeiten; auch für Österreichs Exporteure. "Qualität ist in China zusehends gefragt, Lifestyle und Individualismus liegen vor allem bei jüngeren Konsumenten im Trend", sagt Martin Glatz, österreichischer Wirtschaftsdelegierter in Peking.
"Österreichsche Firmen sind bereits präsent, ob mit Lebensmitteln, Schmuck, Bekleidung oder Sportartikeln." Derzeit arbeiten die heimischen Wirtschaftsvertreter daran, mit der zweitgrößten E-Commerce-Plattform Chinas, JD.com, ein Portal für Österreich-Produkte aufzubauen. Die Österreichische Post, die mit Schöpping.at eine E-Commerce-Plattform für heimische Produkte betreibt, hofft als Schnittstelle zwischen heimischen Anbietern und dem chinesischen Onlinemarkt zu agieren.
Doch auch chinesische Touristen könnte man über ihre eigenen Apps am besten erreichen. Im Vorjahr gab es bereits 900.000 Fluggäste aus dem Reich der Mitte nach Wien. Vor allem wenn sie nur umsteigen und vielleicht noch kein Geld gewechselt haben, könnte man ihnen den Onlineeinkauf erleichtern. Würde ein Reisender einen QR-Code über Wechat erhalten, über den er sofort eine Sachertorte im Duty-free-Shop kaufen könnte, wäre viel erreicht.
Noch funktionieren die chinesischen Bezahldienste nicht in Österreich. Man arbeite daran, heißt es seitens der Außenwirtschaftsvertreter. Bis dahin dürften Chinesen zu Besuch in Europa eine Wirtschaftsmacht erleben, die noch mitten in der Aufholjagd steckt. (Leopold Stefan, Portfolio, 2018)