Klassentreffen. Nach einem etwas steifen Beginn lockert sich die Stimmung durch ein paar Runden Schnaps auf. Auf den Tischen wird getanzt. Janne (Aenne Schwarz) und Martin (Hans Löw) haben sich erst kennengelernt. Sie haben Spaß. Dann machen sie sich betrunken auf den Heimweg, sie bietet ihm ihre Couch an, denn er ist nicht von hier. Er missversteht das als Angebot. Sie wehrt seine Avancen zuerst noch mit einem Lächeln unaufgeregt ab. Doch er lässt nicht locker, und plötzlich drückt er sie auf den Boden und zwingt sie zum Sex. "Echt jetzt?", sagt sie, weil diese Handlung auch mit eingeübten Mustern bricht.

Kurzes Sonnenbad gegen den Druck, immer das beste Selbstbild wahren zu müssen: Aenne Schwarz in Eva Trobischs "Alles ist gut".
Foto: Polyfilm

Schon die Schlüsselszene aus Eva Trobischs Debütfilm Alles ist gut ist ein kleines Meisterstück an Differenzierung. Die gewaltvolle Grenzüberschreitung des Mannes ist eindeutig, die Situation jedoch, in der sie auftritt, hat viele Nuancen. Janne agiert mit der Selbstsicherheit einer Frau, die gewohnt ist, unmissverständlich zu definieren, wo ihr Unbehagen beginnt – und dass der andere dies auch versteht. Und Martin, der zuerst eher schüchtern und im Flirt sogar etwas unsicher erscheint, ist eben nicht der prototypische Räuber, der nach einem erprobten Schema vorgeht.

Von Vergewaltigung wird in Alles ist gut dann auch nie die Rede sein. Das bedeutet freilich nicht, dass die Tat dem Begriff nicht entspricht. Es ist allerdings ein erstes Signal dafür, dass Trobisch, Abgängerin der Münchner Filmhochschule und Kind einer Ostberliner Theaterfamilie, kein Thesenkino vor Augen hatte.

Graustufen der Realität

Der Film wurde bereits vor der MeToo-Debatte entwickelt, wenngleich man nicht umhinkommt, ihn nun auf deren erhitzte Logik zu beziehen. Denn der Film setzt den vermeintlich klaren Positionen dazu, wie sich ein Opfer zu verhalten hat – ja, wie sich ein Opfer definiert -, die Graustufen der Realität entgegen. Eine persönliche Geschichte, die mit beträchtlicher erzählerischer Raffinesse eine Art langsame Implosion beschreibt.

"Alles ist gut", der euphemistische Titel, ist ein Zitat: Janne sagt das beschwichtigend zu Martin, als sie diesem an ihrem neuen Arbeitsplatz in einem Verlag wiederbegegnet und er schuldbewusst ein Gespräch sucht. Und: "Kannst mir ja mal eine Tafel Schokolade vorbeibringen." Aenne Schwarz, als Schauspielerin am Burgtheater engagiert, spielt diese Janne allerdings nicht als Provokation, sondern als Frau mit vielen Gesichtern. Sie möchte sich mit dem Vorfall dieser Nacht lieber nicht befassen, sie will weitermachen und funktionieren, auch weil sie nach einer Insolvenz wieder nach Perspektiven sucht.

"Alles ist gut": Trailer & Filmclips.
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Die Gründe für ihr Verhalten sucht der Film damit nicht nur bei der Figur selbst. Trobisch hat Alles ist gut nicht zufällig in einem urbanen Milieu angesiedelt, in dem sich Janne als emanzipierte Frau versteht. Souveränität zu behalten, hält sie für die Position der Stärke. Das Gespräch mit ihrer Mutter (Lina Wendel) in der Sauna stoppt sie vorzeitig, als ihr diese mit Schlagwörtern kommt. Ihrem Freund Piet (Andreas Döhler) verschweigt sie die Tat komplett, und ihre körperliche Aufwallung gegenüber Martin unterdrückt sie mit viel Selbstdisziplin. Das wirkt im Selbstverständnis der Figur alles äußerst stimmig.

Trobisch begleitet ihre Protagonistin mit der Kamera wie eine Gefährtin und zieht uns damit indirekt in ihren Wahrnehmungskreis hinein. Im sozialen Miteinander wirkt Janne zwar keineswegs isoliert, es wird aber deutlich, dass die Kluft zwischen Rolle und Person zunimmt. Jannes Verhalten wird so doppelt lesbar. Auch ihr Chef betrachtet sie als aufmerksame Anlaufstelle für seine Beziehungsprobleme mit einer jüngeren Frau. Sie will stets ausgleichen, vermitteln. Doch der Film zeigt äußerst präzise, wie sich die Nachwirkungen der Nacht wie die Kreise auf einer Wasseroberfläche weiter ausbreiten. Der Systemausfall ist vorprogrammiert.

Trobisch, die für ihren Film bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, hat in Interviews denn auch betont, dass es ihr eigentlich mehr um die Erforschung eines "sozialen Felds" gegangen ist als um den Gewaltakt per se. Tatsächlich versteht es die 35-Jährige außerordentlich gut, ein dicht verästeltes Geflecht von Beziehungen zu zeichnen, in dem der Druck unter der Oberfläche beständig steigt. Ihr Debüt zeichnet eine rar gewordene Qualität aus: Bereitschaft zur Ambiguität. In der Figurenzeichnung und im Blick auf eine Gesellschaft, in der viele es besser wissen, aber wenige es besser machen. (Dominik Kamalzadeh, 30.11.2018)