Habsburgische Heiratspolitik führte 1817 Erzherzogin Leopoldine nach Brasilien – mit ihr reiste auch eine naturkundliche Expedition.

Foto: KHM Museumsverband

Die Geschichte der Sammlungen afrikanischen Kulturguts ist eine gemeinsame Geschichte Europas, der sich kein Staat entziehen kann, stellen Felwine Sarr und Bénédicte Savoy eindrücklich in ihrem Bericht zur Restitution afrikanischer Kulturgüter durch Frankreich fest.

Einige Merkmale dieses Berichts sind: 1) Er wurde nach eingehenden Konsultationen mit afrikanischen und europäischen Befürwortern und Skeptikern der Restitution erstellt; 2) er hebt das Bestehen sicherer kultureller Einrichtungen in den betreffenden Ländern zur Pflege dieses Kulturguts hervor; 3) Restitution wird auch als Beitrag zur Neugestaltung der Beziehungen zwischen Völkern und Staaten verstanden; 4) er unterscheidet zwischen verschiedensten Formen der Aneignung, unter anderem Beschlagnahmung, Plünderung, Ankauf; 5) er schlägt Gesetzesänderungen und Finanzierungsmodelle vor.

Transparenz und Dialog

Nach Emmanuel Macrons Erklärung von Ouagadougou 2017 wurde die deutsche Bundesregierung tätig. Sie verankerte die Restitution kolonialen Kulturguts in ihrem Koalitionsvertrag, beschloss einen Förderungsschwerpunkt zur notwendigen Provenienzforschung, während Kulturstaatssekretärin Monika Grütters einen neuen "Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten" veröffentlichte: Transparenz erarbeiten und mit den betroffenen Staaten in Dialog eintreten, also vorbereitet sein. Im Gegensatz zu Frankreich umfasst der deutsche Ansatz alle Regio nalgebiete sozialanthropologischer Museen und bezieht archäologische Sammlungen mit ein.

Die Diskurse sind verschieden. Sarr und Savoy arbeiteten in Hinblick auf eine baldige Umsetzung (fünf Jahre) und betonen die Sicherheit sowie das Vorhandensein fachlicher Kompetenzen und entsprechender Institutionen. In Deutschland wird dies problematisiert, ohne rezente Entwicklungen zu berücksichtigen. Da ist auch das geltende Haushaltsrecht hilfreich, das den Museen jegliche Re stitution untersagt.

Im Geiste der Aufklärung?

In Bezug auf Sammeltätigkeiten wird in Deutschland die Frage nach gerechtfertigten Ansprüchen der betroffenen Staaten gestellt und argumentiert, dass Kaufverträge bestanden hätten (in Dörfern bei Schriftunkundigen?) beziehungsweise wissenschaftliche Sammlungsreisen doch im Geiste der Aufklärung erfolgt seien.

Sarr und Savoy legen schonungslos Praktiken ebendieser offen: Selbst der Verkauf war oft erzwungen, es wurde mit der Kolonialgewalt gedroht oder die Unkenntnis marktüblicher Preise ausgenutzt. Auf einen Nenner gebracht ging es darum: so viele prestigeträchtige Objekte und so billig wie nur möglich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln herausholen. Auch am Kunstmarkt in Europa war das damals und ist es heute bekannt: Es ist weitestgehend dokumentiert, oft nachzulesen in den Reiseberichten selbst.

Leider, der beschworene Geist der Aufklärung wurde allzu oft in Europa zurückgelassen, für das Sammeln herrschten andere Regeln. Beispiele: Sarr und Savoy nennen für Frankreich Marcel Griaule, für Deutschland könnte Leo Frobenius angeführt werden, für Österreich Johann Natterers Sammlungstätigkeit in Brasilien.

Wiener Weltmuseum

Österreichische Bundesregierungen zeigen nachhaltig ihr Desinteresse an diesen Themen sowie am Weltmuseum selbst: angefangen von seiner Unterordnung unter den KHM-Verband zu Beginn der 2000er-Jahre (Hochkunst über "primitive" Artefakte!) bis hin zur "Redimensionierung" 2015. Das Weltmuseum leidet daher unter einer Personalknappheit, die ein wissenschaftliches Aufgreifen der Re stitution nahezu verunmöglicht, und die Raumknappheit verhindert ein Ausstellen unzähliger Prunkstücke.

Freilich, im Bereich der Rückgabe von "human remains" war es sehr früh aktiv, und in Bezug auf Kulturgut kamen nach der Benin-Ausstellung (2007) Gespräche mit nigerianischen Verantwortlichen und dem Königshaus in Fluss. Heute verweisen die Verantwortlichen auf den "Benin-Dialog", an dem sich zehn Museen beteiligen und in dem über ein Leihgaben rotationssystem mit Nigeria nachgedacht wird. Es scheint, als handle es sich um ein Legitimierungsprojekt, um die Restitutionsdebatte möglichst defensiv zu betreiben. Vorschläge, Objekte rückzuführen, anstatt sie in den Depots versauern zu lassen, wie es der Jurist Kwame Opoku, viele Jahre bei der UN in Wien und Berater von Sarr und Savoy, seit Jahren vorschlägt, bleiben unberücksichtigt.

Kein Kolonialismus?

Es besteht kein politischer Wille. Vielmehr wird die irrige Meinung erhalten, Österreich habe mit Kolonialismus nichts zu tun: Schweigen zum Wiener Kongress, zur Vermittlerrolle der Habsburger bei der Berliner Konferenz, zu ihren engen Banden mit den Königshäusern der Kolonialmächte.

Der Bericht von Sarr und Savoy jedoch ist ein Weckruf für Österreich und sein Weltmuseum. Allerdings sind wir Staatsbürger, als Besitzer dieser Kulturgüter, aufgerufen, uns mit dieser kolonialen Bürde in unseren europäischen Zentren zu befassen. Wobei Restitution als Chance wahrgenommen werden sollte, mittels dieser Objekte unsere Beziehungen zu diesen Völkern als ebenbürtigen Partnern neu zu gestalten. (Thomas Fillitz, 30.11.2018)