Präsident Emmanuel Macron rief für Sonntagnachmittag eine Krisensitzung ein. Nach seiner Rückkehr vom G-20-Gipfel besuchte er umgehend den Arc du Triomphe, wo es am Samstag zu Ausschreitungen kam, und verharrte am Grab des unbekannten Soldaten.

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133 Menschen wurden am Samstag verletzt, darunter 23 Sicherheitskräfte, wie die Pariser Polizeipräfektur mitteilte. Außerdem seien 412 Menschen festgenommen worden.

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Der Premierminister sprach von einem von einem "selten erreichten Ausmaß der Gewalt" und sagte seine Reise zum Klimagipfel in Polen ab.

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Die "Gelbwesten" fordern unter anderem Steuersenkungen sowie eine Anhebung von Mindestlöhnen und Pensionen. Der Konflikt startete mit ihrer Kritik der Ökosteuer auf Diesel – hier ist Macron bereit einzulenken.

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Paris – Das sei ja "wie im Bürgerkrieg", meinte ein englischsprachiger Passant, der sich am Sonntagmorgen bei der Avenue Kléber einen Weg zwischen herausgerissenen Pflastersteinen bahnte. Überall lagen die Trümmer einer langen Nacht herum – geplünderte Läden, ausgebrannte Autowracks und verkohlte Barrikaden. Die Polizei hatte im Viertel zwischen Champs-Élysées und Boulevard Haussmann 412 Randalierer festgenommen. 133 Leute wurden verletzt, mehrere schwer.

Präsident Emmanuel Macron suchte am Sonntagmorgen, kaum war sein Flieger vom G20-Gipfel in Argentinien gelandet, den Schauplatz auf. Einige Zaungäste buhten ihn aus und riefen "Macron, démission!", andere dagegen "Tenez bon!" ("Halten Sie durch!").

10.000 Tränengaspatronen

Der Präsident ließ sich nicht beirren und suchte zu Fuß den Triumphbogen auf, dessen Eingangsräume mit Hämmern beschädigt worden waren. Einzelne Vermummte, die der Ultrarechten oder -linken zugerechnet werden, schafften es sogar, das Dach des Monuments zu besteigen. Ein Polizeivertreter sprach von einer "Stadtguerilla". Ihr waren die gut ausgerüsteten Bereitschaftspolizisten nicht gewachsen, obwohl sie über Wasserwerfer verfügten und insgesamt 10.000 Tränengaspatronen verschossen. Millionen von Franzosen verfolgten die spektakulären Szenen live im Fernsehen. Macron weiß auch, dass solche Bilder über den Ausgang des überaus harten Sozialkonflikts entscheiden werden – und dass es die Franzosen nicht mögen, wenn ein nationales Symbol wie der Arc de Triomphe besudelt wird.

Das Ausmaß der Zerstörungen nach einem Wochenende voller Krawalle in Paris ist beachtlich.

In einer Limousine fuhr Macron dann zu einer Krisensitzung in den Élysée-Palast. Innenminister Christophe Castaner schloss die Ausrufung des Notstands nicht aus. Später hieß es, diese Maßnahme sei nicht diskutiert worden. Am Montag soll es zu Gesprächen mit Vertretern der Demonstranten und Parlamentsparteien kommen. Der Innenminister war bereits in der vergangenen Woche mit Vertretern der "Gelben Westen" zusammengekommen, doch die Gespräche wurden jäh abgebrochen.

Wut gegen Macron

Die Gewalt weitet sich allerdings auf das ganze Land aus – und richtet sich immer direkter gegen Macron. Erstmals kam es auch in Provinzstädten wie Toulouse, Bordeaux, Marseille sowie im frankophonen Belgien zu Krawallen. In Arles ereignete sich an einer Straßensperre ein tödlicher Auffahrunfall. Es ist das dritte Todesopfer seit Beginn der Proteste.

Ein Komitee von Gelbwesten publizierte in einer Sonntagszeitung einen Aufruf zur Mäßigung. Es zeigt sich bereit, mit der Regierung zu diskutieren – aber nur, wenn die umstrittene Steuererhöhung auf Benzin und Diesel zurückgenommen werde. Der Staatschef hat zwar kleinere Konzessionen gemacht, will aber in der Hauptsache hart bleiben, wohl wissend, dass sein gesamter Reformkurs auf dem Spiel steht – und damit auch seine politische Zukunft.

Forderung nach Referendum

Der Chef der konservativen Republikaner, Laurent Wauquiez, verlangte am Sonntag ein Referendum über die Steuer- und Umweltpolitik Macrons. Eine solche Volksabstimmung würde sich bei der zunehmenden Unpopularität unweigerlich in ein Plebiszit über den Präsidenten verwandeln. Die Gewaltexzesse in Paris könnten den Gelbwesten allerdings etliche Sympathien kosten. Wauquiez wirft Macron deshalb vor, er habe am Samstagabend bewusst "nur" knapp 4500 Polizisten aufgeboten. Macron soll Sonntagabend jedenfalls seinen Innenminister angewiesen haben, über eine "Anpassung" des Polizeiaufgebots nachzudenken.

Linkenchef Jean-Luc Mélenchon und die Rechtspopulistin Marine Le Pen verlangten am Sonntag nicht zum ersten Mal die Auflösung der Nationalversammlung und die Ausrufung von Neuwahlen. Macron kann angesichts seiner Unpopularität nicht daran denken. Eine politische Antwort auf den Konflikt muss er dennoch finden. (Stefan Brändle, red, 2.12.2018)