Jordi Sànchez, ehemaliger Vorsitzender der katalanischen Nationalversammlung und derzeit in Haft.

Foto: AFP / Gabriel Bouys

Zwei der neun inhaftierten katalanischen Unabhängigkeitsaktivisten sind am Samstag in einen unbefristeten Hungerstreik getreten. Der ehemalige Vorsitzende der katalanischen Nationalversammlung, Jordi Sànchez, und der ehemalige Minister und Sprecher der katalanischen Regierung, Jordi Turull, protestieren damit gegen das spanische Verfassungsgericht. Dieses verschleppe absichtlich alle Einsprüche der Gefangenen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wegen Aufstands, Rebellion und Veruntreuung öffentlicher Gelder im Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017.

Die Abstimmung wurde trotz eines Verbots durch die Zentralregierung in Madrid durchgeführt. Die Hauptverhandlung gegen 18 Politiker und Aktivisten wird im neuen Jahr vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid beginnen.

Den Angeklagten, unter denen sich zahlreiche Minister des ins Ausland geflohenen katalanischen Ex-Regierungschefs Carles Puigdemont befinden, drohen – so die Forderung der rechtsradikalen Partei Vox, die als Nebenklägerin auftritt – bis zu 55 Jahre Haft. Die Staatsanwaltschaft fordert bis zu 25 Jahre. Sànchez und Turull wurden vor einem Jahr ins katalanische Parlament gewählt. Beide kandierten für den Posten des Regierungschefs und scheiterten an richterlichen Entscheidungen.

"Wir wollen keine Sonderbehandlung, aber auch keine Diskriminierung", heißt es in einer Stellungnahme der beiden. Insgesamt haben die Anwälte der Angeklagten ein Dutzend Beschwerden beim Verfassungsgericht eingebracht. Dieses hat alle akzeptiert, aber bis heute keine Entscheidung gefällt. Gegen Urteile des Obersten Gerichtshofs kann keine Berufung eingelegt werden. Der Weg zum Europäischen Gerichtshof ist damit der einzige, der bleibt. Und dieser ist verbaut, solange das spanische Verfassungsgericht nicht entschieden hat. Die erste Beschwerde datiert vom 22. November 2017.

Richter abgelehnt

Unter anderem haben die Angeklagten mehrere Richter als befangen abgelehnt, weil sie der konservativen früheren Regierungspartei Partido Popular, in deren Amtszeit das Referendum und der Beginn der Strafverfolgung fielen, nahestehen oder ihr direkt angehört haben. Im Extremfall könnten sie ein Urteil fällen, bevor das Verfassungsgericht die Befangenheitsanträge geprüft hat.

Deutlich mehr als 160.000 Menschen haben sich in nur 24 Stunden per Onlinepetition mit Sànchez und Turull solidarisiert. Neben den katalanischen Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, stellte sich auch die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, hinter die Hungerstreikenden.

Der in Madrid regierende Sozialist Pedro Sánchez zeigt keinerlei Verständnis für die Aktion. "Es gibt keine Gründe für den Hungerstreik, sie werden ein gerechtes Verfahren haben", lautet seine Reaktion. Die Debatte über die Gefangenen droht die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der spanischen Nach-Franco-Verfassung am 6. Dezember zu überschatten. (Reiner Wandler aus Madrid, 3.12.2018)