Alle Jahre wieder: In den Einkaufsregalen, auf Plakaten überall taucht der dicke rote Mann mit der Bischofsmütze und dem weißen Rauschebart auf. Es ist Nikolauszeit und viele Kinder freuen sich, weil sich auch bei den Kleinsten schnell herumspricht, dass er am 6. Dezember Geschenke bringen wird. "Lustig, lustig, tralalalala, bald ist Nikolausabend da", wird im Kindergarten gesungen.Doch der Nikolaus ist durchaus eine kontroversielle Gestalt.

Für die einen hat der Mann mit dem Stab und dem großen goldenen Buch etwas väterlich Gütiges, eine positive Gestalt, die belohnt, weil sie Geschenke bringt, es gibt aber auch viele, die den Nikolaus als unheimlich, furchteinflößend und unangenehm in Erinnerung haben. Das hat oft auch damit zu tun, dass der Nikolaus jemand Fremder war, der aber trotzdem irgendwie wusste, ob man brav war oder nicht. Das kann durchaus negativ in Erinnerung bleiben, denn der Nikolaus gehört in der katholischen Tradition sicher zu den Guten, doch ist er auch ein strenger Prüfer und aus Sicht der Kinder ein unheimlicher Alleswisser, der die Fantasie anregt.

Der Blick verrät: Einerseits väterlich und beinahe verschmitzt, andererseits unheimlich und wissend. Der Nikolaus ist eine kontroversielle Gestalt.
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Magisches Denken

"Dass Kinder den Nikolaus als Nikolaus wahrnehmen und nicht als verkleidete Person, oder sich manchmal sogar vor ihm fürchten, wenn er sich vor ihren Augen umzieht, hat mit magischem Denken zu tun", sagt Psychotherapeutin Lea Hof-Vachalek, die am Institut für Erziehungshilfe in Wien arbeitet. Aus entwicklungspsychologischer Sicht stellt das magische Denken einen wichtigen Schritt im Denkvermögen des Menschen dar. "Darauf basierend können sich Kinder später auch mathematisch oder sprachlich etwas vorstellen und in Folge abstrahieren", erklärt sie.

Glaube an den Zauber

Denn die Wahrnehmung der Wirklichkeit ist eine Fähigkeit, die Kinder erst lernen müssen. Die meisten beginnen sich zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr zu interessieren, wer der Nikolaus eigentlich ist. Viele Kinder wollen aber auch bis ins Schulalter an die Magie glauben, weil sie viel Positives mit dieser Figur verbinden.Aber irgendwann ist das magische Denken in der Kindheit einmal zu Ende, es lässt sich daran erkennen, dass Kinder wissen, was eine Verkleidung ist. Spätestens dann verliert der Nikolaus seinen Zauber. Im besten Fall erkennen sie, dass der er zum Beispiel der Freund vom Papa ist.

Wer die Figur ist und woher sie kommt, ist aus Sicht der Grazer Entwicklungspsychologin Karin Landerl von der Karl-Franzens-Universität Graz aber nicht so entscheidend: "Für Kinder muss nicht immer alles logisch sein." Dazu gehört auch, dass sie meist nicht hinterfragen, wie es sein kann, dass der Nikolaus, so wie drei Wochen später das Christkind, bei so vielen Kindern gleichzeitig sein kann.

Nikolaus als Erzieher

Doch als Nikolaus kann man auch einiges falsch machen. "Es kann Kindern Angst machen, wenn er im Detail über ihr gutes und schlechtes Benehmen Bescheid weiß", sagt Psychotherapeutin Hof-Vachalek. "Es sollte vielmehr klar sein, dass die Eltern die Autorität sind, mit denen Kinder verhandeln sollen, was geht und was nicht", rät Landerl, die auch betont, dass Kinder sich grundsätzlich nicht fürchten sollten. Doch gerade das machen viele Eltern ganz intuitiv. Sie nutzen den Nikolaus als externe Erziehungsmaßnahme.

Gerhard Beigl zum Beispiel, ein pensionierter Lehrer mit 40 Jahren Nikolaus-Erfahrung weigert sich, diese Funktion zu übernehmen. "Ich bin kein Erziehungsfaktor. Die Kinder sollen sich freuen, wenn ich komme." Er geht vor allem auf Positives ein, Verbesserungswürdiges geht er subtil an. Ganz falsch, so Beigl, sei es, wenn Eltern ihren Kindern mit dem Nikolaus drohen.

Dilemma für die Kleinen

Auch Psychotherapeutin Hof-Vachalek findet es problematisch, den Nikolaus als externen Erzieher zu missbrauchen. Ein Beispiel: "Dass Dreijährige vom Nikolo aufgefordert werden, ihm den Schnuller zu überlassen, bringt sie in ein Dilemma. Es hat eine viel positivere Grundlage, wenn das Kind aufgrund seiner Beziehung und Zuneigung zu den Eltern es schafft." Tritt der Nikolaus als Erzieher auf, besteht die Gefahr, dass das Magische eine beängstigende Dimension bekommt.

Doch auch unter den Expertinnen scheiden sich die Meinungen. Entwicklungspsychologin Landerl glaubt, dass es vor allem kleinere Kinder gar nicht so sehr stört, dass jemand viel über sie weiß: " Bis zum vierten Lebensjahr gehen sie ohnehin davon aus, dass alles, was sie wissen, die Mama und andere Erwachsene genauso wissen." Das habe mit der" Theory of Mind" zu tun, ein Begriff aus der Kognitionswissenschaft, wonach Kinder sich schwer tun, zu verstehen, dass andere Menschen etwas anderes wollen und wissen als sie selbst. Erst später erwerben sie die Fähigkeit, Bewusstseinsvorgänge anderer Personen unterscheiden zu können.

Fragen statt antworten

Und was, wenn eines Tages die Frage kommt, ob es den Nikolaus oder das Christkind wirklich gibt? Psychotherapeutin Hof-Vachalek kennt den Zwiespalt der Eltern, die Kinder einerseits nicht anlügen zu wollen und ihnen andererseits nicht den Zauber dieser Vorstellung nehmen zu wollen. Sie empfiehlt, Kindern nicht die Illusion vorzugaukeln, wenn diese deutlich bezüglich Nikolaus nachfragen, vor allem, wenn sie bereits im Schulalter sind.

Ansonsten könnten sie nämlich zu hinterfragen beginnen, ob sie auch in anderen Dingen angeschwindelt werden. Man muss die, Frage ob es den Nikolaus gibt, ja nicht gleich mit Ja oder Nein beantworten, sondern die Kinder um ihre Meinung fragen. Nach dem Schema: "Was glaubst du, gibt es den Nikolaus?" Die meisten Kinder finden die Antwort schließlich selbst. (Marietta Adenberger, 4.12.2018)