Hohe Räume wie im Wiener Altbau bieten eine einzigartige Lebensqualität. Warum nicht eine Norm von drei Metern im Neubau?

Foto: Getty Images/iStockphoto/ROMAOSLO

Wohnungen werden immer teurer und kleiner, eine Tatsache in nahezu jeder Stadt, egal wo und wie groß diese ist. Das eine bedingt das andere. Als in Wien vor einigen Jahren das Smart-Wohnbauprogramm vorgestellt wurde, entstanden in unseren Köpfen Bilder von kleinen, sehr intelligent entwickelten Wohnungen, mit guter Fixmöblierung und Möglichkeiten zum Selbstausbau. Die Realität ist ernüchternd. Bis auf wenige Ausnahmen sind Smart-Wohnungen gleich organisiert wie andere Wohnungen auch, nur kleiner. Die Innovation hält sich in Grenzen. Wobei – es ist schon eine Kunst, auf 65 Quadratmetern drei Zimmer, Küche und Bad unterzubringen. Als wir vor zehn Jahren im "Frauenwohnprojekt ro*sa" eine Wohnung mit 30,20 Quadratmeter Größe bauten, war dies eine tolerierte Ausnahme. Heute gilt die Integration von Kleinwohnungen als Pluspunkt. Man plant für Singles jeder Altersgruppe und denkt sich eine gute Mischung von kleinen und großen Wohnungen aus – was nicht immer zu einer guten Gemeinschaft führt. Kleine Wohnungen für Personen mit wenig Geld sind gut, die Planung geht derzeit aber an diesen Personen vorbei. Am Markt werden kleine Wohnungen heute als Full-Service-Apartments für Geschäftsleute oder Anlegermodelle angeboten. Thema verfehlt?

Ursprünge in den 1920ern

Die Kleinwohnungsfrage hat ihre Ursprünge im 19. Jahrhundert, die meisten Projekte entstanden in den 1920er-Jahren in vielen Ländern. 1929 wurde ein Kongress in Frankfurt unter dem Titel "Wohnung für das Existenzminimum" abgehalten. Gemeint war nicht ein Raumminimum, sondern der Mindestlohn der Arbeiterinnen und Arbeiter. Biologische Konsequenzen wurden aber dennoch thematisiert. Man untersuchte Auswirkungen von Räumen und Möblierungen auf Physis und Psyche, zeichnete Bewegungsdiagramme und gab Grundrissfibeln heraus. Die Kleinwohnung wurde zur Kleinstwohnung, verkörpert im Bett, das in den Kasten hochgeklappt werden konnte. Mit dem Nationalsozialismus war die Kleinwohnungsfrage wieder vom Tisch, nun waren Wohnungen für die Vollfamilie gefragt mit Wohnküchen, in denen sich die Familie täglich zur internen Kontrolle versammelte.

Wohnungsbau hat mehr als jede andere Bauaufgabe mit Politik und Gesellschaft zu tun. Die Art und Weise, wie und wo wir Wohnungen bauen, spiegelt die jeweilige Vorstellung von einer Gesellschaft wider.

Wird die Stadt am Rand erweitert, sollte die Stadtverwaltung wissen, welche gesellschaftlichen Auswirkungen das Wohnen dort hat. Wenn Politikerinnen und Politiker wie in Oberösterreich die Ökonomie zum wichtigsten Faktor im geförderten Wohnbau machen, sollten sie sich über langfristige Folgen im Klaren sein. Es wundert niemanden, dass junge Familien so schnell wie möglich die Wohnung verlassen und ein Haus auf dem Land bauen wollen.

Vorsorgeprojekte

Das Drängen der Projektentwickler auf kleine Wohnungen ist oft weder wissenschaftlich noch gesellschaftlich bedingt, sondern ein Geschäftsmodell. Wenn einem ein Wohnbauprojekt mit unbelichteten Gängen, kleinen Nordwohnungen und Minimalfenstern unterkommt, habe man wahrscheinlich ein Vorsorgeprojekt vor sich. Vorsorgeprojekte sind zynisch. Wohnungen werden gekauft, um nicht darin zu wohnen.

Bis vor kurzem wurden Gemeinschaftsräume im geförderten Wohnbau stark forciert. Wenn die Wohnung keinen Entfaltungsraum bietet, sind Zusatzangebote wie eine Gemeinschaftsküche auch sehr gut. Heute werden diese eingespart, es zählen nur vermietbare Quadratmeter. Wer es sich leisten kann und viel Zeit hat, schließt sich einer Baugruppe an, die dann solche Konzepte realisiert. Aber Baugruppen sind nicht geeignet für Mindestsicherungsbeziehende oder andere am Wohnungsmarkt benachteiligte Personen.

Andere Länder wie Frankreich haben mit Wohnungsgrößen- und preisen noch mehr zu kämpfen, dafür kommen von dort die innovativeren Ideen. Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal, Architekten in Paris, plädieren seit langem für größere Wohnungen. Wohnräume sollen, so die beiden, groß, hoch, leer und unvollständig sein. Am Boden Beton, die Wände unverputzt, Fixverglasungen und sichtbar verlegte Leitungen. Das macht Bauen günstig und das Wohnen großzügig. Allein die Raumhöhe! Wer von einem Wiener Altbau (3,55 Meter) in einen Neubau (2,50 Meter) zieht, wird einen Meter Raumhöhe schmerzlich vermissen. Schon einmal versucht, bei 2,50 Meter Raumhöhe ein Hochbett für ein zweites Kind zu bauen? Man bekommt besser kein zweites.

Drei Meter Raumhöhe

Eine Full-Service-Singlewohnung mit Wäsche- und Essenslieferung, in der man mit schnellem W-LAN vom Bett aus surft und dafür seine Nachbarn nicht kennt, ist aber auch keine gute Vision. Wir sollten alles daransetzen, dass Wohnbauten wieder Kommunikationsflächen erhalten, Wohnungen angemessene Größen haben und dafür ruhig rau bleiben können. Und die Raumhöhe sollte per Norm auf drei Meter angehoben werden. Das wäre eine mutige Tat der Politik! Dann würde sich die Vorsorgewohnung zwar nicht rentieren, aber mein Mitleid hält sich in Grenzen. (Sabine Pollak, 4.12.2018)