Theoretisch könnte Großbritannien seinen Austrittsantrag einseitig zurückziehen. Theresa May will das allerdings nicht – sie wirbt im britischen Parlament um die Zustimmung für den von ihr mit der EU ausverhandelten Brexit-Deal.

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DER STANDARD hat sich unter der Londoner Bevölkerung umgehört.

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Luxemburg – Großbritannien kann, sollte es das wollen, auch einseitig seinen Austrittsantrag zurückziehen. Die Zustimmung der anderen 27 EU-Mitglieder sei dafür nicht nötig, hieß es in einem Gutachten des EuGH-Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona vom Dienstag. Die Möglichkeit bestehe demnach bis zum förmlichen Abschluss eines Abschlussvertrages. Der EuGH ist an die Empfehlungen seiner Generalanwälte nicht gebunden, folgt diesen in der Regel aber.

Abgeordnete aus Schottland, das gegen den Brexit ist, hatten diesbezüglich beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) angefragt – in der Hoffnung, dass durch die Möglichkeit des einseitigen Ausstiegs ein zweites Brexit-Referendum wahrscheinlicher wird, in dem die Briten für einen Verbleib in der EU stimmen könnten. Befürworter eines zweiten Brexit-Referendums hatten am Montag eine überparteiliche Petition mit mehr als einer Million Unterschriften bei der Regierung abgegeben.

Zustimmung im Parlament ungewiss

Für die EU-27 ist diese Rechtsmeinung ein Rückschlag. EU-Kommission und EU-Rat vertraten die Auffassung, dass der EU-Vertrag nur eine vom Europäischen Rat einstimmig beschlossene Rücknahme zulasse. London hat allerdings bisher nicht angedeutet, einen Rückzug aus dem Austrittsantrag in Erwägung zu ziehen.

Im Gegenteil: Die Regierung von Theresa May lässt ab Dienstag das Unterhaus zusammenkommen, um über den Deal mit der EU zu diskutieren, den May ausgehandelt hat. "Das ist der Deal, der dem britischen Volk gerecht wird", sagte May laut einem im Voraus verbreiteten Redetext. Am Dienstag kommender Woche soll darüber abgestimmt werden. Bis dahin hat May noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten: Bisher gehen Schätzungen des Stimmverhaltens einzelner Abgeordneter von einer Ablehnung aus.

Streit über Gutachten

Kurz vor der Debatte gab es Ärger um ein Rechtsgutachten des Generalstaatsanwalts Geoffrey Cox zu dem Abkommen. Die Opposition will das komplette Dokument einsehen, die Regierung veröffentlichte aber nur eine Zusammenfassung. Kritiker glauben, dass heikle Passagen über die Brexit-Folgen im Gutachten geheim gehalten werden sollen.

Ein anderes Papier vom juristischen Dienst des Unterhauses wurde zwar nicht von der Regierung, wohl aber von Zeitungen präsentiert, denen es zugespielt worden war. Darin heißt es, das Abkommen würde einen Handelsdeal mit den USA zwar nicht juristisch unmöglich, wohl aber "praktisch" schwierig machen. Ein solches Abkommen gilt als Ziel vieler Tory-Abgeordneter, um deren Stimmen May buhlt. (red, 4.12.2018)