Pamela Rendi-Wagner weist den Weg "nach vorn" beim Parteitag in Wels.

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Pamela Rendi-Wagner, die erste Frau an der Spitze der SPÖ, hat auf dem Bundesparteitag einen engagierten und authentischen Auftritt hingelegt. Die von vielen als "Gänsehautrede" bezeichnete Performance gab der verunsicherten Partei wieder Mut, Halt und Zuversicht. Die Programmatik stand unter dem Credo "Nicht links, nicht rechts, sondern vorne". Dabei spielte die Chancengerechtigkeit, die vorbeugend wirken soll, um ein zufriedenes Leben zu führen, eine zentrale Rolle. Die Umverteilung, die nachträglich eingreift, um Einkommensunterschiede auszugleichen, rückte in den Hintergrund. Folgerichtig beschwor Rendi-Wagner den Kreisky'schen Bildungsaufstieg und verknüpfte diesen mit ihrer eigenen Biografie. Eine neue identitätsstiftende Erzählung rund um das Motto der britischen Labour-Partei "For the many not for the few" war nicht Thema. Die neue Vorsitzende nahm eine klare Haltung zur Genfer Flüchtlingskonvention ein und vertrat selbstbewusst einen feministischen Standpunkt.

Rote Herausforderung

Diese Programmatik wird im kulturell-progressiven Teil der Gesellschaft Anklang finden, den man mit Attributen wie "urban", "bildungsaffin" oder "weltoffen" verbindet. Dort Stimmen von Grün, Neos und Hellschwarz zu gewinnen ist Rendi-Wagner absolut zuzutrauen. Unter idealen Bedingungen (Regierung nutzt sich ab, Konkurrenz macht Fehler) kann die SPÖ damit sogar Platz eins erringen. Diese Ausrichtung hat jedoch eine Schwäche: Sie genügt nicht, um die türkis-blaue Mehrheit zu gefährden. Das liegt an den schieren Größenordnungen. Das traditionelle Lager ist in Österreich deutlich größer als das progressive (mit Ausnahme von Wien). Die Herausforderung für die Volkspartei SPÖ besteht darin, dass sie in beiden Lagern beheimatet ist. Allerdings sind viele traditionelle Wählergruppen, in sozialen Fragen früher durch die SPÖ vertreten, mittlerweile zur FPÖ abgewandert.

In einer ähnlichen Konstellation wählte in Frankreich Emmanuel Macron unter dem Motto, "weder links noch rechts, sondern progressiv" zu sein, die Strategie, sich vollständig auf das progressive Spektrum zu konzentrieren. Was mit seiner Sammelbewegung En Marche vorerst funktioniert hat, ist für die SPÖ eine riskante Strategie. Selbst wenn es gelänge, innerhalb des (kleineren) progressiven Lagers Stimmen zu gewinnen, kann das eine endgültige Entfremdung von traditionellen SPÖ-Kernschichten bedeuten. Ob ein Plus in den Wiener Innenbezirken ein Minus in den Flächenbezirken ausgleichen kann, ist mitnichten garantiert. Doch selbst wenn die SPÖ progressive Stimmen gewinnen könnte, ohne traditionelle zu verlieren, würde dies die komfortable Regierungsmehrheit von ÖVP und FPÖ nicht gefährden. Die Stimmen hätten sich nur innerhalb des progressiven Spektrums verlagert. Damit verwandt ist die Idee, eine "Van-der-Bellen-Allianz" zu schmieden, die von Start-ups bis zur KPÖ reicht. Diese konnte 2016 jedoch nur mit Unterstützung der halben ÖVP mehrheitsfähig werden. Heute wäre sie innerhalb der Grenzen des progressiven Spektrums gefangen.

Neue Klassenidentität

Das Gegenmodell zu Macrons Strategie ist jene von Labour-Chef Jeremy Corbyn in Großbritannien mit einem Fokus auf traditionellere Wählerschichten. Umgelegt auf die SPÖ würde dies eine direkte Auseinandersetzung innerhalb der rot-blauen Kampfzone bedeuten. Dafür würde die Partei eine kantige und sozial-populäre Rhetorik benötigen, die darauf abzielt, die politische Handlungsfähigkeit gegenüber Banken, Konzernen, Lobbys und Superreichen wiederherzustellen und so die Globalisierung zu bändigen. Das wird nicht bei allen urban-liberalen Gruppen gut ankommen. Für diese Strategie spricht jedoch, dass Grüne, Neos und Liste Pilz diese Auseinandersetzung nicht authentisch führen können. Nur die SPÖ kann vor allem blaue Stimmen aus dem traditionellen Lager holen. Weil das traditionelle Lager größer ist als das progressive, würde die SPÖ damit mehr Stimmen in industriell geprägten Orten wie Wels gewinnen, als sie in Universitätsstädten wie Graz verliert.

Österreich unterscheidet sich sozial und politisch von Frankreich und Großbritannien. Die SPÖ wird gut daran tun, eine einseitige Strategie zu vermeiden und stattdessen sowohl ihre progressiven als auch ihre traditionellen Zielgruppen abzuholen. Dazu braucht es aber auch für Letztere ein glaubwürdiges inhaltliches Angebot. Das bedeutet neben Chancengerechtigkeit auch ein klares Bekenntnis zur Umverteilung. Ein zufriedenes Leben, auf das viele Menschen zu Recht stolz sind, muss weiterhin auch ohne hohe Bildungsabschlüsse möglich sein. Es bedeutet zuletzt auch, eine zeitgenössische Klassenidentität zu forcieren, die unmissverständlich alle inkludiert, die sich in ähnlichen Lebenssituationen befinden – unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Religion. Labour gelingt es mit dieser "unity", den von Nationalisten und dem Boulevard befeuerten destruktiven Kulturkampf einzudämmen.

Abschmelzen der FPÖ

Aus weltanschaulicher Perspektive ist eine Veränderung des geistigen Klimas in Österreich das wichtigste Ziel aller Leute, die entweder progressiv oder sozial denken. Nur so kann die türkis-blaue Mehrheit aufgebrochen und die Republik nachhaltig und tiefgreifend zum Positiven verändert werden. Auch aus parteipolitischer Perspektive ist es für die SPÖ die einzige Garantie, um mittelfristig überhaupt wieder zu regieren. Aus staatsbürgerlicher Sicht ist das Abschmelzen der FPÖ die wichtigste rote Aufgabe. Dies kann außer der SPÖ nur eine knalltürkise ÖVP leisten, die sich bis auf die Manieren kaum noch von der FPÖ unterscheidet. Den österreichischen 58-Prozent-Orbán-Block kann nur die Sozialdemokratie bezwingen. Dazu muss sie aber auch innerhalb dieses Blocks wirksam werden. Dieser spezifischen Verantwortung sollte sich die neue SPÖ-Spitze bewusst sein. (Birgit Mock, Klaus Baumgartner, 5.12.2018)