Solange Staaten versuchen, durch das ein oder andere Privileg Standorte und somit Jobs ins Land zu bekommen, werden die Multis weiter Rosinen picken, analysiert Andreas Schnauder.

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Christian Kern hat den Braten früh gerochen. "Jedes Wiener Kaffeehaus, jeder Würstelstand zahlt in Österreich mehr Steuern als ein globaler Konzern", wetterte der Ex-Kanzler im STANDARD-Interview vor gut zwei Jahren. Der frühere SPÖ-Chef traf mit dem Sager recht gut die Stimmung in Bezug auf Abgabenzwerge, insbesondere unter den Internetgiganten. Amazon, Google oder Facebook schaffen es mit aufwendigen Konstruktionen, die Steuern gering zu halten. Das ist angesichts der Umwälzungen, die die von diesen Betrieben forcierte Digitalisierung mit sich bringt, ein Ärgernis. Und das grenzt angesichts hunderter Milliarden Dollar Börsenwert der IT-Konzerne geradezu an Hohn.

Was also tun, um Multis im Allgemeinen und Techgrößen im Speziellen einen höheren Beitrag für die Allgemeinheit abzutrotzen? Und so der disruptiven Kraft der Digitalfirmen zumindest jene Spitze zu nehmen, damit die sozialen Folgen abgefedert werden können? Die Antwort ist ebenso einfach wie deren Umsetzung schwierig: Steuerschlupflöcher stopfen und das interne Verrechnungsgewirr zur Minderung der Abgabenlast zerschlagen. Doch schon die Diskussionen über Grenzen der Steuervermeidung nach dem Auffliegen diverser Steuerleaks zeigen, wie gering das Engagement der Staaten ist, die fiskalische Abwärtsspirale zu stoppen.

Rosinen picken

Internationale Pläne kommen kaum voran, nationalen Alleingängen fehlt die Durchschlagskraft, weil Konzerne jederzeit ihren Sitz verlegen oder andere Ausweichmanöver durchführen können. Solange Staaten versuchen, durch das ein oder andere Privileg Standorte und somit Jobs ins Land zu bekommen, werden die Multis weiter Rosinen picken. Mit Erstaunen muss dabei festgestellt werden, wie gleichgültig die Bevölkerungen dieser Form der Aushöhlung des Sozialstaats zusehen. Wer nur eine leise Ahnung von der milliardenschweren, legalen Steuerflucht à la Google oder Apple hat, müsste eigentlich deren Produkte boykottieren. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Immerhin hat sich die EU-Kommission redlich bemüht, viele IT-Konzerne in ein engeres Steuerkorsett zu zwängen. Unter Österreichs EU-Vorsitz wurden die Pläne einer Digitalsteuer stark vorangetrieben, was freilich nichts am Scheitern änderte. Zu groß war der Systembruch, zu wenig durchdacht das Konzept: Eine gewinnunabhängige Ertragsteuer auf Umsätze, eine Abgabenpflicht am Ort der Leistungserbringung – also im Land des Netflix- oder Facebook-Users – zusätzlich zur geltenden Steuerpflicht im Sitzstaat des Unternehmens; noch dazu unabhängig davon, ob der Konzern im Herkunftsland hoch, niedrig oder gar nicht besteuert wird. All das sind ein paar Hybridformen zu viel, lässt sich nicht administrieren, bringt fast nichts ein, widerspricht den Initiativen auf internationaler Ebene und trifft letztlich auch Unternehmen, die in ihrer Heimat ordentlich zur Kasse gebeten werden.

Somit muss der Digitalsteuer keine Träne nachgeweint werden, sehr wohl aber den Umständen des Scheiterns. Nationale Egoismen wogen schwerer als inhaltliche Skepsis. Dazu kommen die schlechten Aussichten, dass die tauglicheren Modelle auf OECD-Ebene vorankommen. Die Staaten selbst sind es, die wie konkurrierende Würstelstände agieren und sich gegenseitig Kunden abjagen. Die Regierungen begünstigen die Erosion des Abgabensystems, sie sind die eigentlichen Verantwortlichen für die Steuerflucht. (Andreas Schnauder, 4.12.2018)